In Forschungsinstituten und von Verbänden werden aktuell Lösungen entwickelt, um künftig unabhängiger von Russlands Energielieferungen zu sein. Zudem werden Forderungen gestellt, um erneuerbare „Freiheitsenergien" zügig für alle zugänglich zu machen. Und für die Zeiten zu speichern, in denen gerade keine Sonne scheint oder kein Wind weht.
Der Supergau im Atomkraftwerk Fukushima im März 2011 brachte die Bürger Japans dazu, im darauffolgenden Sommer 15 Prozent Strom einzusparen. Davon erzählt Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu), angesichts der Energiespar-Notwendigkeiten infolge der russischen Politik. „Da wurden im Sommer 2011 15 Prozent Strom eingespart, allein durch verhaltensbedingte Maßnahmen", berichtet der ifeu-Fachbereichsleiter Energie aus einer Studie mit dem Titel: „Saving Electricity in a Hurry". „Das heißt, das ist wirklich etwas, was wir tun können. Stromsparen ist Gas, Öl und Kohle sparen."
Stromfresser unter den Geräten gegen sparsame Neuentwicklungen austauschen, Tempo 100 auch im Elektroauto am besten nicht überschreiten und nicht vergessen, Bildschirme und Lichter auszuschalten. Das sind eigentlich alles Selbstverständlichkeiten, deren Effizienz sich jedoch umkehren kann. Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg warnt vor einem Effekt, wie ihn die Nutzung ökonomischer LED-Lichter auf die Menschen hatte: „Wir müssen schauen, dass wir nicht dadurch, dass die Energiegeräte sparsam sind, uns wieder mehr Geräte anschaffen, mehr Geräte in Betrieb lassen, sondern dass wir wirklich auch die Einsparungen, die die Geräte bringen, nutzen und so dann Strom sparen."
Digitalisierung spielt eine wichtige Rolle
Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg, hat eine klare Vorstellung davon, wie in ganz Deutschland Beiträge zur Energieunabhängigkeit erzeugt werden können: „Jedes Dach vollmachen mit Photovoltaik. Es lohnt sich." Der europäischen Preisvergleichsplattform Idealo zufolge hat sich die Nachfrage nach Photovoltaik-anlagen, die zur Produktion von Solarstrom im Eigenheim genutzt werden, seit vergangenem Jahr beinahe versechsfacht: Auf Idealo seien diese im Februar 2022 um rund 550 Prozent gefragter als noch im Vorjahresmonat gewesen.
Wind- und Photovoltaikanlagen für die Stromerzeugung erheblich stärker auszubauen hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz für Mitte April angekündigt. Angeschoben durch geeignete Gesetzesänderungen zugunsten einer beschleunigten Energiewende.
Der Forschungsverbund Erneuerbare Energien in Deutschland, kurz FVEE, hat eine Aufgabenliste verfasst, um diese EE-Strommengen nutzbringend in das Energiesystem zu integrieren: Ein flexibles Energiesystem als Ziel soll sehr große Mengen volatiler, also schwankender, Wind- und Sonnenenergie integrieren. Dafür müsse es flexibel auf Schwankungen in Angebot und Nachfrage reagieren können. Zudem gehört zu seinem Job, die vielen dezentralen Erzeuger und Speicher technisch und digital so miteinander zu verknüpfen, dass das Beste dabei herauskommt. Oder in der Sprache der FVEE-Forscher, dass „alle Flexibilitätsoptionen zu einem optimalen Gesamtergebnis integriert werden".
Künstlicher Intelligenz kommt im FVEE-Katalog die Aufgabe zu, der Wirtschaft dabei zu helfen, die Energieversorgung weiterzuentwickeln. Außerdem sollen die „denkenden" Maschinen Angebote für zeitlich flexible, systemdienliche Energienachfrage austüfteln, etwa variable Stromtarife. Virtuelle Kraftwerke sollen nach FVEE-Vorstellung die Komplexität von verteilten Erzeugern, Speichern und flexiblen Lasten reduzieren, indem sie im Kraftwerksmaßstab bündeln und steuern.
Bruno Burger, Spezialist für Leistungselektronik und Netztechnologien im Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, wünscht sich Tempo bei der Umsetzung der Energiewende: „Und dann müssen wir so viel Strom produzieren, wie es nur geht. Parallel dazu müssen wir auch Batterien installieren." Die erneuerbaren Energien schwankten in ihrer Erzeugung und auch ihr Verbrauch im Laufe eines Tages. „Wir müssen einen Ausgleich praktisch sekundenscharf zwischen Erzeugung und Verbrauch machen. Das machen wir mit Batterien, dort fallen die Preise auch sehr."
Nehmen wir einfach Autobatterien her, um Wind und Solarenergie zu speichern? „Nein", sagt Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg, dazu. „Wenn Sie alle Autos in Deutschland elektrifizieren und ans Stromnetz hängen, dann reicht es vielleicht für sechs Stunden. Deswegen: Wir müssen da ins Gasnetz rein, neben Batterien und Pumpspeichern." Sterners Begründung: „Die Gasspeicher können über drei Monate lang über entsprechende Gaskraftwerke, die wir ohnehin brauchen, (…) die Versorgung garantieren."
Der Forschungsverbund FVEE drängt auf technische Lösungen zur Flexibilisierung der Energieversorgung, damit die Energie variabel verfügbar ist. Zu einem flexiblen technischen Versorgungssystem gehören Energiespeicher und -netze, PtX-Wandlungstechnologien, die Energieüberschüsse in andere Energieformen überführen, das Management flexibler Lasten beispielsweise in der Industrie sowie die erforderliche Steuerungs- und Regelungstechnik. Der Politik weisen die Forscher dabei beispielsweise die Aufgabe zu, stationäre Netzspeicher an unterschiedlichen Stellen im Stromnetz einzubinden und die Nutzung von Technologien zur direkten Erzeugung erneuerbarer Wärme im Hinblick auf deren Systemintegration über Roadmaps für Tiefengeothermie, Solarthermie und Wärmenetze weiter zu fördern.
„Um Energie zu sparen, brauchen wir nicht nur die klassische energetische Sanierung, sondern vor allem eine smarte Steuerung von Heizungsanlagen – in Gewerbeimmobilien ebenso wie in Privathaushalten. Wir brauchen eine digitale Renovierungswelle", sagt Bitkom-Präsidiumsmitglied Matthias Hartmann. Dabei hat er besonders auch ältere Bestandsbauten im Blick. Es seien die Gebäude aus den 40er-, 50er-, 60er- und 80er-Jahren, die gebraucht würden, um mithilfe von Digitalisierung energieeffizienter zu leben.
Photovoltaik fürs Eigenheim sehr stark nachgefragt
Bei der digitalen Unterstützung der Energiewende im eigenen Heim hat Deutschland gegenüber anderen Ländern noch viel Luft nach oben. Einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom zufolge nutzt derzeit knapp ein Fünftel der kurz vor der Ukraine-Krise befragten Menschen smarte Heizkörper und Thermostate, die in der Lage sind, die Temperatur in der Wohnung optimal anzupassen – etwa abhängig davon, ob gerade gelüftet wird, ob Menschen im Raum sind oder sogar mit Blick auf die Wettervorhersage.
„Das Vorziehen des Ausbaus von geplanten Anlagen im Bereich Wind und Photovoltaik ist (…) ebenso zu begrüßen wie die vorzeitige Installation von zehn Millionen Wärmepumpen in den nächsten fünf Jahren und die größere Ambition bei Biogas und grünem Wasserstoff", sagt die Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) und frühere Geschäftsführerin der Agentur für Erneuerbare Energie, Dr. Simone Peter. Unter seinem Dach bündelt der Verband die Interessen von 50 Verbänden und Unternehmen aus den Branchen der Wind-, Bio- und Solarenergie sowie der Wärmepumpe, Geothermie und Wasserkraft. Er vertritt 30.000 Einzelmitglieder, darunter mehr als 5.000 Unternehmen mit 316.000 Arbeitsplätzen und rund 6,5 Millionen Anlagenbetreiber. Das Ziel des BEE: 100 Prozent Erneuerbare im Strom-, Wärme- und Verkehrssektor.
Die Europäische Kommission hatte in einer Anfang März veröffentlichten Mitteilung ein Maßnahmenpaket zur Reduzierung der Abhängigkeit von russischen Erdgasimporten beschlossen. Dieses beinhaltet auch eine deutliche Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer Energien in der EU. Der BEE begrüßt die Pläne und fordert deren schnelle Umsetzung in allen Mitgliedsstaaten sowie die zügige Verabschiedung der relevanten Richtlinien und Verordnungen. Dabei sollte nach BEE-Vorstellung auch das Ambitionsniveau für den Ausbau der Erneuerbaren bis 2030 auf mindestens 45 Prozent weiter angehoben werden.