Die anthropogene Lärmbelastung der Meere wurde bislang in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, obwohl sie gravierende Folgen für zahlreiche Ozeanbewohner hat. Konkrete Vorschläge zur Lärmreduzierung gibt es.
Es gibt sie nicht mehr. „Die schweigende Welt", jene stillen, nahezu lautlosen Tiefen der Ozeane, wie sie der französische Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau noch 1956 in seinem gleichnamigen Film dokumentierte. Der Mensch hat seitdem durch mit steigendem Lärm verbundene Rohstoffsuche oder Ölförderung im Meeresboden, durch den Bau von Bohrinseln oder Offshore-Windparks, militärische Schallortungen oder die Zunahme des Schiffsverkehrs die speziellen Klanglandschaften der Ozeane grundlegend verändert. Dadurch wurden auch die Lebensräume vieler Meeresbewohner dramatisch beschädigt, denn es ist deutlich lauter geworden in den Ozeanen.
Tiere fliehen in ruhiges Gewässer
Der Menschenlärm überlagert zunehmend die Laute der Tiere und kann dadurch den Austausch akustischer Signale in den Ozeanregionen behindern, die in völlige Dunkelheit gehüllt sind. Diese Signale sind für viele Meeresbewohner wichtig zur Orientierung, bei der Jagd, zur Partnerwerbung, zur Verteidigung des Territoriums und zur Übermittlung einer Kampfbereitschaft.
„Klang verbreitet sich unter Wasser relativ schnell und trägt Informationen über größere räumliche Entfernungen als andere Reize wie etwa Licht oder chemische Stoffe. Als Folge davon verfügen Meerestiere über ein großes Spektrum an Rezeptoren, um Töne wahrzunehmen", so die Hintergrundinformation eines internationalen Forscherteams aus elf Staaten unter Leitung des Ozeanwissenschaftlers Prof. Carlos M. Duarte von der King-Abdullah-Universität im saudi-arabischen Thuwal. Das aus 25 Experten bestehende Team hatte eine im Fachmagazin „Science" im Februar 2021 publizierte Bestandsaufnahme der anthropogenen marinen Geräuschkulisse-Veränderungen gemacht und gleichzeitig im Sinne eines dringend nötigen Lärmschutzes für die Meere praktikable Konzepte vorgelegt, mit denen der negative Prozess relativ kurzfristig gedämmt werden könnte.

Den Forschern zufolge begann die maritime Lärmbelästigung durch den Menschen erst vor rund 200 Jahren mit der industriellen Revolution. Davor wurden die Klanglandschaften des Meeres nur gelegentlich durch geologische Ereignisse wie Seebeben, das Krachen von Eis oder den Ausbruch von Unterwasservulkanen gestört. Inzwischen durchdringt anthropogener Lärm fast alle Meeresregionen. Das hat die Folge, dass Tiere nicht mehr richtig kommunizieren können, sich in ihrem Lebensraum nicht mehr zurechtfinden, Schwierigkeiten beim Nahrungsaufspüren haben und Feindesgefahr nicht mehr rechtzeitig wahrnehmen können. „Viele treiben orientierungslos herum", so Prof. Carlos M. Duarte und fügt hinzu: „Von der kleinen Auster bis zum riesigen Blauwal sind alle Lebewesen betroffen." Zu den wenigen Bereichen, in denen die natürlichen Klanglandschaften noch weitgehend erhalten sind, zählt laut den Forschern das Weddellmeer in der Antarktis. Aber selbst dort sei die Zahl der Blauwale seit dem frühen 20. Jahrhundert um fast 98 Prozent zurückgegangen. Besonders stark von der menschlichen Lärmverschmutzung betroffen sind laut den Forschern die Nordsee, die US-Ostküste und die gesamten asiatischen Küstenregionen. Um dem menschlichen Lärm zu entkommen, fliehen viele Meerestiere in ruhigere Gewässer, was jedoch nicht für alle Arten möglich ist.
Dass Unterwasserlärm direkte Auswirkungen auf das Verhalten von Ozeanbewohnern hat, konnten die Wissenschaftler nach Auswertung von 538 Studien nachweisen, die in den letzten 40 Jahren veröffentlicht worden sind. Für Meeressäuger, Fische und Wirbellose sind die Belege eindeutig, weniger klar ist die Datenlage für Robben, Reptilien wie Meeresschildkröten oder Meeresvögel wie Pinguine. „Dass zum Beispiel Schweinswale in der Nordsee bei Rammarbeiten in Windparks flüchten, wissen wir schon lange", so die Forscher, „die von uns ausgewerteten Studien verdeutlichen aber, dass noch ganz andere Tierarten auf Lärm reagieren – etwa Nesseltiere, zu denen Quallen gehören, und sogar Muscheln." Durch die Dezimierung der lautstarken Walpopulationen oder die Zerstörung von Korallenriffen mit den dort beheimateten Lebewesen, beispielsweise den zu den Garnelen zählenden Knallkrebsen, die beim Beutefang mit ihren Scheren schussartige Töne produzieren, wurde lokal sogar eine partielle Reduzierung der natürlichen Geräuschkulisse verursacht. Rund um das australische Great Barrier Reef seien die natürlichen Geräusche zwischen 2015 und 2017 um 75 Prozent verringert worden. In der Arktis hat der Schwund des Meereises im Zuge des Klimawandels die natürliche Akustik der Meeresumwelt grundlegend verändert.
Problematisch ist laut Forschern vor allem, dass sich die Tonhöhen des menschengemachten Lärms größtenteils mit Frequenzen überschneiden, die für die Tiere am wichtigsten sind. Selbst temporäre Geräuschemissionen, wie sie beispielsweise die zur Rohstoffsuche eingesetzten Knallkanonen verursachen, können bei Meeresbewohnern zu chronischen Hörschäden führen. Das konnte bei Robben und Schweinswalen auch schon dokumentiert werden. Die von Umweltaktivisten als Folge von Unterwasserlärm immer wieder ins Feld geführten Walstrandungen wurden von den Wissenschaftlern nicht berücksichtigt, weil es bislang keinen sicheren Beleg für die Mortalität der Meeresssäuger als direkte Folge von Lärmeinfluss gebe. Sehr bedenklich ist allerdings der wachsende Schiffsverkehr. „In den letzten 50 Jahren hat der stärkere Schiffsverkehr", so die Forscher, „den niederfrequenten Lärm entlang der Hauptrouten um schätzungsweise das 32-fache verstärkt." Dazu kommen Schallimpulse aus dem militärischen Bereich zum Orten von U-Booten, das Dynamitfischen in vielen Küstenregionen Südostasiens und Afrikas, das Einrammen von Verankerungen in den Meeresboden beim Bau von Bohrinseln und Offshore-Windparks oder der Einsatz seismischer Druckluftkanonen auf der Suche nach maritimen Bodenschätzen.
Sensible Bereiche im Meer umgehen
Bislang werde die menschliche Lärmbelastung der Meere öffentlich viel zu wenig wahrgenommen, weil das Thema laut den Forschern nicht so plakativ wie etwa bei der Plastikmüllverschmutzung der Strände vermittelt werden könne. In internationalen Umweltvereinbarungen wie dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt taucht es überhaupt nicht auf. Nur in der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie der Europäischen Union wird Lärm ausdrücklich als Stressfaktor für die Ozeanbewohner anerkannt, und die Mitgliedsstaaten werden dazu aufgefordert, die maritime Lärmproduktion zu überwachen und möglichst zu reduzieren. „Eine Weiter-so-Entwicklung der meeresbasierten Wirtschaft wird unweigerlich zu immer mehr Lärm führen durch die Entwicklung der Küstenschifffahrt, seismische Erkundungen, Militäroperationen, Bagger- und Rammarbeiten sowie Tiefseebergbau, mit wahrscheinlich wachsendem Einfluss auf die Meeresbewohner", so die Forscher. Allerdings sei Schall im Unterschied zu Treibhausgasen oder Chemikalien eine relativ kontrollierbare Umweltbelastung. „Natürlich lassen sich nicht alle Lärmquellen im Meer wie zum Beispiel der Ausbau der Windkraft und die Handelsschifffahrt komplett abstellen. Dennoch lässt sich der Meereslärm durch verschiedene Maßnahmen sehr gut reduzieren." Etwa: Regulierung der Schifffahrtsrouten durch Umgehung sensibler Bereiche, Tempolimits für besonders laute Schiffe, deren Propeller durch leisere Konstruktionen ersetzt werden sollten, Inbetriebnahme von Schiffen mit Elektromotoren, Einsatz schallminimierter Technologie beim Tiefseebergbau oder Vorschrift zur Verwendung lärmdämpfender sogenannter Blasenschleier beim Einrammen von Offshore-Windpark-Pfählen. „Die Erholung kann fast sofort eintreten", so Duarte. Und er sagt weiter: „In einer Ära, in der die Gesellschaft immer stärker auf die ‚blaue Ökonomie’ als Quelle für Ressourcen und Wohlstand blickt, ist es wichtig, die maritimen Klangkulissen verantwortungsvoll zu managen und die nachhaltige Nutzung der Ozeane sicherzustellen."