Papier ist Mangelware. Das bekommen Verlage und Druckereien derzeit heftig zu spüren. Die Gründe dafür sind vielfältig, wie Probleme in der Lieferkette oder der aktuelle Holzmangel.
Angefangen hat alles mit einem querliegenden Schiff im Suezkanal. Die „Ever Given" war im Frühjahr vergangenen Jahres auf Grund gelaufen. Tagelang blockierte der Frachter die wichtige Wasserstraße zwischen Asien und Europa. Als Folge konnten Hunderte Schiffe den Kanal nicht passieren. Der weltweite Handel geriet ins Wanken, ein Dominostein nach dem anderen fiel um. Der berühmte Container-Frachter wurde zum Symbol dafür, wie fragil Lieferketten diverser Wirtschaftszweige sein können. „Ich habe den Eindruck, dass Lieferketten als eine Art Ökosystem verstanden werden können, das sehr sensibel auf Störungen reagiert", sagt der Verleger Jan Wenzel vom Kunstbuchverlag Spector Books zu FORUM. Die Verlagsbranche hat Lieferengpässe von der Breitseite abbekommen. Papier als wichtigster Bestandteil von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften ist rar geworden. Engpässe bei Papier kann auch der Sprecher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Thomas Koch, bestätigen: Die Preise für den internationalen Transport hätten sich extrem verteuert. Und, so sagt der Pressesprecher weiter: „Die Lieferkapazitäten zum Beispiel bei Containerschiffen sind ausgeschöpft." Außerdem gebe es bei bestimmten Chemikalien, die in der Papierproduktion benötigt werden, Nachschubprobleme. Rar sind nicht nur die chemischen Substanzen, sondern auch Holz als Rohstoffbasis, das ein knappes Gut geworden ist. „Ähnliches gilt für Altpapier", sagt Verlagschef Jan Wenzel. „Früher bestand das Altpapier zu 70 Prozent aus Papier und zu 30 Prozent aus Pappe." Jetzt sei es umgekehrt. Das treibt die Preise in die Höhe. Die seien für Altpapier innerhalb des letzten Jahres um 75 Prozent gestiegen, sagt Thomas Koch vom Börsenverein. Für Zellstoff hätten sich die Preise verdoppelt. Zudem stiegen die Energiekosten.
Leser lieben papier zum Lesen
Seit Johannes Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts wird in Europa auf Papier gedruckt und gelesen. Auch im 21. Jahrhundert werden belletristische Werke, Sach- und Fachbücher immer noch mehr von Papier rezipiert als über Audio- oder E-Books. Die Haptik toppt das Digitale. Noch immer. So lag der Marktanteil elektronischer Bücher im ersten Halbjahr 2021 bei 7,9 Prozent. „Unsere Gesellschaft funktioniert in vielen Bereichen über die Informationsvermittlung von gedruckten Medien, die rein digital nicht gewährleistet werden kann", meint der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Druck und Medien (BVDM), Paul Albert Deimel. Er warnt vor einer „Trendverstärkung weg von Print und hin zu digitalen Kanälen". Das wäre „für die Menschen, die Demokratie und für die Wirtschaft fatal", meint Deimel.
Die Corona-Krise hat einen nicht unerheblichen Anteil an der Papiermalaise. Die Produktion grafischer Papiere sei bei den Papierproduzenten mehr und mehr zurückgeschraubt worden, erläutert Börsenvereinsprecher Koch. Damit konnte im Gegenzug mehr Verpackungsmaterial für den boomenden Internethandel produziert werden. Mit der Pandemie bekam der Onlinhandel noch mehr Aufwind. Doch die Ursachen der Papierkrise reichen weiter zurück als zu dem Zeitpunkt, als im chinesischen Wuhan das Sars-CoV-2-Virus ausbrach und die Welt in Atem hielt. Jan Wenzel erzählt von einem „harten Preiskampf" der vergangenen zehn Jahre. Danach seien viele Produzenten ausgestiegen. Die übrig gebliebenen Marktteilnehmer hätten das Kontingent eingeschränkt, um die Preise anzuheben. Sappi etwa, ein großer Papierfabrikant aus Südafrika, habe im vergangenen Jahr einen großen Teil seiner Jahresproduktion nach Asien verkauft, so der Verleger. „Dadurch gab es auf dem europäischen Markt Engpässe und Wartezeiten." Es werde für Verlage immer schwieriger, vor allem für besondere grafische Papiere, aber auch Pappen für Einbände oder Schuber kurzfristig zu ordern, sagt Branchenexperte Thomas Koch. „Die Folge ist, dass die Vorlaufzeiten um das Vier- bis Sechsfache steigen." Teilweise würden von Druckereien fest vereinbarte Aufträge wegen Materialmangel zurückgegeben. Insbesondere die kurzfristige Nachauflagenproduktion sei kaum möglich. Das heißt: „Verlage müssen gleich höhere Auflagen einplanen", so Koch. „Die Kalkulation wird dadurch massiv erschwert und das Risiko, die hohen Auflagen dann auch zu verkaufen, steigt."
Die Verlage stellen sich unterdessen auf Unwägbarkeiten ein. „Manch ein Produktionsberater fühlt sich an die Spätphase der DDR erinnert: Man muss mit den Materialien auskommen, die man hat", sagt der Verleger Wenzel. In seinem Hause wurden erste Konsequenzen gezogen. Der Leipziger Verlag musste im Frühjahr die Verkaufspreise erhöhen. „Wenn die Preise weiter ins Kraut schießen, müssen wir im Herbst eine weitere Anpassung vornehmen", so Wenzel. Irgendwie müssen Verleger die hohen Produktionskosten langfristig ausgleichen und die Preise anpassen, um nicht in wirtschaftliche Schieflage zu geraten. Bauchschmerzen bereiten den Verlegern auch die seit Januar andauernden Streiks in finnischen Papierfabriken. „Betroffen sind vor allem holzhaltige Rollendruckwaren wie Magazin- und Katalogpapiere", erläutert BVDM-Chef Deimel. Derzeit gebe es keine Anzeichen für eine baldige Beilegung des Konflikts. Auch bei einer sofortigen Lösung würde dies einen Ausfall von rund zwei Monaten bedeuten, da die Produktion erst wieder hochgefahren werden müsste.
Die offensichtlichen Folgen der Papierkrise werden zum Teil erst jetzt spürbar. Denn durch die Pandemie waren viele Buchläden geschlossen. Buchmessen fanden nicht statt. Produktionen wurden nach hinten verschoben. „Da es sich wieder normalisiert, machen sich die Störungen erst jetzt bemerkbar", sagt Jan Wenzel. Die Branchenexperten suchen nach Lösungen, auch kurzfristig. Bundesverbandschef Paul Albert Deimel etwa will, dass die EU-Kommission die „seit 2017 bestehenden Einfuhrzölle" für Rollenpapiere und leichtgewichtige gestrichene Papiere aus China kippt. „Wer immer noch meint, in der aktuellen Krise auf solche Sanktionen zum Schutz europäischer Produzenten setzen zu müssen, gefährdet die Wertschöpfungskette für Printprodukte endgültig", sagt er. Die Versorgung mit bezahlbarem Papier müsse jetzt im Vordergrund stehen. Wie geht es langfristig weiter mit der Buch- und Verlagsbranche? „Hatten wir es mit einer zwischenzeitlichen Störung zu tun, die mit der Pandemie verbunden war und sich jetzt langsam wieder legt?", fragt Jan Wenzel. „Oder haben wir es mit tiefergehenden Verschiebungen im industriellen Feld zu tun?" Noch hat der Kunstbuchverleger keine Antwort auf seine Frage.