Der ehemalige Berliner Abgeordnete Marcel Luthe hat mit der Good Governance Gewerkschaft (GGG) eine neue Arbeitnehmervertretung gegründet. Die Organisation richtet sich nicht nur an Angestellte.
Als Marcel Luthe noch im Berliner Abgeordnetenhaus saß, hielt er den Senat der Hauptstadt unermüdlich mit immer neuen medizinischen Studien und kritischen Fragen zu Anti-Corona-Maßnahmen auf Trab. Doch schon bevor das Sars-Cov-2-Virus erst im chinesischen Wuhan auftauchte und sich dann weltweit verbreitete, galt der ehemalige FDP-Abgeordnete als eifriger Fragensteller. Das brachte dem Wahl-Berliner in den lokalen Medien den Ruf als „Anfragenkönig" ein. Laut Recherchen der „Berliner Zeitung" soll er in seiner Zeit als Mitglied des Abgeordnetenhauses mehr als 2.000 Parlamentarische Anfragen gestellt haben. Jetzt ist der ehemalige FDP-Abgeordnete als Gewerkschaftsgründer aktiv. Vor Kurzem hat er eine neue Vereinigung gegründet: die Good Governance Gewerkschaft (GGG). Der Berliner Unternehmer ist zuletzt als Spitzenkandidat der Freien Wähler bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 in Erscheinung getreten. Jetzt ist er Bundesvorsitzender der GGG. Seine Stellvertreter sind Stefan Lutter, ehemaliger Profi-Sportler und Personalrat bei der Berliner Stadtreinigung, sowie der Opernsänger Ilja Martin von Brünken. Letzterer war ebenfalls Kandidat der Freien Wähler bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Allerdings kandidierte der Musiker nicht als Berliner Spitzenkandidat, sondern ließ sich für den Wahlkreis 3 im Berliner Bezirk Pankow aufstellen.
Anfragenkönig und Bundesvorsitzender
Schlägt man den Begriff „Good Governance" nach, etwa bei der Bundeszentrale für Politische Bildung, erfährt man, dass unter einer „gute Regierungsführung" ethische Grundsätze zu berücksichtigen seien. Insbesondere, steht da, dass die politische Führung auf „Rechtsstaatlichkeit und Transparenz bei politischen Entscheidungen" zu achten habe. Auch geht es um die „Vermeidung von Willkür, Korruption und Klüngelei, die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Gruppen und die Beachtung von Minderheitsrechten."
Tatsächlich hat sich Luthes neue Gewerkschaft vor allem die Rechte von Minderheiten mit auf die Fahnen geschrieben. Die GGG will speziell gegen restriktive Anti-Corona-Maßnahmen auftreten und gegen die Impfpflicht in Betrieben kämpfen. „Wenn eine Mehrheit – auch gewerkschaftlich – in die eine Richtung will, es aber nur eine Gewerkschaft gibt, die gegenüber Arbeitgeber, Gesetzgeber und Verwaltung auftritt, werden die beruflichen Interessen einer Minderheit gewerkschaftlich nicht vertreten", heißt es auf der Webseite. „Wir sollten schon aus der Vergangenheit gelernt haben, dass Dinge nicht als alternativlos dargestellt werden sollten nach dem Motto, dass der Bürger gefälligst das zu akzeptieren hat, was man ihm sagt", sagt Marcel Luthe. Das sei nicht das Leitbild des Grundgesetzes. Der Gedanke der „Good Governance" orientiere sich am Grundgesetz, „dem mündigen Staatsbürger, den es zu überzeugen" gelte. Auch in puncto Impfpflicht bezieht er sich auf das Selbstbestimmungsrecht, nach dem jeder „selbst eine Entscheidung darüber trifft, was mit seinem Körper geschieht oder nicht". Natürlich seien Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit grundsätzlich zulässig. Doch das erfordere eine detaillierte Grundrechtsabwägung, die mangels Erkenntnissen gegenwärtig nicht möglich sei.
Gewerkschaften betrachtet der Neugründer als Advokaten einer pluralistischen Gesellschaft. „Wir haben gehört, dass die anderen Gewerkschaften denjenigen, die bei dem Thema Impfpflicht eine andere Auffassung haben und nicht gegen ihren Willen geimpft werden wollen, kein Angebot machen", kritisiert Luthe. Gerade hier versagten etablierte Gewerkschaften, meint er. „Wir erleben minütlich, dass sich Menschen melden, denen entweder in schriftlicher Form gedroht wird oder in Ansagen wie ‚Wenn du nicht bis zum 15. März geimpft bist, dann wird dir direkt gekündigt‘", erläutert der 44-Jährige. Das sei rechtlich unhaltbar, so der neue Gewerkschaftler.
Gewerkschaften sind nicht nur für Arbeiternehmer da
In der Bewertung der Regierungspolitik gebe es gewerkschaftlich offenbar aktuell ein Meinungsmonopol, so Marcel Luthe. Die etablierten Gewerkschaften fungierten wie eine „Einheitsgewerkschaft", kritisiert er gegenüber FORUM. Die Aufgabe als GG-Gewerkschaft sehe er nicht darin, „Sprachrohr von Regierung und Arbeitgeber zu sein und deren Willen durchzusetzen". Denn, so führt er aus: „Demokratie lebt vom Wettbewerb". Mithilfe der neuen Arbeitnehmervertretung wolle man auch „Minderheiten wirksam vor Bevormundung schützen".
Erste Interessenten für die neue Arbeitnehmerorganisation gibt es bereits. In einem Gespräch mit FORUM spricht der Neu-Gewerkschaftler von einer Mitgliederzahl „im oberen dreistelligen Bereich". Es seien Menschen aus allen Branchen dabei, vorrangig aus medizinischen und Pflegeberufen, aber auch viele „aus Polizei und Justiz", sagt er. „Um in einem Betrieb mit unseren Informationen tätig zu werden, brauchen wir jeweils zumindest ein Mitglied in dem betreffenden Unternehmen", erläutert er. Mit der neuen Arbeitnehmervertretung will man diese Menschen durch eine Rechtsberatung und rechtliche Vertretung unterstützen. Die neue Gewerkschaft richtet sich Marcel Luthe zufolge auch, aber nicht nur, an Angestellte. „Ich muss mit dem Missverständnis aufräumen, dass Gewerkschaften zwingend nur für Arbeitnehmer da sind", erläutert er. „Wir haben in Deutschland grundsätzlich durch die Koalitionsfreiheit laut Grundgesetz Artikel 9 Absatz 3 das Recht für jedermann, sich einer Gewerkschaft anzuschließen." Das gelte auch für Freiberufler, aber auch für Schüler und Studenten, die eine Gewerkschaft gründen können.
Selbst Menschen im Ruhestand könnten sich bei der GGG engagieren. Auch würden der Neu-Gewerkschaftler und seine Mitstreiter dann in den „gewerkschaftlichen Arbeitskampf inklusive Streiks" treten. „Gewerkschaften müssen den Kuschelkurs der letzten Jahre überwinden und wieder gewerkschaftspolitisch mitgestalten. Stellen Sie sich vor, es gibt einen Warnstreik bei der BSR und dann wird ein paar Tage der Müll in Berlin nicht abgeholt", erzählt der Bundesvorsitzende. „Ich bin mir sicher, dass das rasch Wirkung zeigt und dazu führen wird, dass man überdenkt, wie man mit den Staatsbürgern in diesem Land umgeht."