In den ethnologischen Sammlungen deutscher Museen finden sich zahlreiche geraubte und geplünderte Objekte, die aus ehemaligen Kolonien hierherkamen. Durch die aktuelle Debatte um das Humboldt Forum ist nun die Diskussion um Restitutionen in vollem Gang.
Kunstvoll aus Holz gearbeitete Trommeln und verzierte Türrahmen eines Palastes auf der einen Seite, ein mit bunten Glassteinen reich bestückter Thron auf der anderen. So empfängt das Ethnologische Museum im Humboldt Forum seine Besucher. Während manche Besucher die Exponate als Kunstwerke bestaunen, werden bei anderen Fragen immer lauter: Wie sind die Objekte eigentlich nach Berlin gekommen und welche Bedeutung haben sie in ihren Herkunftsländern?
Die Ausstellungsstücke stammen aus Kamerun, eine der ehemaligen Kolonien Deutschlands in Westafrika. Jetzt werden sie ausgerechnet an dem Ort präsentiert, an dem die Hauptresidenz preußischer Könige und Kaiser stand, die für die blutige Eroberung vor allem mehrerer Gebiete Afrikas verantwortlich waren. Was Nachfahren einst kolonialisierter Völker davon halten, war bei der Eröffnung des Ethnologischen Museums und Museums für Asiatische Kunst Ende September letzten Jahres zu hören. Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie warf als Festrednerin den Deutschen vor, in ihrer imperialen Vergangenheit zu schwelgen. Sie hätten das Schloss eines Herrschers rekonstruiert, dessen Truppen in Südwestafrika Kinder, Frauen und Männer töteten.
Diskussion um Benin-Bronzen
Zu den deutschen Kolonien zählten von 1884 bis 1919 Deutsch-Westafrika (heute Togo), Kamerun, Ost Ghana sowie Teile von Guinea und Nigeria. Deutsch-Südafrika umfasste Namibia und Teile von Botsuana. Auch Tansania, Ruanda, Burundi, die nördliche Küste Kenias und ein Teil von Mosambik gehörten zu den deutschen Kolonien. Der Nordosten von Papua-Neuguinea, weitere Inseln im Pazifik und der südliche Teil der Provinz Shandong in China zählten ebenfalls dazu. Die deutsche koloniale Eroberung und Herrschaft war von alltäglicher Gewalt, Kriegen, Enteignung von Land und Zwangsarbeit geprägt. Nach dem Beschluss des deutschen Bundestages 1889 sollten alle Dinge, die durch Raub, Plünderung aber auch Schenkungen in die Hände von Militärs, Beamten, Missionaren und Teilnehmern von Forschungsreisen gerieten, in das Königliche Museum für Völkerkunde in Berlin geschickt werden. Mit diesen Objekten wurden die Sammlungen der Museen aufgebaut.
Die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte der ausgestellten Objekte, aber auch Bemühungen um ihre Rückgabe zählen laut Humboldt Forum zu dessen Kernthemen.
„Kolonialismus und seine Folgen sowie die Problematisierung aktueller Formen des Rassismus auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens sind wichtige Leitthemen für das Programm und Profil des Humboldt Forums", erklärt Generalintendant Hartmut Dorgerloh. Hierzu gehöre insbesondere die kritische Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte. Zuständig ist dafür ein mehrköpfiges Team internationaler Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen.
Mit der Diskussion um die Benin-Bronzen und ihrer von der Bundesregierung und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz beschlossenen Rückgabe in diesem Jahr ist nun Bewegung in den Umgang mit dem kolonialen Erbe der Museen gekommen. Benin City im Südwesten Nigerias war einst als Teil des Königreichs Benin eine florierende Handelsstadt und berühmt für ihre wertvollen Bronzearbeiten. Von hier stammen die Benin-Bronzen, die in vielen europäischen Museen zu bewundern sind. Bei einer sogenannten Strafexpedition fielen die Briten 1897 in Benin City ein. Sie verbannten den König ins Exil, zündeten die Stadt an, verwüsteten sie und raubten Tausende von Kunstobjekten, darunter bis zu 4.000 Bronzen. Rund 1.100 davon gelangten als Ankäufe nach Deutschland, allein 440 nach Berlin.
Wie Jonathan Fine, der Kurator und Leiter der Ethnologischen Sammlung am Humboldt Forum betont, sei der Austausch mit Kollegen aus Nigeria wichtig, um zu klären, was mit dem verstreuten kulturellen Erbe aus dem Königreich Benin passieren soll. „Dabei sind Dinge möglich geworden, die vor fünf oder zehn Jahren nicht möglich gewesen wären, und der Austausch hat dazu geführt, dass viele Museen jetzt bereit sind, Werke zurückzuführen", erklärt Jonathan Fine und fügt hinzu: „Und wenn Objekte zurückgehen, kann man sie durch Bilder oder 3D-Modelle ersetzen oder die Leerstellen kommentieren."
Auch in Frankreich kommt man an dem Thema Restitutionen von Raubkunst aus ehemaligen Kolonien nicht vorbei. Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin und am Collège de France in Paris, hatte schon vor einiger Zeit mit dem senegalesischen Sozialwissenschaftler Felwine Sarr einen viel beachteten Bericht für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Restitution afrikanischen Kulturguts an die Herkunftsländer verfasst. Macron erklärte daraufhin vor fünf Jahren in Burkina Faso, dass afrikanisches Kulturerbe in den nächsten Jahren zurückgegeben werde. Dazu zählen auch 26 Objekte aus der Republik Benin: etwa zweieinhalb Tonnen schwere und rund zwei Meter große Statuen, die Könige verkörpern, die in ihrem Herkunftsland eine große Bedeutung haben.
Obwohl der Impuls zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte und zur Rückgabe afrikanischer Objekte von Frankreich ausging, hält Felwine Sarr die deutsche Haltung für eine der fortschrittlichsten in Europa. „Das zeigt die Debatte um das Humboldt Forum und die Dekolonialisierung", sagt der senegalesische Ökonom. Zudem gebe es viele Museen, die sich zur Restitution entschlossen haben, wie das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum oder das Lindenmuseum in Stuttgart. Auch die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte sich entschieden für die Restitution ausgesprochen. „Wir sind also längst nicht mehr am Anfang, als es gebetsmühlenartig hieß: Wir machen erst mal Provenienzforschung", so Sarr. Deutschland habe sich bewegt.
Viele Museen planen eine Rückgabe
Er kritisiert jedoch, dass viele Institutionen Restitution durch Zirkulation ersetzen wollen. Restitution bedeute, dass jemand anderen etwas weggenommen hat, das jetzt zurückgegeben werden muss, bei einer Zirkulation werde die Frage nach dem Eigentum vermieden. Diese sei erst möglich, wenn die Objekte restituiert worden sind. Für Felwine Sarr geht es um mehr: „Es geht darum, dass Verhältnis von Afrika und Europa neu zu bestimmen."
Die großen Trommeln in der Gestalt eines Fantasietieres, die heute im Humboldt Forum stehen, hatten einst eine besondere Funktion. Sie waren über viele Kilometer hinweg zu hören, daher setzten die Trommler die Klänge zur Warnung vor Gefahren wie Krieg oder Feuer ein. Ihre Beschlagnahmung gehörte zur Kriegsstrategie, dann dadurch wurde die Kommunikation unter den Dörfern abgeschnitten. Der Thron von König Njoya von Bamum im heutigen Kamerun war unter deutschen Kolonialherren wie Museen begehrt. Der König weigerte sich, den Thron zu verschenken oder zu verkaufen und ließ eine Kopie für Kaiser Wilhelm II. anfertigen. Doch die Kopie wurde nicht rechtzeitig fertig. Missionare überzeugten den König, stattdessen den echten Thron seines Vaters an den Kaiser zu übergeben. Ob Njoya unter Druck gesetzt wurde oder sein Gesicht nicht verlieren wollte, ist eine noch zu klärende Frage.
Die Recherche wurde durch ein Stipendium der VG Wort im Rahmen von Neustart Kultur gefördert.