Virtuelle Haltestellen, Elektro-Taxis, Buchung per App: Viele Städte testen neue Modelle für den Nahverkehr. Kommen da die Fahrgäste noch mit? Ein Besuch in Wuppertal.
Aus dem Nebel der Wupperberge kommt sie angeschwirrt: die Zukunft. Ein hellblaues Elektroauto, Modell LEVC TX, surrt durch ein Wohngebiet im Stadtteil Elberfeld. Es sieht genauso aus wie die berühmten Taxis in London, wird jedoch von den Wuppertaler Stadtwerken betrieben. Die sogenannten „WSW Cabs" verfügen über gelbe Haltegriffe, eine Sitzbank und drei Klappsitze. Auf der Motorhaube steht „hol mich app", ein Wortspiel, das Fahrgäste daran erinnert, wie man dieses Verkehrsmittel bucht: ausschließlich per App.
„Ich war am Anfang auch skeptisch", sagt Martin Dönch, der Projektleiter der WSW Cabs. „Aber der Slogan kommt wirklich gut an." Um das moderne Gefährt zu buchen, müssen Fahrgäste zum Handy greifen, die „Hol mich"-App installieren, ihre Kreditkartennummer oder ihre Paypal-Daten eingeben und danach einen Startpunkt wählen. Dann surrt ein hellblaues Elektro-Taxi herbei, um Fahrgäste an einer „virtuellen Haltestelle" abzuholen. Einen festen Fahrplan gibt es nicht; stattdessen plant ein Computer die Strecke so, dass unterwegs möglichst viele Personen zusteigen.
„Wenn ich superpünktlich irgendwo hin muss, ist das WSW Cab nicht die beste Wahl", räumt Dönch ein. Für den Freizeitbereich sei es hingegen ideal: „Vor allem am Wochenende, wenn die Leute feiern gehen, sind wir fast immer ausgebucht." Sechs solcher Elektro-Taxis gibt es derzeit in Wuppertal, sie sind in drei Stadtteilen aktiv. Im April kommen zwei weitere hinzu. Das Ganze ist Teil eines Forschungsprojektes im Bergischen Städtedreieck Solingen, Wuppertal, Remscheid, das die Mobilität der Zukunft ergründen soll. „Richtig spannend wird es, wenn die Autos irgendwann autonom fahren", sagt Dönch. Dann könnten die hellblauen Flitzer ihr Potenzial voll ausschöpfen.
Buchung nur per App möglich
Noch sind die „Cabs" allerdings nicht viel mehr als eine aufpolierte Version des klassischen Sammeltaxis, wenngleich eine komfortable. Im Fahrgastraum lässt sich die Temperatur verstellen, es gibt ein Glasdach und eine ausfahrbare Rampe, um Personen mit Rollstuhl an Bord nehmen zu können. Über eine Gegensprechanlage lässt sich der Kontakt mit dem Fahrer herstellen, der hinter einer Plexiglasscheibe sitzt. Auf Englisch werden die Fahrgäste ermahnt, ihren Sitzgurt anzulegen. „Wir haben erst überlegt, ob wir das Schild entfernen", sagt Dönch. Aber der London-Effekt habe dann doch überwogen. So viel Spaß muss sein.
Ganz neu sind Angebote wie die WSW Cabs nicht. In Hamburg und Hannover kurvt der zum VW-Konzern gehörende Anbieter Moia mit Mini-Bussen umher. Andere Großstädte kooperieren mit dem Berliner Unternehmen CleverShuttle, das 2014 gegründet wurde und seit 2018 mehrheitlich der Deutschen Bahn gehört. Die Wuppertaler Besonderheit besteht darin, dass Stadtwerke versuchen, ihr eigenes System aufzubauen. „In viele Ecken kommt ein Bus einfach nicht hin", sagt Projektleiter Martin Dönch. „Da sind solche Angebote eine gute Ergänzung."
Außerdem sind die Elektro-Taxis billiger – zumindest dort, wo ohnehin nur wenige Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen: „Ein WSW Cab kostet in der Anschaffung etwa 65.000 Euro", rechnet Dönch vor. „Bei einem Bus sind wir schnell im sechsstelligen Bereich." Auch das Bezahlmodell ist anders als bei einer traditionellen Fahrkarte: Im WSW Cab wird per Luftlinie bezahlt, zwei Kilometer kosten 5,15 Euro, Abonnenten von Monatskarten zahlen weniger. „Damit bewegen wir uns zwischen ÖPNV und Taxi", sagt Dönch. Aktuell nutzten rund 1.000 Fahrgäste pro Woche das Angebot. Wegen der Pandemie seien die Werte jedoch nur wenig aussagekräftig.
Am anderen Ende von Wuppertal, im Zooviertel, zeigt sich die Mobilität der Zukunft von einer anderen Seite. Die Stadtwerke haben den Busverkehr dort im August 2021 wegen zu geringer Fahrgastzahlen eingestellt. Eine Unterschriftenaktion blieb erfolglos. Stattdessen verkehrt nun der sogenannte „Taxi-Bus": reguläre Taxis, die einmal pro Stunde zur Haltestelle kommen – aber nur, wenn man vorher anruft. Wer mitfahren möchte, muss sich mindestens 20 Minuten vorher anmelden. Die Fahrt kostet so viel wie ein normales Busticket.
Neben Zustimmung auch viel Kritik
Bei „Petersen", einem Tante-Emma-Laden im Zooviertel, zeigt sich die Kundschaft über diese Lösung wenig begeistert. „Alle wollen den Bus zurück", sagt Ronald Börgener, der täglich mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist. „20 Minuten vorher anzurufen ist unpraktisch", findet der 63-Jährige. „Einmal musste ich eine Stunde warten, weil kein Taxi kam." Anette Kneip, 52, sieht es ähnlich. „Natürlich ist es nicht schlecht, ein Taxi zum Bus-Preis zu bekommen", sagt sie. „Aber Busse sind wesentlich flexibler und anonymer." Auch die Platzverhältnisse seien zu Corona-Zeiten nicht immer angenehm. „Ich frage mich, warum nicht wenigstens kleine Busse eingesetzt werden." Die Angst, dass die Verbindung irgendwann ganz eingestellt wird, sei immer da.
Anruf bei den Stadtwerken: Warum entstehen in manchen Vierteln hypermoderne Fahrdienste, während anderswo sogar der Bus gestrichen wird? Der Pressesprecher holt Luft. Das eine habe mit dem anderen ja gar nichts zu tun. Die WSW Cabs würden über Forschungsgelder finanziert, der reguläre Busverkehr hingegen aus dem laufenden Budget. Auch von einer gestrichenen Buslinie wollen die Stadtwerke nicht sprechen: Die sei schließlich durch die Taxi-Busse ersetzt worden.
Dass zwischen beiden Angeboten dennoch ein Unterschied besteht, ist offenkundig. Allein schon beim Platzangebot. Während in Bussen – und in Wuppertal auch in der Schwebebahn – Hunde mitgenommen werden können, ist das im Taxi nicht immer der Fall. Bei Fahrrädern wird es gleich ganz unmöglich, egal ob im Taxi-Bus oder in den modernen WSW Cabs.
Darüber hinaus lassen die technischen Barrieren befürchten, dass längst nicht allen die schöne neue Welt des Nahverkehrs offensteht. Beim Taxi-Bus genügt zwar ein Anruf, doch selbst der stellt für Menschen mit Behinderung oder schlechten Deutschkenntnissen eine Hürde dar – jedenfalls eine größere, als einfach an einer Haltestelle in den Bus zu steigen. Bei den elektrischen WSW Cabs sind die Anforderungen noch einmal höher: Handy-App, Paypal-Konto, Luftlinien-Tarif. Kommen da die Leute noch mit? Projektleiter Martin Dönch will das so nicht stehen lassen. „Da tut man vielen Älteren unrecht", sagt er. Außerdem wolle man demnächst eine Schulung für Senioren anbieten.