Die starbesetzte Netflix-Produktion „Die Ausgrabung" mit Ralph Fiennes in einer seiner besten Rollen spielt die Klaviatur der leisen Töne und erzählt die wahre Geschichte einer spektakulären archäologischen Entdeckung am Vorabend des Zweiten Weltkriegs.
In einer Welt der lauten Stimmen, die sich ständig überbieten in ihrem penetranten Getöse, sollten die leisen Töne nicht ungehört bleiben. Sie haben vielleicht nicht die Durchschlagskraft der aufdringlichen Krachmacher und Marktschreier, jedoch sind sie oftmals nachhaltiger, unaufgeregter und von einer wohltuenden Bescheidenheit geprägt. All diese Eigenschaften treffen auf „Die Ausgrabung" in ganz besonderem Maße zu. Das Filmdrama, eine Adaption der Buchvorlage „The Dig" von John Preston, die ihrerseits auf einer wahren Geschichte beruht, ist ein Werk, das nicht auf oberflächliche und kalkulierte Emotionen setzt, sondern das Publikum auf eine poetische Reise rund um die Themen Vergänglichkeit, Veränderung und Menschlichkeit mitnimmt. Wer dazu bereit ist, erlebt eine der schönsten und besten Filmproduktionen des vergangenen Jahres. Das liegt einerseits am noch jungen, aber unglaublich talentierten Theater- und Filmregisseur Simon Stone, der mit seiner klug komponierten Erzählweise dem Filmdrama seinen leisen Stempel aufdrückt und zum anderen am hervorragend agierenden Schauspielensemble mit Ralph Fiennes („Schindlers Liste", „Der englische Patient") und Carey Mulligan („The Great Gatsby", „Inside Llewyn Davis") in den Hauptrollen. Fiennes spielt den Hobbyarchäologen Basil Brown mit akribischer Präzision und Mulligan legt in ihre Rolle der Landbesitzerin Edith Pretty eine tiefe Nachdenklichkeit und Melancholie.
„Die Ausgrabung" spielt im Jahr 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, in der britischen Grafschaft Suffolk. Die reiche Landbesitzerin Edith Pretty vermutet, dass auf ihrem Anwesen, unter mehreren regelmäßig aufgeschichteten Hügeln, möglicherweise etwas vergraben liegt. Es ist zwar nur ein Gefühl, trotzdem bittet sie den hobbymäßigen Ausgräber Basil Brown um Hilfe, und dieser macht tatsächlich eine bedeutende archäologische Entdeckung, die später als Bootsgrab „Sutton Hoo" in die Geschichte eingehen würde. Basil findet unter einem der Hügel einen Schiffsrumpf, der sich als angelsächsisches Schiffsgrab aus dem 6. Jahrhundert entpuppt. Die sensationelle Entdeckung bleibt natürlich nicht unbemerkt. Ein angesehener Archäologe aus Cambridge taucht auf, reklamiert den Fund für sich und möchte ihn im British Museum sehen. Das ist zuerst einmal die Grundlage der Handlung, die auf wahren Begebenheiten beruht.
Die andere Seite des Films ist die Auseinandersetzung mit den großen Fragen der Menschheit. Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was bleibt von uns übrig, wenn wir nicht mehr sind? Vor dem Hintergrund des drohenden Zweiten Weltkriegs bekommen diese Fragen eine ganz persönliche Bedeutung für die Protagonisten des Dramas und jeder muss sie für sich selbst beantworten.
Nach wahren Begebenheiten
Was den Film so besonders macht, ist die Unaufgeregtheit und Zurückhaltung, die er sich selbst auferlegt, um Freiraum zu schaffen für die Gedanken des Zuschauers. Das schafft nicht jeder Regisseur. Oft wird das Dramatische noch dramatischer dargestellt und das Emotionale noch emotionaler. Hier jedoch wird das Drama entdramatisiert, indem die Perspektiven geschickt gewechselt werden. Der Film fokussiert sich nicht nur auf eine Hauptfigur, sondern lässt Spielraum für mehrere Sichtweisen. In der ersten Hälfte sind Basil Brown und Edith Pretty im Zentrum der Geschehnisse, in der zweiten Hälfte richtet sich der Blick auf die an der Ausgrabung beteiligte (von Lily James gespielte) Peggy Piggott, deren Neffe im wahren Leben übrigens John Preston ist, der Autor der Buchvorlage.
„Die Ausgrabung" weicht durchaus von den wahren Begebenheiten ab, die sich rund um den Fund von Sutton Hoo abspielten. Es ist keine Dokumentation, sondern ein Spielfilm und so sollte man ihn auch betrachten. Die Veränderung der Figuren liegt in der Pflicht eines guten Regisseurs, wenn ihm eine bestimmte Wahrnehmung seines Films am Herzen liegt.
Alles in allem ist „Die Ausgrabung" eine klare Empfehlung für all diejenigen, die sich von einem Film mehr als nur Unterhaltung erhoffen, sondern auch eine Erweiterung des Horizonts. Ein unaufgeregtes Drama, das sich in aufgeregten Zeiten als Wohltat erweist.