Die Bundesregierung hat angekündigt, dass ukrainische Flüchtlinge schnell und unbürokratisch in Deutschland eine Arbeit aufnehmen können. Geht es wirklich so einfach? Wie steht es mit der Anerkennung ausländischer Zertifikate?
s klingt bei allem Unglück so praktisch: In Deutschland fehlen Fachkräfte. Aus der Ukraine flüchten derzeit täglich Fachkräfte, gut ausgebildete Menschen, die gern arbeiten wollen. Die Hälfte hat sogar ein Studium abgeschlossen. Sie brauchen kein langes Asylverfahren, Ukrainer dürfen sich ohne Visum für 90 Tage (Verlängerung möglich) überall in Deutschland aufhalten. Also: Willkommen, die Lücke ist geschlossen.
Wenn es so einfach wäre! Da sind zunächst einmal die Zahlen: In Deutschland waren laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zuletzt (4. Quartal 2021) 1,7 Millionen offene Stellen registriert. Aus der Ukraine sind bisher rund 270.000 Menschen nach Deutschland geflohen, vorwiegend Frauen und Kinder. Sie werden eine Kinderbetreuung brauchen, wenn sie arbeiten wollen. Männer ab 18 bis 60 Jahre müssen zu Hause bleiben und sich für den Kampfeinsatz zur Verfügung halten. Die wenigsten Geflüchteten wollen sich auf längere Zeit verpflichten, denn wenn der Krieg vorbei ist, wollen sie zurück in ihre Heimat. Und erst wenn die Qualifikation passt und zumindest rudimentäre Sprachkenntnisse vorhanden sind, funktioniert es auch mit der Einstellung.
Die Ukrainer werden das deutsche Fachkräfteproblem nicht lösen können. Das räumt auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ein: „Es ist nicht so, dass wir die Menschen als Fachkräfte betrachten, sondern erst mal als Menschen", sagte er im Deutschlandfunk. Es müsse jetzt in erster Linie darum gehen, die Ankommenden zu versorgen.
Tönnies, der Fleischkonzern, hat da wieder den Vogel abgeschossen: Vertreter der Firma stehen direkt an der Grenze mit Handzetteln und versuchen, Frauen für die Arbeit in der Fleischzerlegung zu gewinnen. Wer Flüchtlinge so überwältigt statt sie erst einmal ankommen zu lassen, zeigt, dass es ihm nicht um die Menschen geht.
Automatischer Aufenthaltsstatus
Was stattdessen möglich ist, zeigt die Initiative einiger Unternehmer. So ist „Job Aid Ukraine" eine von mehreren Jobbörsen, die sich direkt an geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer richtet. Die Idee zu ihrer Jobplattform hatten Christian Weis, Inhaber eines Kölner Wirtschaftsportals, und Markus Diekmann, Geschäftsführer des Bocholter Fahrradherstellers Rose Bikes. Sie wurden durch eine Bekannte darauf gestoßen, eine junge Frau aus der Ukraine. Polina ist mit ihrer kleinen Schwester nach Deutschland geflohen und wohnt jetzt bei den Diekmanns. Ihren 20-jährigen Bruder und ihre Mutter musste sie in ihrem Dorf im Südwesten der Ukraine, nahe der Grenze zu Rumänien, zurücklassen.
Die Jobbörse ist kostenlos und soll den Geflüchteten eine Perspektive vermitteln. „Job Aid Ukraine" ist auf Englisch und Ukrainisch. Arbeitgeber können Stellenanzeigen schalten, Geflüchtete auf Jobsuche gehen. Die Resonanz sei riesig, sagt Weis. Seit dem 2. März ist das Portal online, am 15. März zählte Weis bereits 4.738 Stellenanzeigen. Schwerpunkte seien IT, Handel, Gastronomie und Landwirtschaft, häufig Festanstellungen. Auf der Plattform schalteten auch zunehmend Arbeitgeber aus europäischen Metropolen Stellenanzeigen.
In Berlin hatten zwei ukrainische Unternehmer aus der ukrainischen Community eine ähnliche Idee. Sie gründeten Anfang März eine europäische Jobplattform für Geflüchtete aus der Ukraine: das Portal „UA Talents". Dort können Unternehmen aus ganz Europa ihre offenen Stellen für Menschen aus der Ukraine, die durch den Krieg ihre Arbeit verloren haben, ausschreiben. Die Plattform wird von den in Berlin ansässigen ukrainischen Unternehmern Ivan Kychatyi und Nikita Overchyk betrieben. Ihr Schwerpunkt liegt auf Stellen im Technologiesektor. Es sei aber geplant, das Angebot schnell auf andere Sektoren auszudehnen, meint Ivan Kychatyi. Die Initiative wird von wichtigen Risikokapitalgebern aus Deutschland unterstützt wie zum Beispiel Food-Labs, HV Capital, Earlybird und Project. Außerdem haben Unternehmen wie Flink, Stepstone und der Axel Springer Verlag nach Angaben der Initiatoren eine Unterstützung zugesagt.
„UA Talents" hilft Menschen aus der Ukraine, die in ein anderes europäisches Land geflohen sind, aber auch Flüchtlingen im eigenen Land, die etwa von Mariupol in den Westen nach Lwiw geflohen sind. Sie sollen von ihrem neuen sicheren Standort arbeiten können. Das Ziel der Gründer sei es, dass Geflüchtete aus der und innerhalb der Ukraine schnell eine Beschäftigung in ihrer neuen Heimat oder durch Fernarbeit finden können, heißt es bei UA Talents.
Mütter benötigen Kinderbetreuung
Doch auch wenn die Bereitschaft der deutschen Unternehmen groß ist, den Flüchtlingen zu helfen, es gilt immer noch: Wer in Deutschland arbeiten will, braucht eine Aufenthalts- und eine Arbeitserlaubnis. Laut der EU-weit geltenden Massenzustrom-Richtlinie müssen ukrainische Geflüchtete in Deutschland und allen anderen EU-Ländern kein normales – üblicherweise langwieriges und bürokratisches – Asylverfahren durchlaufen. Stattdessen bekommen sie automatisch einen Aufenthaltsstatus. Der entspricht dem deutschen § 24 Aufenthaltsgesetz. Danach besteht ein Recht auf Bildungsangebote für Erwachsene beziehungsweise Zugang zum Bildungssystem für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, auf medizinische Versorgung, auf Sozialleistungen und auf eine angemessene Unterbringung beziehungsweise finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft. Im Prinzip ist auch die Aufnahme einer Arbeit erlaubt, aber die erteilt die Ausländerbehörde nur formell.
Denn erst beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) kann der Geflüchtete erfahren, ob sein Beruf anerkannt wird oder ob er eine zusätzliche Qualifikation, einen Kurs, eine Schulung, eine Zusatzprüfung braucht. Das BIBB hat eine Webseite, auf der die zuständigen Beratungsstellen für jedes Bundesland zu finden sind (www.anererkennung-in-deutschland.de) Zunächst gibt es eine Unterscheidung in reglementierte und nicht reglementierte Berufe. Zu den reglementierten gehören beispielsweise medizinische Berufe, Berufe im Rechtswesen, das Lehramt an staatlichen Schulen und andere Berufe im öffentlichen Dienst. Die meisten anderen Berufe sind nicht reglementiert, dennoch kann eine Anerkennung des eigenen Abschlusses sinnvoll sein, um eine Stelle zu finden, die der eigenen Qualifikation entspricht, rät das Infoportal Haufe Online (haufe.de/personal).
Das kann bedeuten, dass eine voll ausgebildete Krankenschwester, die in Kiew vielleicht eine ganze Station geleitet hat, in Deutschland erst einmal eine Zusatzausbildung inklusive Prüfung absolvieren muss, wenn sie als Krankenschwester (Pflegefachkraft) arbeiten möchte. Das kann unter Umständen Monate dauern, wenn auch noch ein Sprachkurs erforderlich ist.
Zahntechniker aber ist ein nicht reglementierter Beruf. Auch hier gibt es ein Anerkennungsverfahren, das über die Handwerkskammer läuft. Das muss aber nicht zwingend durchlaufen werden. Ein Unternehmer oder ein Handwerksmeister, der sich vielleicht während eines Praktikums davon überzeugt hat, dass sein Bewerber über ausgezeichnete berufliche Kenntnisse und handwerkliches Geschick verfügt, kann ihn auch direkt einstellen.
Die Jobbörsen, die nicht nur in Berlin und Köln entstehen, können da ein gutes Stück weiter helfen. Für handwerkliche und landwirtschaftliche Berufe zum Beispiel gibt es Bedarf. Denn oft ist es hilfreicher, wenn sich Menschen direkt begegnen und über ihre Erwartungen und Qualifikationen austauschen, als wenn jemand lange Bewertungsbögen, Tests und Formulare ausfüllen muss. Sowohl das beschleunigte Verfahren zur Aufenthaltserlaubnis als auch die Bereitstellung von Jobangeboten, die direkt auf ukrainische Flüchtlinge zugeschnitten sind, können helfen, das Leben in Deutschland zu erleichtern. Auch wenn viele zurück möchten: Momentan weiß niemand, wie lange der Krieg in der Ukraine noch dauern wird.