Weil die Konzernführung den Elektroboom verschlafen hat, zittern in Europa jetzt Arbeitnehmer: Ford hat zwei Werke gegeneinander in Stellung gebracht und verlangt von beiden einen Überlebensplan. Regierungen und Betriebsräte im Saarland und in Spanien liefern Angebote – und die Zulieferer sind nervös.
Was geschieht mit dem Ford-Werk Saarlouis? Diese Frage stellen sich nicht nur Belegschaft, Betriebsrat und Werksleitung. Der interne Wettstreit zweier konzerneigener Fertigungswerke um den Bau einer dritten Produktionsstraße eines neuen Elektrofahrzeugs zieht weite Kreise. Über zwei Jahre nun schon währt die Hängepartie um die Werke Valencia und Saarlouis, befeuert durch Kurzarbeit in der Coronakrise und fehlende Halbleiter. Neben Halbleiterkrise und Kurzarbeit aber kämpft Ford, wie andere Autohersteller, mit sinkenden Absatzzahlen. Hat das Unternehmen 2020 noch 194.250 Pkw in Deutschland neu zugelassen, waren es 2021 nur noch 126.358. Das Modell Focus, das in Saarlouis gebaut wird, verzeichnet hier ein sattes Minus von 60 Prozent, nur etwa 27.000 Autos dieses Modells wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt 2021 in Deutschland neu zugelassen.
Dass die verfügbaren Halbleiterchips dann in jene Ford-Werke geliefert werden, in denen erfolgreichere Modelle wie der Mittelklasse-SUV Kuga gebaut werden statt nach Saarlouis, ist also kaum überraschend. Ähnliche Strategien verfolgen auch andere Hersteller, die die noch erhältlichen Chips bevorzugt in hochpreisige Modelle verbauen.
Offene Worte aus der Zentrale fehlen
Was den beiden Werken vor allem fehlt, sind offene Worte aus der Ford-Zentrale in Dearborn (Michigan, USA). Die hat sich zurückgelehnt und lässt – keine Seltenheit in der Branche – zwei Werke wie in einem Projektpitch gegeneinander antreten: Valencia und Saarlouis müssen schlüssige Konzepte vorlegen, unter denen die Produktion eines Elektrofahrzeuges stattfindet. Die Konzernleitung pickt sich dann das beste Angebot heraus. Was mit dem „Verlierer" geschieht, ist unklar. Details des spanischen Angebotes wurden kürzlich bekannt, Verzicht auf Lohnsteigerungen und längere Arbeitszeiten, die Saarländer jedoch halten sich weiter bedeckt.
Davon, sich bedeckt zu halten, ist Armin Gehl, Cheflobbyist der saarländischen Autoindustrie, weit entfernt. Gehl, Vorsitzender der Autoregion Saar, ist ein leidenschaftlicher Mensch. Die Dinge, die in Saarlouis passieren, machen ihn alles andere als sprachlos, besorgen ihn aber in höchstem Maße. Denn die Konsequenzen, die jene Unterbietungsschlacht zweier Werke desselben Konzerns nach sich ziehen, könnten weitreichend sein: „Die Gewerkschaft soll dem Konzern entgegenkommen. Also erhöht sich vielleicht die Wochenarbeitszeit von derzeit 35 Stunden. Ihr Gehalt liegt 18 Prozent höher als das ihrer Kollegen in Spanien. Was ändert sich daran?" An Dutzenden Stellschrauben könnten Betriebsrat und Management drehen, um Dearborn ein attraktives Angebot zu unterbreiten. Die Auswirkungen dessen könnten die Automobilindustrie in Deutschland insgesamt treffen, die kommende Tarifrunde überschatten – Gehl spricht von einem Dominoeffekt. Denn trotz Inflation könnte dadurch die Verhandlungsmacht der IG Metall geschmälert werden, wenn Teile der Gewerkschaft im Saarland schon von sich aus auf Lohn verzichten.
Die ersten Steine, die fallen, sind die Zulieferer. 1.600 Menschen arbeiten alleine im Ford Supplier Park. So wie der Logistiker ISL, der Teile für den Focus montierte und dem im Frühjahr 2021 von Ford überraschend gekündigt wurde. „Geht Ford, werden diese Arbeitsplätze verlagert", sagt ein Vertreter der Zulieferer (Name der Redaktion bekannt), der unerkannt bleiben möchte, zu groß ist der Respekt vor der Marktmacht des Automobilkonzerns; zu hart der Preiskampf um Margen zwischen den Marken und den Zulieferern. Verlagert werden die Arbeitsplätze dann in Billiglohnländer nach Osteuropa, um die Marge des Zulieferbetriebs zu stärken. Wohl und Wehe der Supplier sind untrennbar mit dem Ford-Werk verbunden. „Ich kann meine Leute nicht alle acht Tage nach Hause schicken, wenn bei Ford wieder Kurzarbeit angesagt ist." Zulieferer arbeiten oftmals mehr Wochenstunden, ohne Tarifvertrag, den die Zulieferer ohnehin skeptisch beäugen: Je höher die Tarifverträge, desto höher der Druck des Automobilkonzerns, der diese Tarife zahlen muss, auf die Marge, so der Zulieferer. Die Nerven liegen blank dies- und jenseits des Atlantiks, der Konzern wacht argwöhnisch über die Kommunikationspolitik aller Beteiligten. Durchstechereien wie kürzlich seitens des Betriebsrates in Valencia lassen in Dearborn die Alarmglocken schrillen.
Was genau nun mit Ford in Saarlouis passiert, weiß auch Saarlands Autoindustrie-Experte Armin Gehl nicht. „Wir vermuten, dass das Presswerk bleiben kann. Hier wurde kräftig investiert, zum Beispiel in die Warmumformung, die auch mit Steuergeldern subventioniert wurde. Das Werk könnte andere in Europa beliefern." Das Autowerk in Valencia ist größer, moderner, es wird ab 1. April im laufenden Betrieb teilweise erneuert, eine Batteriezellenproduktion soll in nächster Nachbarschaft entstehen, die Lohnnebenkosten sind ein Drittel billiger als in Deutschland. „Soll in Saarlouis in drei Jahren ein neues Auto gebaut werden, müsste man heute bereits mit Zulieferern über die Bauteile sprechen, um den Produktionszyklus nicht zu unterbrechen", erklärt Gehl. Anfragen seitens Ford aber gibt es keine.
Rund 5.000 Mitarbeiter hat Ford in Saarlouis. Bleibt das Presswerk, müssen 3.800 Leute aus der reinen Autoproduktion gehen. Zulieferfirmen wie Magna, Benteler und andere ziehen weiter, sie werden nicht mehr am Standort gebraucht, also auch nicht ihre 1.600 Angestellten. Für die Saar-Wirtschaft ein gigantischer Aderlass. Wohin mit diesen hochspezialisierten Kräften?
Gehl spricht von einem Dominoeffekt
Transformation, das Signalwort der Stunde, spielt auch in dieser Frage eine Rolle. 20 Kilometer entfernt vom Autowerk eröffnet der chinesische Batteriehersteller SVolt seine Tore, irgendwann, falls die Gutachten und mögliche Gerichtsverfahren der Anwohner es erlauben. Weil SVolt hochqualifizierte Arbeitskräfte braucht und sie in den saarländischen Industriebetrieben findet, stellen sie jetzt schon Wechselwillige von Ford ein – „in enger Abstimmung mit Ford und anderen Mitgliedern des Regionalclusters Elektromobilität", darunter die Unternehmen ZF oder Festo, sagt Andreas Weiglein, der den Werksaufbau des chinesischen Konzerns leitet. Einige Ford-Mitarbeiter hat SVolt so bereits nach eigener Aussage gewinnen können.
Mit diesen und anderen Maßnahmen wie dem Wegfall von Schichten hat das Ford-Werk bereits 2.000 Arbeitsplätze abgebaut. Erst Mitte des Jahres will Ford entscheiden, wo das neue E-Auto vom Band laufen wird. Bis 2025 wird das Werk in Saarlouis gesichert sein. Was danach kommt, weiß nur Ford-Chef Jim Farley, der den angeschlagenen Autoriesen mit harten Maßnahmen wieder aufrichten will. Die Tatsache, dass der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans bis jetzt noch nicht mit Jim Farley persönlich gesprochen hat, hält Gehl für einen riesigen Fehler. „Farley ist gewissermaßen der Ministerpräsident von Ford. Dieses Treffen auf Augenhöhe mit einem Unternehmer, von dem so viele Arbeitsplätze abhängen, muss einfach sein, um im positiven Dialog zu bleiben." Hans alleine kann den Standort jedoch kaum retten. Dafür braucht es maßgeblich den Willen des US-Mutterkonzerns. Wie weit die Saarlouiser Werksangehörigen und ihr Betriebsrat diesen beeinflussen konnten, wird sich erst im Juli zeigen. Erst dann will Farley die drängendste Frage in Saarlouis beantworten. Was bleibt, ist Hoffnung.