EnBW ist Deutschlands größter Schnellladeinfrastrukturbetreiber mit etwa 700 Schnelllade-Standorten. Hauptschwerpunkte sind Long-Distance-Angebote an Autobahnen, aber auch Angebote für alle, die sich nicht zu Hause einen Ladeplatz einrichten können. Lars Walch und Markus Wunsch, zwei Führungskräfte des Unternehmens, geben Einblicke in Probleme und Chancen beim Ausbau beider Themenfelder.
Herr Walch, Herr Wunsch, EnBW ist mit seinen Partnern derzeit der größte Anbieter öffentlicher Ladepunkte in Deutschland. Aktuell gibt es etwa 50.000 Ladepunkte deutschlandweit, dennoch merkt man, dass es schwieriger wird, sofort eine freie Ladestation in der Fläche zu finden. Wie schnell schreitet der Ausbau denn tatsächlich voran, angesichts der rasant zunehmenden Zahl an E-Autos?
Lars Walch: Voriges Jahr war wirklich ein fantastisches Jahr für die Elektromobilität, und wir gehen auch davon aus, dass sich dieser Trend verstetigt. 26 Prozent aller Neuzulassungen waren elektrisch, im Dezember war es sogar mehr als ein Drittel mit 36 Prozent. Und davon wiederum mehr als die Hälfte vollelektrisch. Bis jetzt kann die Infrastruktur da gut mithalten. Wir haben aber tatsächlich auch schon einzelne Fälle beobachtet, in denen Ladende warten mussten, insbesondere in Reisezeiten. Wir haben voriges Jahr jeden Tag einen Schnellladestandort in Betrieb genommen und wollen dies dieses Jahr noch weiter forcieren in Richtung 400 Schnellladestandorte, die wir aufbauen wollen. Die werden vielleicht nicht alle so groß sein wie der am Kamener Kreuz mit 52 Schnellladepunkten, aber der Trend geht ganz klar zu größeren Standorten, um den Bedarf zu decken. Insbesondere natürlich an den Langstrecken, aber auch in der Fläche bei Retailern (Einzelhandel, etwa der Rewe-Gruppe oder Baumärkte, Anm. der Red.) mit auch da immer größeren Standorten, aber da vielleicht auch mit größerem Fokus auf die Flächendeckung. Die großen Standorte werden überproportional angenommen, sie entwickeln eine Art Magnetwirkung. Die Leute steuern diese lieber an, weil dort mit Sicherheit auch genügend Ladepunkte frei sind.
Herr Wunsch, 80 Prozent der -Autobesitzer laden im privaten Umfeld. Sie als Leiter Netzintegration Elektromobilität der Netze BW GmbH: Welche Auswirkungen sehen Sie auf das Stromnetz, wenn die E-Mobilität weiter zunimmt wie zuletzt?
Markus Wunsch: Wichtig ist für uns, nicht nur auf die Zielmarke zu schauen, sondern auch, wie sich die Zahl der Ladestationen entwickelt. Sowohl die öffentlichen, als auch die privaten. Anfang 2019 hatten wir bei uns im Netze-BW-Gebiet zweistellige Meldungen privater Ladestationen im Monat, mittlerweile sind wir bei 2.500 im Monat. Diese Dynamik ist immens, und natürlich stellt diese uns vor Herausforderungen. 80 Prozent davon sind privat, also beim Arbeitgeber oder im Zuhause. Wichtig ist auch die Leistungsklasse, und da sind wir im privaten Sektor bei der typischen 11- und 22-kW-Wallbox. Die schließen wir in unsere niedrigste Spannungsebene ins Niederspannungsnetz an. Das ist ein bedarfsgerechtes Netz, das historisch gewachsen ist. Aber es wurde ursprünglich natürlich nicht für den Verbrauch eines E-Fahrzeugs dimensioniert, sondern für einen Herd oder eine Sauna. Da ist man bei einer maximalen Leistung von vier oder sechs kW. Mit 11 bis 22 kW liegt eine Wallbox also um ein Vielfaches darüber.
Bricht also irgendwann unser Stromnetz zusammen, wenn alle E-Autos plötzlich über Nacht geladen werden sollen, wie es manch kritische Stimme als Horrorszenario an die Wand malt?
Wunsch: Nein, aber wir müssen natürlich schauen, wann Leistungsbezüge stattfinden, wann geladen wird und vor allem, wie viele E-Fahrzeuge gleichzeitig laden. Da ist weniger die Summe über das gesamte Netzgebiet entscheidend, sondern die lokale Betrachtung. In welchem Netzstrang, etwa Straßenzug, laden wie viele Fahrzeuge gleichzeitig? Das kann für eine Lastspitze sorgen. Dann ist entscheidend, wie viel freie Kapazität wir in unserem Bestandsnetz haben. Das lässt sich nie pauschal beantworten. Bislang hatten wir aber noch keinen akuten Netzengpass, der durch die Elektromobilität hervorgerufen wurde. Aber es geht darum, das Netz weiterzuentwickeln, um das Bestandsnetz zu befähigen, so viele Ladepunkte wie möglich aufzunehmen und gleichzeitig das Netz auszubauen.
Wäre es denkbar, dass es zugeteilte Zeiten gäbe, beispielsweise wann welcher Teil einer bestimmten Straße laden darf und wann der nächste?
Wunsch: Dass gewisse Kunden nur zu gewissen Zeiten laden dürfen, davon halten wir nichts. Uns geht es darum, das Netz in kritischen Belastungszeiten zu schützen und gleichzeitig zu jeder Zeit unseren Kunden das Laden ihrer E-Fahrzeuge zu ermöglichen. Im ersten Schritt müssen wir eine Beobachtbarkeit schaffen. Das heißt, wir müssen mit einem steigenden Grad an Digitalisierung unsere Netze beobachtbar machen, um genau zu verstehen, wo wir Handlungsbedarf haben. Auf dieser Basis wollen wir unser Netz so ausbauen, dass jeder zu jedem Zeitpunkt laden kann, wie er möchte, dass Gleichzeitigkeit nicht relevant ist. Das ist aber ein gewisser Weg bis dahin. Bei der aktuellen Dynamik im Hochlauf der Elektromobilität müssen wir dabei allerdings schnell handeln, um das Netz zukunftssicher planen und bauen zu können.
Also doch Ladeengpässe zu gewissen Zeiten?
Wunsch: Nein, aber in dieser Zeit ist netzdienliches Lademanagement ein sehr wichtiges Mittel. Das bedeutet, dass die Flexibilität, die bei privaten Ladevorgängen entsteht, netzdienlich genutzt werden kann. Konkret heißt das, dass ich in kritischen Belastungszeiten Leistung reduziere, damit an die mögliche Netzkapazität angleiche und so den Ladevorgang verlängere. Wichtig: Wir stoppen keinen Ladevorgang, sondern er dauert dann eben etwas länger. Aber mit der klaren Botschaft, dass das Fahrzeug am nächsten Morgen trotzdem geladen ist. Das ist ein Hilfsmittel, das es uns ermöglicht, dass wir deutlich mehr Fahrzeuge ins Bestandsnetz integrieren können.
Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet mit einem Anwachsen des Bruttostromverbrauchs von derzeit 595 auf 658 Terrawattstunden bis 2030, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW sogar mit bis zu 700 Terrawattstunden jährlich. Werden wir dafür länger Kohle- und Atomstrom brauchen?
Walch: Die Energiemenge wird nie das Thema sein, aber die Bereitstellung der Leistung am richtigen Ort zur richtigen Zeit und in der richtigen Stärke. Da muss man einerseits die sehr kleinteilige Verteilung in der Niederspannung unterscheiden. Da geht es dann um intelligentes Lastmanagement. Und gleichzeitig gibt es Fälle wie die beschriebenen Ladeparks. Wenn wir einen öffentlichen Schnellladepark bauen, dann geht es immer einher mit einem eigens dafür erstellten Netzanschluss, mit einem eigens dafür platzierten Trafo. Das ist dann alles so dimensioniert, dass es auch zukunftssicher funktioniert. Da wird das Netz dafür an dieser Stelle auch verstärkt. Das lässt sich super planen. Beim Laden zu Hause braucht es im Zuge der weiteren Digitalisierung die Intelligenz, um das Ganze sauber dezentral zu managen.
Wunsch: Im öffentlichen Bereich ist das Thema Leistungsbereitstellung gar nicht so dramatisch, weil wir hier immer in der Genehmigungspflicht sind. Ein Antrag erreicht uns, wir können das Netz prüfen, ob die entsprechende Netzkapazität vor Ort passt, der Ladestandort sofort ans Netz gehen kann oder ob wir entsprechend dem Leistungsbedarf ausbauen müssen. Da treibt uns vielmehr die Geschwindigkeit um: Wie können wir schnellstmöglich einen Netzanschluss umsetzen? Netzausbaumaßnahmen dauern ihre Zeit. Dahinter stecken Genehmigungsprozesse, die langwierig sind, mit Kommunen zur Flächensicherung und ähnlichem. Das sind Leistungshöhen, die relevant sind. Wenn ich an das Thema Pkw denke, muss ich auch schauen, was mit der Elektrifizierung des Lastverkehrs passiert. Da rechne ich mit einer Leistung pro Ladepunkt von über einem MW. Dann kommen wir in Summe in deutlich höhere Leistungsregionen, die für uns natürlich auch netzplanerisch eine Herausforderung sind.
Aber die Horrorvision, dass das Stromnetz irgendwann in die Knie gehen wird, wenn Elektromobilität den Verbrenner komplett ablöst, die sehen Sie nicht?
Wunsch: Die Aussage, das Stromnetz wird zusammenbrechen, die stimmt nicht und wird auch so nicht kommen. Wir werden Herausforderungen lokal haben, da bin ich mir sicher, weil wir einfach einen sehr dynamischen und schnellen Hochlauf haben, sodass wir lokal an Kapazitätsgrenzen kommen können. Aber da tun wir alles dafür, dass wir das vermeiden, dass wenn Netzengpässe drohen, wir diese frühzeitig erkennen und lösen können, bevor sie auftreten.
Walch: Es gibt die unausgesprochene Frage „Reicht der Strom?", und der reicht natürlich. Nimmt man eine Million Elektroautos, rein elektrische, benötigen diese 0,4 bis 0,5 Prozent der deutschen Stromerzeugung. Da sind wir ja heute schon bei rund der Hälfte erneuerbare Energien mit einer wachsenden Tendenz. Bis 2030 werden 15 Millionen Elektroautos vorhergesagt. Das sind dann ungefähr sechs Prozent mehr Strombedarf. Diesen zusätzlichen Bedarf durch Erneuerbare zu decken ist überhaupt kein Problem. Dann kommt noch hinzu, dass man einen positiven Effekt durch Elektromobilität hat, weil man dann einen flexiblen Speicher im Netz hat, der genutzt werden kann, um die Erneuerbaren letztlich noch besser zu integrieren. Insofern wird uns der Strom nicht ausgehen. Natürlich ist es die Challenge, immer an der richtigen Stelle die richtige Leistung bereitzustellen. Bei einer großen Anlage wie der am Kamener Kreuz sprechen wir von Mittelspannungsnetz, von Umspannungsstationen, Trafohäuschen sozusagen. Hier waren sogar drei notwendig, um das in dieser Dimension mit 52 Ladepunkten zu machen, von denen jeder Einzelne bis zu 300 kW liefern kann.
Im Moment sogar noch eher überdimensioniert, oder?
Walch: Die Leistungsklasse dessen, was die Autos abrufen, geht bis 300 kW. Serienfahrzeuge gibt es bis jetzt eigentlich noch kein einziges, das die 300 kW abruft, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit. Topscorer sind nach wie vor der Porsche Taycan oder der Audi e-Tron GT mit 270 kW in der Spitze. Der Mainstream, wenn man so will, liegt so bei 150 kW. Das ist letztlich auch das, worauf wir uns ausrichten in unserer Lade-Infrastruktur – für diesen Mainstream, der die nächsten fünf Jahre der jetzigen und nächsten Fahrzeuggeneration mindestens bestimmen wird.
Unsere Standorte entlang der Autobahn können alle bis zu 300 kW, man kann aber auch sehr viele Autos sehr gut mit 150 kW damit laden. Wenn man es dann runterbricht auf die Retailer, finden sich auch Ladepunkte mit etwas geringerer Leistung. Dort gibt es durchaus auch bis zu 300 kW, aber es geht halt auch runter auf 75 kW, teilweise auf 50 kW Ladeleistung. Das ist auch völlig okay, weil man dort in aller Regel auch länger steht. Man hat beim Einkaufen vielleicht eine Aufenthaltsdauer von 30 bis 40 Minuten, dann kann man auch mit einer 75 kW-Ladesäule den Akku ordentlich vollkriegen für die nächste Woche.
Die Idee ist, dass man letztlich beim Wocheneinkauf genug Strom für die nächste Woche kriegt. Die Akkus werden immer größer, und die Ladeleistungen der Fahrzeuge gehen entsprechend hoch. Darauf richten wir unsere Ladeinfrastruktur aus, damit es einfach für die Leute und so angenehm wie möglich wird – und am Ende gegenüber dem Tanken sogar Zeit spart. Der Durchschnittsdeutsche fährt ohnehin nur 250 Kilometer pro Woche, da reicht eigentlich ein Ladevorgang pro Woche an der heimischen Wallbox, sofern vorhanden.
Ist es dennoch denkbar, dass der Preis für klassischen Hausstrom und Wallbox gesplittet wird und unterschiedlich abgerechnet wird? Denn wenn immer mehr Autos zu Hause laden, könnte dies ja den Preis für den Hausstrom in die Höhe treiben, und letztlich müssten das dann auch die mitfinanzieren, die gar kein E-Auto haben.
Wunsch: Es wird spannend sein, wie die Vertriebe sich aufstellen und ob sie da unterschiedliche Tarife anbieten wollen. Wenn sie das tun, hat das natürlich eine gewisse Wirkung oder Auswirkung auf die Infrastruktur im einzelnen Haushalt. Denn da muss natürlich der Ladepunkt separat gezählt werden zum restlichen Haushaltsstrom. Wenn das infrastrukturseitig möglich ist, könnten Vertriebe an der Stelle natürlich auch unterschiedliche Preismodelle anbieten. Aber das ist ein Vertriebsthema an dieser Stelle.
Walch: Wenn sich ein Haushalt dafür entscheidet, dass er eine PV-Anlage aufs Dach und einen stationären Speicher in den Keller will, ist da mittlerweile fast immer auch eine Wallbox dabei. Entweder, weil es schon ein Elektroauto gibt, oder weil klar ist, dass da irgendwann eins kommen wird.
Dann ist es das hochgradig sinnvoll. Es kann letztlich sogar ein Vorteil für das Gesamtsystem sein, dass es die Elektroautos verteilt gibt und sie nicht nur als Belastung gesehen werden im Sinne von, jetzt muss der Nachbar den benötigten Netzanschluss für mein Auto über den Strom mitfinanzieren. Man darf das nicht so schwarz-weiß sehen, dass die Elektromobilität den Strom teurer macht. Das ist eine Flexibilität, die da ins Netz reinkommt, die noch ganz viel Potenzial für die Zukunft hat, um zum Beispiel die dezentrale PV-Erzeugung zu integrieren.
Dennoch sind gestiegene Preise an öffentlichen Stationen im Zuge des Ausbaus zu beobachten. Werden diese weiter anziehen und sich vielleicht sogar irgendwann in Richtung der Preise für Benzin und Diesel bewegen, wie viele glauben?
Walch: Wir hatten voriges Jahr unsere letzte Preisanpassung vorgenommen, weil wir einfach sehr viel investieren und sehr viel ausbauen. Inzwischen hatte die ganze Branche da agiert.
Natürlich muss man auch sehen, wie sich die Preise an der Energiebörse gerade entwickeln. Wir haben da wahrscheinlich noch einen Vorteil gegenüber anderen, weil wir wirklich eine sehr langfristige Preisstrategie fahren und entsprechende Beschaffungsprozesse für uns etabliert haben. Damit können wir unseren Kunden zumindest auch eine gewisse Sicherheit geben, dass es bei uns weiter eine Stabilität hat.
Aber man muss auch realistisch sein und die Börse weiter beobachten. Insbesondere auch im Hinblick auf die aktuellen Geschehnisse muss man sehen, was das alles noch mit sich bringt.