Nicht nur im Westen, auch in Russland steigen die Preise infolge des Invasionskrieges und der Sanktionen. Die Kreml-Reaktion darauf ist wiederum eine psychologische Taktik, die den Rubel kurzfristig stabilisiert.
Sonnenblumenöl und Mehl – in Deutschland sind die Regale für jene beiden Produkte in den Supermärkten oft wie leergefegt. Entsprechend steigen die Preise. Eine Flasche Sonnenblumenöl kostet beim Discounter Aldi Süd mittlerweile 4,99 Euro, weil die günstigere Eigenmarke derzeit kaum verfügbar ist. Gründe liegen in der Corona-Pandemie, aber auch in höheren Herstellungskosten verborgen: Die Energiepreise sind wegen des Krieges in der Ukraine gestiegen.
Auch in der Russischen Föderation steigen die Preise, allerdings nicht erst seit den Sanktionen. Das russische Statistikinstitut Rosstat meldet schon seit 2020 steigende Preise, der Verbraucherpreisindex im Januar 2022 lag bei 109 Prozent zum Vorjahresmonat. Zum Vergleich: zu jenem Zeitpunkt war der Index in Deutschland mit 111 Prozent sogar etwas höher. Nun steigen die Preise in Putins Reich weiter: Anfang April lagen die Lebensmittelpreise 210 Prozent über denen des Vorjahresmonats, berichtet die unabhängige englischsprachige „Moscow Times", deren Redakteurinnen mittlerweile nach Amsterdam geflohen sind. Auch die zweisprachige Internetzeitung „Meduza" – am 23. April 2021 wurde das Exilmedium mit dem Hauptsitz in Riga vom russischen Justizministerium in die Liste der „ausländische Medien-Agenten" aufgenommen – berichtet, dass der Verbraucherpreisindex in Russland in den ersten drei Monaten diesen Jahres um 9,99 Prozent gestiegen ist. So sind seit Anfang des Jahres nach Angaben von Rossstat folgende Produkte am stärksten im Preis gestiegen: Zucker um 53 Prozent, Salz um 18 Prozent, Margarine um 14 Prozent, Zwiebeln um 63 Prozent und Karotten um 53 Prozent. Bei den Non-Food-Produkten verzeichnen vor allem solche Hygieneartikel wie Binden (24 Prozent), Windeln (20 Prozent), Waschmittel (20 Prozent) und Seife (17 Prozent) einen deutlichen Preisanstieg. Die Kosten für Medikamente stiegen um durchschnittlich 20 Prozent. Besonders gefragt sind in diesem Segment Antidepressiva, Schlafmittel und Verhütungsmittel.
Auch Russland von Inflation betroffen
Alle bislang staatlich unabhängigen Medien hatten auf Anordnung der Medienaufsicht Roskomnadzor ihren Betrieb auf russischem Boden einstellen müssen. Doch auch die russische staatsnahe Zeitung „Rossiyskaya Gazeta" musste zugeben, dass vieles teurer wird. Videos in sozialen Netzwerken zeigten Menschen, die sich um Zucker in den Supermärkten streiten. Mit dem immensen Preisanstieg gehören auch diese Bilder allerdings der Vergangenheit an. Laut der russischen Regierung handele es sich dabei um „Marktmechanismen", so die lapidare Erklärung. Dennoch fror sie die Preise ein. Das ist in Russland gesetzlich erlaubt, sobald diese mehr als zehn Prozent in kurzer Zeit teurer werden.
Dabei „könnten die Lebensmittelpreise in Russland deutlich niedriger sein als auf dem Weltmarkt", verkündete Wladimir Putin am 5. April im Rahmen einer digital abgehaltenen Konferenz zum Thema Agrarwirtschaft. Grund dafür sei die unabhängige und selbstständige Lebensmittelselbstversorgung Russlands, welche einen echten Wettbewerbsvorteil liefern würde, sagte der russische Präsident. „Wir müssen sie (die russischen Bürger, Anm. d. Red.) vor Schwankungen der Marktbedingungen und vor Preisschwankungen auf dem Weltmarkt schützen. Ich möchte die Aufmerksamkeit der Regierung auf die Tatsache lenken, dass diese Arbeit ständig durchgeführt werden muss, mit sichtbaren Ergebnissen für die Menschen und für die Unternehmen." So würde Russland laut Putin bereits heute 160 Länder der Welt mit Nahrungsmitteln beliefern. Ein Dienst, der auch in einer Pandemie geleistet wurde, betonte der Präsident. Dabei hätte die russische Landwirtschaft ihre Position sogar stärken können. Gleichzeitig forderte Putin in seiner Ansprache vor dem Hintergrund einer weltweiten Lebensmittelknappheit eine „umsichtigere Haltung" gegenüber Lebensmitteln. Das würde vor allem die Lebensmittellieferungen ins Ausland betreffen, vor allem an „solche Länder, die uns gegenüber eine feindliche Politik verfolgen."
Rubel-Politik soll nach innen wirken
Der Rubel hat mittlerweile zu seinem Vorkriegskurs zurückgefunden. Der Grund: Weil mehr russische Waren konsumiert werden, werden Rubel als Zahlungsmittel benötigt. Das stärkt den Kurs. Gleiches gilt für die seltsame Forderung Putins, dass Gas künftig nur noch in Rubel bezahlt werden müsse. Zwar suggerierte dies ebenso, dass Gasbezieher nunmehr Rubel als Zahlungsmittel benötigten – was technisch jedoch keineswegs so gehandhabt wird. Dadurch, dass der Zahlungsverkehr letztlich nur ein Tauschgeschäft ist – die Kunden zahlen mit Euro oder Dollar, wie vertraglich vereinbart, die Geschäftsbank tauscht sie in Rubel – setzt der Kremlherrscher auf psychologische Tricks, um den Kurs des Rubels künstlich zu stabilisieren.
Doch die vermeintliche Stärke täuscht: Außerhalb Russlands, am internationalen Devisenmarkt, ist der Handel mit der russischen Währung so gut wie zum Erliegen gekommen. Eingefrorene Preise, wie nun von der Moskauer Regierung verkündet, spiegeln jedoch nicht die tatsächlichen Kosten wider, die die Erzeuger auch in Russland haben. Entsprechend könnte die russische Wirtschaft massiv einbrechen, EU-Experten der Bank für Wiederaufbau prognostizieren ein zehnprozentiges Minus in diesem Jahr. Die ohnehin schon schwache russische Wirtschaft würde einen empfindlichen Schlag erleiden. Dennoch senkte die russische Zentralbank nun den Leitzins, den sie zu Beginn der Sanktionen deutlich angehoben hatte, wieder ab. Auch hier ist die Nachricht wieder nach innen gerichtet: Ein gestärkter Rubel und moderatere Zinsen sollen die russische Bevölkerung und die Inlandswirtschaft beruhigen. Wie lange Russland auch angesichts anstehender Zahlungen an Gläubiger im Ausland ihren derzeitigen finanzpolitischen Kurs aufrechterhalten kann, ist fraglich: Bedient sie die Forderungen mangels ausländischer Devisen in Rubel, könnte dies als „technischer Zahlungsausfall" gewertet werden.