Seit vergangenem Sommer ist Stephanie Rolser Künstlerische Leiterin des „Überzwerg – Theater am Kästnerplatz". Teamwork spielt bei ihrer Arbeit eine wichtige Rolle.
Spannende, bewegende und humorvolle Geschichten, die mit dem Leben, den Träumen und den Sorgen des Publikums zu tun haben: Mit diesem Erfolgsrezept begeistert das „überzwerg – Theater am Kästnerplatz" in Saarbrücken seit über 40 Jahren junge Menschen für Bühnenkunst. Fast 14.000 Besucher wurden in der Spielzeit 2018/2019 gezählt, 2020/2021 waren es pandemie-bedingt weniger – nur noch etwas mehr als 3.000. Keine einfachen Rahmenbedingungen für Stephanie Rolser, die seit vergangenem Sommer die künstlerische Leitung des Hauses innehat.
Geschichten von mutigen Figuren
Dass sie dieses Amt übernehmen würde, war keine große Überraschung. Die Theater- und Erziehungswissenschaftlerin ist seit 2006 im Bereich Ausstattung und Regie tätig, kurz nachdem ihr Mann als Schauspieler am Überzwerg-Theater engagiert worden war. Zuvor hatte sie Erfahrungen in Lima, Ulm und Buenos Aires gesammelt.
Stephanie Rolsers Inszenierungen waren bereits an vielen deutschen Kinder- und Jugendtheatern zu sehen. Ihr Stück „Name: Sophie Scholl" wurde 2018 beim „Festival Monospektakel VIII" in Reutlingen mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Die Jury lobte damals die Inszenierung in der die Widerstandskämpferin sowohl als historische Persönlichkeit als auch als unbeschwertes junges Mädchen gezeigt wird.
Geschichten von mutigen Figuren, die mit inneren Konflikten zu kämpfen haben, finden sich ebenso auf dem aktuellen Spielplan wieder, zum Beispiel jene des zwölfjährigen Mädchens Fitz, das den Glauben an die Liebe verliert und ihn am Ende eines aufregenden Tages wiederfindet. In „Gips – oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte" erfahren sie und ihre kleine Schwester, dass sich deren Eltern scheiden lassen. Wut und Enttäuschung machen sich breit, doch dann landet die Familie im Krankenhaus, wo der Strudel der Ereignisse und allerlei lustige Begebenheiten für Trubel sorgen. Die Buchvorlage von Anna Woltz, die für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde, erzählt einfühlsam vom Gefühlswirrwarr von Trennungskindern, aber auch von der Liebe in all ihren Facetten. Alle sechs Ensemblemitglieder sind zudem in wechselnden Rollen auf der Bühne.
Neben den Schauspielern gehören zwölf Mitarbeiter zum Team von Stephanie Rolser, die die Arbeit in der Gruppe sehr schätzt: „Viele von uns sind schon sehr lange beim Überzwerg. Aus diesem großen gemeinsamen Erfahrungsspektrum können wir schöpfen." Besonders deutlich werde dies in der sechswöchigen Probezeit vor jeder Premiere, bei der Improvisation und die gemeinsame Stückentwicklung durchaus erwünscht sind. Zudem wird die Entstehung jeder neuen Inszenierung von einer Patenklasse oder einem Patenkindergarten begleitet.
Aktuell laufen die Vorbereitungen für „Die große Wörterfabrik", die am
13. März seine Uraufführung feiert. Und wieder geht es um die Liebe. Im Mittelpunkt steht der kleine Paul, der in einem Land lebt, in dem die Menschen wenig reden. Denn Wörter sind kostbar, man muss sie kaufen und schlucken, um sie aussprechen zu können. Nur wer reich ist, kann sich das leisten. Der Junge möchte der hübschen Marie sein Herz öffnen. Gut, dass es ihm gelingt, drei kleine Worte mit seinem Schmetterlingsnetz zu fangen und dass er den Mut findet, diese auszusprechen. Das Stück für Kinder ab vier Jahren, nach dem gleichnamigen Bilderbuch von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo, „erzählt mit einfacher Sprache eine berührende Geschichte über die Kostbarkeiten des Lebens", verspricht die Ankündigung. In der Inszenierung wird die Welt der Emotionen in Tanz und Bewegung – fast ganz ohne Worte – zum Ausdruck gebracht. „Für die Kleinsten unserer Zuschauer ist der Zugang über Bilder wichtig, oft sind es Stücke mit nur wenig Text, dafür aber mit Musik", erklärt Stephanie Rolser.
Als besonderes spannendes Feld bezeichnet sie die mittlere Zielgruppe, die Acht- bis Zwölfjährigen: „Für Kinder in diesem Alter gibt es viele besonders gute Stückvorlagen. Es geht zum Beispiel um Inklusion, Integration und Rassismus oder andere wichtige Themen. Gute Stücke zeichnen sich dadurch aus, dass sie unterhaltsam sind und Spaß machen, ohne dass die teilweise doch schwere Thematik darunter leidet." Wer in jungen Jahren positive Erfahrungen im Theater macht, wird als Erwachsener eher offen für die Darstellende Kunst sein. Auf Lehrplan-relevante Werke setzt Rolser bei den Jugendlichen. Schillers „Kabale und Liebe" wird auf der Überzwerg-Bühne zum Zwei-Personen-Stück und überrascht mit Aktualität. Zwar handelt es sich auch hier um eine Liebesgeschichte, aber eine tragische, denn sie mündet in einen Mord: Ferdinand bringt Luise um, weil er glaubt, sie betrüge ihn. Neben Femizid unterstreichen Themen wie skrupellose Macht- und Geldgier, strukturelle Armut, willkürliche Gewalt oder Fake News ebenso die Zeitlosigkeit des Klassikers. „Eine Glanzleistung" hieß es dazu in einer Kritik, unter anderem weil es der Inszenierung gelinge, „Schillers Sprache, die nur hie und da heutig aufgelockert wird, wie einen Diamanten zum Funkeln zu bringen: ein wenig fremd, ungewöhnlich und gerade deshalb faszinierend, gar berührend".
Wie ein Stück bei den Zuschauern ankommt, erfahren die Schauspieler bei den Publikumsgesprächen, die im Anschluss von Gruppenvorstellungen angeboten werden. Dabei gehe es nicht nur um die Inhalte, sondern oft auch um die Arbeit des Schauspielers sowie um Feedback zur Aufführung, berichtet Stephanie Rolser. Zu allen Stücken gibt es Materialien für die Lehrer und Erzieher. Diese sind zudem dazu eingeladen, die Generalproben zu besuchen oder sich im Rahmen eines Stammtisches mit den Stücken und deren pädagogischen Möglichkeiten zu beschäftigen.
Die Theaterchefin bereitet derzeit die Spielzeit 2022/23 vor. Details dazu will sie nicht verraten, aber es werde eine Kooperation mit dem Saarländischen Staatstheater geben. Zudem wünscht sich die 45-Jährige, dass der „Corona-Wahnsinn" bald vorbei ist und wieder Normalität in den Theaterbetrieb einkehrt.