Einmal Hände waschen, ab in den Müll: Jedes Jahr werden weltweit Hunderttausende Kosmetikprodukte aus Hotelzimmern weggeworfen. Eine Firma in den USA will das ändern.

Check-out in den „Hilton Homewood Suites" nördlich von Atlanta: Zimmermädchen Carmelina Lopez rollt mit ihrem Reinigungswagen vor das kleine Apartment. Der Gast war ordentlich: Handtücher auf einem Stapel, Trinkgeld auf dem Kopfkissen, Müll getrennt nach Papier und Plastik. Und dann wären da noch die vielen kleinen Fläschchen neben dem Waschbecken: Shampoo, Conditioner, Bodylotion. Ein Stück Seife, kaum benutzt. Lopez nimmt die Fläschchen und wirft sie in einen Müllsack, der an ihrem Wagen hängt.
Die Szene ist kein Einzelfall. Jeden Tag werden in Hotels weltweit Hunderttausende Flaschen, Päckchen und Tuben mit Kosmetik weggeworfen. Hinzu kommen Seifenstücke und Geschirrspülmittel, das zusätzlich in Apartments mit Koch-Möglichkeit angeboten wird. So entsteht nicht nur ein enormer Berg an Plastikmüll. Es handelt sich außerdem um eine große Verschwendung, da viele Produkte von den Gästen nur einmal und manchmal auch überhaupt nicht benutzt werden.

Shawn Seipler wollte dabei nicht länger zusehen. „Ich habe früher in der IT-Branche gearbeitet", sagt der 45-jährige US-Amerikaner aus Orlando. „Da musste ich jede Nacht in einem anderen Hotel übernachten." Irgendwann, nach mehreren Drinks aus der Minibar, habe er aus einer Laune heraus die Rezeption angerufen. „Ich wollte wissen, was mit den ganzen Reinigungsmitteln passiert, wenn die Leute auschecken", sagt Seipler. „Als ich hörte, dass einfach alles weggeworfen wird, konnte ich es nicht fassen. Auf der ganzen Welt sterben Kinder wegen mangelnder Hygiene, aber wir entsorgen Seife, mit der sich jemand ein einziges Mal die Hände gewaschen hat."
Statt sich nur darüber zu ärgern, baute Seipler im Jahr 2008 eine kleine Versuchseinrichtung in seiner Garage auf. Von angebrochenen Seifenstücken schälte er die oberste Schicht ab. Dann zerkleinerte er sie in einem Fleischwolf, kochte die Masse, ließ sie trocknen und formte sie neu. „Die ganze Familie hat geholfen", sagt der Geschäftsmann und lacht. „Überall standen Kochtöpfe, in der Garage hat es den ganzen Tag gebrodelt und gezischt. Am Ende kam die Polizei vorbei, um zu schauen, was wir da machen. Hätte ja auch ein Drogenlabor sein können."
Heute ruft niemand mehr die Polizei. Aus Seiplers privater Seifenküche ist ein weltweit tätiges Unternehmen geworden: „Clean the World" sammelt Pflegeprodukte in Hotels ein, um sie zu recyceln. Dabei handelt es sich nicht nur um angebrochene Flaschen, sondern teilweise auch um nagelneue Kosmetik: „In manchen Häusern müssen die Zimmermädchen bei jeder Reinigung alles wegwerfen", sagt Seipler – so auch in den eingangs erwähnten „Homewood Suites" in Atlanta. Aber das Hotel macht beim Sammelprogramm von „Clean the World" mit. Der Müllsack, den Zimmermädchen Lopez füllt, landet am Ende in Seiplers Fabrik.
Recycelte Seife für Bedürftige

Die originalverpackten Flaschen gibt „Clean the World" als Spenden an Bedürftige weiter. Die angebrochenen Shampoo- und Duschgel-Behältnisse werden entleert und als Reinigungsmittel für Autowaschanlagen oder Golfbälle aufbereitet. „Die Plastikflaschen sind leider so verschmutzt, dass wir sie nur verbrennen können", sagt Seipler. „Aber so landen sie immerhin nicht auf der Deponie. Und die Energie, die bei der Verbrennung frei wird, können wir nutzen."
Bei der Seife läuft die Prozedur noch heute so ab wie damals in der Garage, nur im größeren Stil: In der Fabrikhalle in Orlando kommen jeden Tag zwischen 180.000 und 240.000 Stücke an. Sie laufen über ein Fließband und kommen in eine Zerkleinerungsmaschine. Danach wird eine Flüssigkeit hinzugegeben, die etwaige Keime abtötet. Anschließend erhält die Seife eine neue Form samt Verpackung. Zum Schluss spendet „Clean the World" das fertige Produkt für gute Zwecke – zum Beispiel an Obdachlosen-Unterkünfte in den USA, an Kinder auf Haiti oder an Hilfsbedürftige nach Unwetterkatastrophen weltweit.
Damit dieses Geschäftsmodell funktioniert, sammelt „Clean the World" zum einen Spenden für die karitative Arbeit. Zum anderen verlangt die Firma von den Hotels eine Abholgebühr. Seit Gründung der Firma im Jahr 2009 habe er 70 Millionen Seifenstücke verarbeitet und anschließend an Hilfsbedürftige verteilt. Laut Seipler arbeiten aktuell rund 7.000 Hotels mit „Clean the World" zusammen – vor der Pandemie seien es sogar 8.000 gewesen. „Manche Hotels haben sich von den Lockdowns nie wieder erholt", sagt Seipler. Trotzdem blickt er positiv in die Zukunft. „Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit setzt sich immer mehr durch. In Europa haben wir gerade erst eine Dependance in Amsterdam eröffnet."

Wurde Seipler am Anfang oft schief angeschaut, wenn er seine Idee vorstellte, arbeiten heute große Ketten wie Hilton mit der Recycling-Firma zusammen. Andere Unterkünfte verabschieden sich komplett von Einweg-Produkten. „Wir haben drei Jahre lang mit Clean the World kooperiert", erklärt Vesko Ivanov, Hotel-Manager im „Legacy Vacation Resort" in Orlando. 2020 aber habe man auf nachfüllbare Spender umgestellt. „Das ist auch aus finanzieller Sicht besser für uns", sagt Ivanov, „denn jetzt haben wir ein Produkt, das genutzt wird, bis es leer ist." Körperlotion gibt es in seinem Haus gar nicht mehr. „Da bringen sich die Leute sowieso ihre Lieblingsmarke selbst mit", ist sich der Hotelchef sicher.
Die großen Ketten ziehen nach. So setzt der Marriot-Konzern seit 2021 in allen Häusern nur noch auffüllbare Pump-Spender ein. 500 Millionen Einwegflaschen können laut Angabe des Unternehmens jährlich auf diese Weise eingespart werden. Auch viele Hilton-Häuser stellen zunehmend auf Mehrweg-Produkte um. Die ADA Cosmetics International GmbH, der Marktführer für Hotelkosmetik in Europa, kann diesen Trend bestätigen. Der Marktanteil für Einwegflaschen nehme ab, heißt es aus der Firma.
Neigt sich das Geschäft von „Clean the World" also dem Ende zu, bevor es richtig begonnen hat? Shawn Seipler sieht es nicht so. Er verweist auf eine Studie aus dem Jahr 2011, die eine hohe bakterielle Belastung bei nachfüllbaren Seifenspendern nachgewiesen hat. Aus hygienischer Sicht seien Einwegprodukte daher immer noch die bessere Wahl. Beim Kosmetik-Hersteller ADA kennt man die Studie. Doch auch dafür gebe es eine Lösung: Die großen Flaschen werden im Ganzen ausgetauscht. Dadurch fällt zwar immer noch Plastikmüll an, aber deutlich weniger. „Eine Kartusche ersetzt 20 bis 25 kleine Portionen pro Monat und reduziert Kunststoff- und Flüssigkeitsabfälle zwischen 75 und 85 Prozent", erklärt ADA.
Größere Flaschen reduzieren Abfälle

Vor allem in den USA sind einzeln verpackte Seifenstücke nach wie vor ein Muss in vielen Hotels – selbst in denen, die im Shampoo-Bereich auf Mehrweg-Lösungen umgestiegen sind. „Das gehört hier einfach dazu", sagt Clean-the-World-Chef Seipler. „Da haben wir bisher noch keine großen Veränderungen festgestellt." Die Zahl der kleinen Fläschchen dürfte hingegen auf lange Sicht weiter abnehmen: Immer mehr Städte und auch komplette Bundesstaaten verbieten Einweg-Verpackungen im Gastgewerbe. In Kalifornien sind sie ab 2023 nicht mehr erlaubt, in New York ab 2024.
Auch „Clean the World" versucht, sein Geschäftsmodell noch nachhaltiger zu gestalten. „Auf lange Sicht zielen wir darauf ab, die Shampoo- und Duschgel-Flüssigkeiten in den Kreislauf zurückzubringen", sagt Shawn Seipler. „Es wäre toll, wenn man daraus noch einmal Shampoo machen könnte." Aktuell sei das nicht möglich, da in der Fabrik zu viele Flaschen mit unterschiedlichen Produkten angeliefert würden. Auch gebe es nach wie vor hygienische Bedenken. „Aber auch für dieses Problem gibt es sicher bald eine technische Lösung", blickt Seipler optimistisch in die Zukunft. Im Notfall muss er eben wieder in seiner Garage daran basteln.