Was bleibt nach fünf Jahren Macron? Der Staatspräsident liefert der französischen Gesellschaft ein zwiespältiges Bild seiner Bilanz. Entsprechend unterschiedlich ist die Wahrnehmung seiner Präsidentschaft.
In Frankreich gehört es zum guten Ton, den jeweils amtierenden Präsidenten bei Meinungsumfragen regelmäßig abzustrafen. Da macht auch Emmanuel Macron wie seine Amtsvorgänger im Rückblick auf seine bislang fünf Jahre im Élysée-Palast keine Ausnahme. Das Auf und Ab bei der Beurteilung des Präsidenten ist Ausdruck der tief gespaltenen französischen Gesellschaft.
Für die untere Mittelklasse von den Gelbwesten bis hin zu den Eisenbahnern verkörpert Macron den Neoliberalen und gilt als Produkt der Elite: arrogant und abgehoben. Vom politisierten Milieu, sprich den Populisten und Kapitalismuskritikern, wird er regelrecht gehasst. Auf das präsidiale Schild gehoben wurde Macron 2017 von seinen Landsleuten vor allem deshalb, weil die Franzosen sich die rückwärtsgewandte und nationalistische Marine Le Pen im Präsidentenamt einfach nicht vorstellen konnten. Macron war für viele das kleinere Übel. Diese Geschichte könnte sich im April 2022 wiederholen, wenn die beiden in einer Stichwahl erneut aufeinandertreffen. Bis dahin wird noch viel Wasser die Seine herunterfließen in einer höchst unsicheren Zeit, in der Corona das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Geschehen maßgeblich bestimmt.
Was aber hat Macron in den letzten fünf Jahren für sein Land erreicht?
Sein größtes Vorhaben bleibt unvollendet: die Reform der „Grande Nation". Angetreten mit dem Willen, das vor allem in Deutschland so gesehene reformunfähige Frankreich zu modernisieren und wirtschaftlich und sozialpolitisch nach vorne zu bringen, ist Stückwerk geblieben. Während die Arbeitsmarktreform im Großen und Ganzen gelungen ist, – immerhin ist die Arbeitslosigkeit trotz Corona kontinuierlich gesunken –, ist die dringend notwendige Rentenreform kläglich auf der Strecke geblieben. Proteste wie die Gelbwestenbewegung 2018, die Eisenbahnerstreiks und die immer wieder von der kommunistischen Gewerkschaft CGT angezettelten Massendemos haben bewirkt, dass Macron seine Reformvorhaben zusammengestrichen und sich den sozialen Frieden mit milliardenschweren Programmen erkauft hat. Seine Politik gilt in Frankreich für viele nach wie vor als sozial ungerecht und als zu unternehmerfreundlich.
Tief gespaltene Gesellschaft
Die Innenpolitik, die in Frankreich traditionell vom Premierminister zu verantworten ist, da auf diesem Terrain kaum Lorbeeren zu verdienen sind, zeigt einmal mehr, wie tief gespalten die französische Gesellschaft ist. In den sozialen Brennpunktvierteln, den sogenannten quartiers chauds, kommt es immer wieder zu Krawallen zwischen Jugendlichen und der Polizei, die sich unversöhnlich regelrechte Verfolgungsjagden und Straßenschlachten liefern. Die Gettoisierung von rund 100 ausgemachten Brennpunkten in Frankreich, oft bewohnt von Einwanderern vornehmlich aus der muslimischen Welt, Arbeitslosen und gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppen, zeigt viel deutlicher als in Deutschland, wohin mangelnde Integration und gesellschaftliche Teilhabe führen können. Corona hat dieses Problem weiter verschärft. Hinzu kommt der Umstand, dass die Islamistenszene in Frankreich als besonders radikalisiert und gewaltbereit gilt.
Viele ungelöste Probleme bringt auch die Gesundheitspolitik zutage. Der rigide Sparkurs der vergangenen Jahre, den aber Macron nicht alleine zu verantworten hat, führte in der ersten Corona-Welle zu einer massiven Überlastung des Gesundheitswesens mit überfüllten Krankenhäusern und vielen Toten.
Wirtschaftspolitisch kann Macron durchaus eine positive Bilanz ziehen. Frankreich ist bisher besser durch die Corona-Krise gekommen als ursprünglich angenommen dank Kurzarbeitergeld und milliardenschwerer Hilfsprogramme. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, vor allem auch bei den Jugendlichen, die durch neue staatlich finanziell geförderte Programme schneller Arbeit gefunden haben. Der zu Beginn der Corona-Krise als Soloentscheider und zögerlich agierende Präsident weist ungeachtet aller Kritiken inzwischen eine bessere Impfquote der Bevölkerung gegenüber dem einstigen Musterschüler Deutschland auf (Stand Mitte Januar). Zudem hat er frühzeitig die Impfpflicht im Gesundheitsbereich trotz massiver Proteste durchgesetzt. Ein Dorn im Auge bleibt allerdings das Handelsbilanzdefizit mit dem wichtigen Partner Deutschland, und das schon seit Jahren.
In der Außen- und Verteidigungspolitik, die klassischen Felder für einen französischen Präsidenten, konnte Macron Erfolge vorweisen. Das Wachrütteln der Europäer für eine ernsthafte gemeinsame europäische Verteidigungspolitik ist seit seiner Bezeichnung der Nato als „hirntot" in der EU angekommen. Es zeigt aber einmal mehr, dass Frankreich verteidigungspolitisch andere Interessen vertritt als Deutschland, das voll und ganz auf das Bündnis mit Amerika setzt. In der Europapolitik sehen viele Franzosen in Macron einen progressiven, pro-europäischen Visionär, wie er zu Beginn seiner Amtszeit in der legendären Rede in der Pariser Universität Sorbonne unter Beweis gestellt hat. Seine Inszenierung beim Amtsantritt mit der Europahymne spricht Bände. Gerade Deutschland allerdings, so der Vorwurf, habe den französischen Präsidenten bei der Vision von Europa zu oft alleine gelassen.
Insgesamt sieht die Bilanz Macrons durchwachsen, ja unvollendet aus. Er braucht noch eine Wahlperiode, um sein Reformwerk, die Modernisierung Frankreichs, abzuschließen. Die Bundesregierung dürfte trotz Differenzen inständig darauf hoffen, dass der Pro-Europäer Emmanuel Macron weitere fünf Jahre im Élysée-Palast bleiben darf.