In Theodor Fontanes Geburtsstadt Neuruppin residierte einige Jahre der spätere Preußenkönig Friedrich der Große. Die geschichtsträchtige Stadt ganz in der Nähe von Berlin begeistert Besucher durch eindrucksvolle Baukunst.
Viele Besucher der Stadt Neuruppin, die 60 Kilometer nordwestlich von Berlin im Landkreis Ostprignitz-Ruppin gelegen ist, treffen am Bahnhof Rheinsberger Tor ein. Der Turm des kleinen Bahnhofs, der auch die Touristeninformation beherbergt, ist einem Turm des nahe gelegenen Rheinsberger Schlosses nachempfunden. Dort residierte ab 1736 Kronprinz Friedrich, und so zeigt sich von Anfang an, dass Neuruppin in ganz besonderer Weise von preußischer Geschichte durchdrungen ist. Zwar mussten alle Stadttore Ende des 19. Jahrhunderts dem wachsenden Verkehr weichen, aber heute noch umgeben Teile der mittelalterlichen Stadtmauer und der Wallanlagen das Zentrum Neuruppins. Dieser Bahnhof ist also der ideale Ausgangspunkt für einen Rundgang durch eine der – dank zahlreicher Eingemeindungen – flächengrößten Städte Deutschlands.
Die frühmittelalterliche Geschichte östlich der Elbe war vom Ringen zwischen slawischen Siedlern und germanischen Eroberern bestimmt. Wie fast überall erwiesen sich den neuen Herren Kirche und Klosterbrüder als überaus nützlich. Nach dem Wendenkreuzzug 1147 wurden die Slawen immer weiter gen Osten zurückgedrängt, und so konnten knapp 100 Jahre später die Dominikaner hier, am Westufer des Ruppiner Sees, ihr Kloster gründen. Im Mittelalter gehörte Neuruppin alsbald zu den größeren norddeutschen Städten.
Besucher können sich kaum verirren
Schon nach kurzem Schlendern erkennt man den besonders auffälligen Grundriss der Altstadt: ein nahezu perfektes Quadrat von einer 700 mal 700 Meter großen Fläche. Und so wird sich der Besucher in Neuruppin kaum verirren. Statt verwinkelter Gassen klare Linien. Die Geradlinigkeit der ganzen Stadtanlage vermittelt dem Besucher von heute aber auch ein sich langsam anschleichendes Gefühl von Verlorenheit. Die Menschen machen sich rar zwischen den Hauptstraßen und all den rechten Winkeln. Ohnehin ist nicht viel los auf den Straßen, gerade in den Wintermonaten, wenn sich die Wassersportler und die Fahrradtouristen kaum blicken lassen. Oder ist es dann doch eher die ganze Anlage der Stadt, die der Besucher bewundert, auch wenn sie ihn zwischen Faszination und einem Hauch von Einsamkeit schwanken lässt?
Inmitten der Altstadt gibt es drei große, nein, überdimensionierte Plätze, die auch als militärische Paradeflächen genutzt wurden. Der Brasch-Platz beispielsweise, der größte freie Grund der Stadt, erstreckt sich über 186 mal 210 Meter. An seinem Rand repräsentative Bürgerhäuser. Beeindruckend, aber die Atmosphäre wurde ein wenig weggezirkelt. Oder, wie Theodor Fontane über seine Heimatstadt schrieb: „Sie gleicht einem auf Auswuchs gemachten Staatsrock, in den sich der Betreffende, weil er von Natur aus klein ist, nie hineinwachsen kann. Dadurch entsteht eine Öde und Leere, die zuletzt den Eindruck von Langeweile macht."
1688 wurde Neuruppin eine der ersten Garnisonsstädte Brandenburg und damit beginnt ihr eigentlicher Aufschwung. Der spätere Preußenkönig Friedrich der Große befehligte als Kronprinz hier zwischen 1732 bis 1740 ein Regiment, und seine Erinnerungen spiegeln fast wehmütig seine Neuruppiner Zeit wider. „Ich widme mich dem Regiment; viel Exerzieren! Mein Vergnügen besteht darin, eine Fahrt auf dem See zu machen oder in meinem Garten vor der Stadt Schwärmer und Raketen steigen zu lassen." Sein Quartier lag an der Stadtmauer, wo er Zugang zu seinem geliebten Amalthea Garten (heute: Tempelgarten) hatte. Um den strengen Vater von seiner Tüchtigkeit zu überzeugen, ließ er ihm pralle Obst- und Gemüsekörbe nach Potsdam oder Berlin schicken.
Ein Denkmal zu Ehren Theodor Fontanes
Mitunter erweisen sich Katastrophen als Glücksfall. Nachdem 1787 Neuruppin Opfer des größten Brandes ihrer Geschichte wurde und die Altstadt in Schutt und Asche versank, wurde in kurzer Zeit von dem Architekten Philipp Berson und dem Bauinspektor Bernhard Matthias Brasch ein Wiederaufbau geplant, der zu den beeindruckendsten Leistungen brandenburgisch-preußischer Baukunst zählt. Ohne Übertreibung kann Neuruppin als einmaliges Flächendenkmal bezeichnet werden. Getragen von den Ideen der Aufklärung und des Bürgersinns entstand eine funktionale Stadtstruktur, die entlang einer repräsentativen Nord-Süd-Achse drei große Plätze miteinander verbindet und zwei zu dieser Achse parallel verlaufende Straßen durch Querstraßen verband. So entstand das für Neuruppin typische rechtwinkelige Straßennetz mit durchgängig zweigeschossigen Traufenhäusern – eine einzigartige klassizistische Stadtanlage. Das Amtsgericht, die Kulturkirche St. Marien, das Museum und das Alte Gymnasium sind nur einige der repräsentativsten Bauten in diesem Altstadtkarree. Zur Seeseite hin beeindruckt die Klosterkirche St. Trinitatis, die aus einem einschiffigen Chor und einer dreischiffigen Halle besteht. Erst 1907 wurde das alles überragende Turmpaar seitlich eingefügt und damit das Wahrzeichen der Stadt vollendet.
Doch damit nicht genug. Neuruppin trägt seit 1998 den Zusatztitel Fontanestadt und würdigt damit wohl seinen berühmtesten Sohn, den Schriftsteller, Journalisten und Kritiker Theodor Fontane, der am 30. Dezember 1819 im Haus der Löwenapotheke geboren wurde. Der Autor von „Effi Briest" und vielen anderen bekannten Werken gilt als bedeutender Vertreter des Realismus, die Stadt ehrte ihn 1907 mit einem imposanten Denkmal.
Und auch eine weitere Berühmtheit ließ Neuruppin in Bronze gießen. Auf dem Kirchplatz steht das Standbild von Karl Friedrich Schinkel, dem 1781 in Neuruppin geborenen genialen Maler und bedeutendsten Architekten des deutschen Klassizismus, der im ganzen preußischen Staat seine Spuren hinterlassen hat. Ein Gebäude nach seinem Entwurf ist in der Stadt allerdings nicht zu finden. Vielleicht wäre das dann doch des Guten zu viel.