Das Prostituiertenschutzgesetz in Deutschland sollte Personen in diesem Gewerbe schützen. Aber tut es das auch? Verbesserungsvorschläge von Schutzverbänden gibt es viele. Dabei bleibt auch die Legalisierung der Sexarbeit in Deutschland umstritten.
Seit nunmehr 20 Jahren gilt in Deutschland das Prostituiertenschutzgesetz, das die Prostitution in Deutschland legal und nicht mehr sittenwidrig machte. Seit 2017 gibt es eine überarbeitete Version des Gesetzes. Es sollte die Situation der Prostituierten maßgeblich verbessern. Laut Gesetz müssen sich Sexarbeitende unter anderem bei den Behörden anmelden, sie sollen gesundheitlich beraten und über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden.
Zum letzten Stichtag, dem 31. Dezember 2021, waren beim Gesundheitsamt des Regionalverbandes Saarbrücken insgesamt 711 Personen in der Prostitution gültig gemeldet. „Hieraus kann jedoch nicht die Anzahl der aktuell im Saarland tätigen Prostituierten abgeleitet werden, da eine Anmeldebescheinigung meist für zwei Jahre und deutschlandweit gültig ist", erklärt Lars Weber, Pressesprecher des Regionalverbandes. Zum 31. Dezember 2020 belief sich die Gesamtzahl der gültig angemeldeten Sexarbeitenden auf 24.940 Personen. Prostituiertenschutzverbände bewerten die Situation von Personen im Prostitutionsgewerbe in Deutschland durchaus unterschiedlich: Während die einen für Strafen für Freier plädieren, also für das sogenannte Nordische Modell, warnen andere vor der Kriminalisierung der Freier.
Gemeinnützige Initiativen wie Hadassah oder der Verein Sisters aus Stuttgart sind der Meinung, dass das aktualisierte Bundesgesetz zum Schutz der Prostituierten sein Ziel verfehlt hat. Sie fordern die Einführung des Nordischen Modells, das in einigen Ländern wie beispielsweise in Schweden seit 1999, in Norwegen und Island seit 2009, aber auch in Kanada, Irland, Nordirland, Israel und Frankreich Anwendung findet. Bereits im Jahre 2014 gab das Europäische Parlament seine Empfehlung für das Modell an alle EU-Mitgliedsstaaten ab. In Deutschland startete das Bündnis Nordisches Modell allerdings erst im Februar 2021.
Das Modell hat vier Säulen: Entkriminalisierung Prostituierter und Kriminalisierung der Freier, Zuhälter und Bordellbetreibenden, Ausstieg aus der Prostitution, Schutz und Unterstützung sowie Aufklärung und Prävention. Dass dieses Modell funktioniert, soll ein Bericht von CAP International belegen. Die Initiative von Betroffenen veröffentlichte eine Zusammenfassung zur Evaluation des französischen Gesetzes „zur Stärkung des Kampfes gegen das Prostitutionssystem und zur Unterstützung prostituierter Personen".
Kaum Prostitution ohne Zuhälterei
Laut Untersuchung sank die Straßenprostitution nach Einführung des Sexkaufverbots in Frankreich von 54 Prozent im Jahr 2016 auf 34 Prozent im Jahr 2018. Demnach wurden keine Prostituierten mehr wegen des Tatbestandes der Anwerbung festgenommen, da sie nach Einführung des Gesetzes nicht mehr als Täter, sondern als Opfer berücksichtigt wurden. Vor der Verabschiedung des Gesetzes waren es noch circa 1.000 Personen jährlich. Seitdem haben bis Juni 2020 395 Prostituierte an einem Ausstiegsprogramm teilgenommen, das ihnen Zugang zu einer Aufenthaltserlaubnis für mindestens sechs Monate, die Zahlung einer monatlichen Finanzhilfe (330 Euro pro Monat) und eine Begleitung durch akkreditierte NGOs ermöglichte.
Nach Inkrafttreten des Gesetzes gab es einen 54 prozentigen Anstieg an Strafverfolgung wegen Zuhälterei und Menschenhandel sowie einen siebenfachen Anstieg der Entschädigung für davon Betroffene. Es konnten 2,35 Millionen Euro beschlagnahmte Gelder für Prostituierte und Betroffene verwendet werden und es wurden fast 5.000 Sexkäufer belangt. Eine in dem Bericht enthaltene Umfrage beinhaltet, dass 90 Prozent der Präfekturen die neue regionale Kommission zur Bekämpfung der Prostitution sinnvoll fanden. Dagegen beklagten einige Verantwortliche mangelnde Ressourcen zur Umsetzung des Gesetzes.
Schon an der Umsetzung scheint es auch bei dem deutschen Gesetz, das nicht dem Nordischen Modell folgt, zu hapern. Nach Aussagen von Manfred Paulus, pensionierter Kriminalhauptinspektor aus Ulm, und den Hadassah-Frauen Yvonne Feitt, Beate Stout und Sundari Dönges tut das aktuelle Gesetz nur wenig für prostituierte Personen, überwiegend Frauen.
„Es gibt so gut wie keine Prostitution ohne Zuhälterei, denn ein selbstständiges Tätigwerden ohne Beteiligung des Milieus wird nicht geduldet", so Paulus. Bei etwa 95 Prozent Ausländerinnen und den üblichen Anwerbungs- und Schleusungsmethoden sei daher der Anteil des Menschenhandels extrem groß, da es kaum andere Wege ins deutsche Milieu gäbe. „Auch die Machtverhältnisse im deutschen Rotlichtmilieu haben sich in den letzten Jahren verändert: deutsche Zuhälter wurden entmachtet und finden sich allenfalls als ‚Vorzeigepersonen‘ oder Gehilfen in der zweiten Reihe wieder, während sich im Hintergrund Tätergruppierungen, Organisationen und kriminelle Clans der organisierten Kriminalität befinden", berichtet Paulus. Oberste Regel: kein Aufsehen erregen.
Prostitution sei aufgrund ihrer Legalität in Deutschland grundsätzlich kein polizeilicher Brennpunkt. „Weil das ‚Gewerbe‘ legal ist, wird es naturgemäß weniger kontrolliert als wenn es illegal wäre", erklärt der Kriminalinspektor. Insgesamt würden nur wenige Strafanzeigen gestellt und damit seien der Polizei die Hände gebunden. Denn die Strafverfolgungsbehörde zu kontaktieren wäre ein Verrat, der in der Regel hart bestraft wird. Auch die Kondompflicht, die laut aktuellem Prostituiertenschutzgesetz herrscht, würde dementsprechend nicht kontrolliert und bei Verzicht auch nicht angezeigt.
Für Geschlechtsverkehr ohne Kondom darf nicht geworben werden, ebenso wenig für Geschlechtsverkehr mit Schwangeren. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Forderung nach einer schwangeren Prostituierten verboten ist. Im Gegenteil –
laut Hadassah ist das bei vielen Männern sogar eine besondere Vorliebe, der nachgekommen wird.
Dazu sei die Perversion innerhalb der Prostitution extrem gestiegen: Praktiken wie Schrauben eindrehen, Kot lecken, Urinieren und andere Handlungen der Erniedrigung. „Wir haben von Betroffenen gehört, dass die körperlichen und seelischen Verheerungen von Sexarbeit vergleichbar sind mit denen von traumatisierten Soldaten und Folteropfern", sagt Yvonne Feitt.
Aufgrund des Sexkaufverbots in Frankreich steigt im Grenzraum auf deutscher Seite die Nachfrage nach der legalen Prostitution – und damit auch Kriminalität und Menschenhandel. Die Eröffnung des „Paradise"-Bordells in Saarbrücken im Jahr 2015, aufgrund dessen sich die Initiative Hadassah gründete, bestätigte dies. Denn der ehemalige Betreiber Jürgen Rudloff und der Marketingverantwortliche Michael Beretin wurden im Februar 2019 wegen Beihilfe zur Zuhälterei, schwerem Menschenhandel und Gewalttätigkeit zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Verstöße gegen Arbeitsrecht
Ganz anders denkt Aldona über Prostitution. Der gemeinnützige Verein, der von von der Stadt Saarbrücken sowie dem Sozialministerium gefördert wird, unterscheidet zwischen Menschenhandel und Zwangsprostitution sowie Sexarbeit. Prostitution immer mit Zwang in Verbindung zu bringen, werde denjenigen Personen nicht gerecht, die diese Arbeit bewusst und freiwillig wählten, so Aldona in einem schriftlichen Statement. Der Verein kritisiert außerdem, dass ein Sexkaufverbot „die Prostitution in den Untergrund verlagere, was schlechtere Arbeitsbedingungen innerhalb der Prostitution und einen schlechteren Zugang Sexarbeitender zu sozialen und gesundheitlichen Einrichtungen" zur Folge habe. Das Nordische Modell, sagt Aldona, erschwere die Strafverfolgung von Gewaltdelikten, was Manfred Paulus allerdings klar verneint. „Wenn Freier die Prostituierten im Untergrund finden können, dann kann die Polizei dies sicher ebenso", argumentiert der langjährige Strafermittler.
Die Arbeitsbedingungen innerhalb des Gewerbes bleiben strittig. Betroffene Personen berichten in der in Zusammenarbeit mit Hadassah entstandenen „Dokumentation über Ungesagtes in der Prostitution" mit dem Titel „Irreführung", von unzureichenden Pausen zwischen bis zu 20-fachem Geschlechtsverkehr an einem Tag, (rassistischen) Demütigungen, Arbeit trotz Schwangerschaft, Drogenkonsum und anderen arbeitsrechtlichen Verstößen.
Für die Frauen von Hadassah ist Prostitution gleichbedeutend mit Menschenhandel und Gewalt. Zudem könne anders als früher heute jeder auf eine respektvolle Art und Weise einvernehmlichen Sex haben. Sie sehen einen großen Bedarf an Ausstieg aus der Prostitution und weisen darauf hin, dass Freiwilligkeit in dem Gewerbe nicht grundsätzlich gegeben sei. „Wo fängt die Freiwilligkeit an? Wenn ich Geldnot habe, ist das für mich schon keine Freiwilligkeit mehr", erklärt Yvonne Feitt. Viele junge und vor allem ausländische Frauen gerieten genau darüber in die Zwangsprostitution. Dazu wiesen laut Manfred Paulus viele typische „Opfereigenschaften" auf, wie beispielsweise schwierige familiäre oder soziale Verhältnisse, Bildungsarmut und leichte Verfügbarkeit. „Die jungen Frauen leiden unter einer bedrückenden Perspektivlosigkeit", erklärt er. Häufig brauche es keine Gewalt, um die Frauen anzuwerben. Stattdessen verspreche man ihnen in Deutschland eine berufliche Zukunft und nehme ihnen auf der Reise ihren Pass und ihr Handy weg. Häufig würden dann noch Drogen eingesetzt, um sie verfügbar zu machen und Schuldgefühle zu erzeugen.
Trotzdem lehnt Aldona das Nordische Modell ab, denn es mache die Kunden und damit auch die Anbietenden „unsichtbar und schafft damit Grauzonen", welche Menschenhandel und Ausbeuterei eher förderten. Zusätzlich macht der Verein sich dafür stark, dass die freiwillige Entscheidung zur Tätigkeit in der Prostitution auch dann respektiert werden müsse, wenn dies mit den eigenen Moralvorstellungen nicht einherginge. Grundsätzlich sei es unbedingt notwendig, die Tätigkeit als solche zu entstigmatisieren sowie Gewalt und Ausbeutung innerhalb des Gewerbes vorzubeugen.
Vorhandener Umstiegsbedarf
Aldona gibt ebenfalls zu verstehen, dass das Prostituiertenschutzgesetz auch innerhalb des Milieus umstritten sei, da es Sexarbeitenden einerseits Möglichkeiten biete, sich hilfesuchend an eine Behörde zu wenden, andererseits jedoch einige das Gesetz als bevormundend empfänden. „Ein weiteres Problem ist, dass für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter keine Abmeldung im Gesetz vorgesehen ist und hierzu eine bundesweite Möglichkeit fehlt", kritisiert der Verein. Außerdem müssten langfristig bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die mit flächendeckenden Fachberatungs-, zielgruppenspezifischen Umstiegsangeboten und der Finanzierung von Präventionskampagnen zu Menschenhandel und zur Loverboy-Methode, bei der Betroffene vor allem emotional abhängig gemacht werden, einhergingen.
Deshalb rief Aldona, insbesondere durch den gestiegenen Bedarf in der Pandemie, gemeinsam mit der Diakonie Saar das Projekt DiWA Saar ins Leben, um Frauen aus dem Prostitutionsgewerbe bei einer beruflichen Umorientierung zu begleiten. Das Projekt ist damit eines von fünf Bundesmodellprojekten zur Unterstützung des Umstiegs, zu dem in Saarbrücken 15 Frauen ihr Interesse gemeldet haben.
Hadassah sieht Beispiele wie Frankreich als gutes Vorbild und möchte auch in Deutschland, vor allem im Saarland, Aufklärung über Prostitution betreiben. „Insgesamt ist bei diesem Thema wichtig, dass die breite Bevölkerung angesprochen wird. Und dass man es ihr nicht einfach nur so überstülpt, sondern sie über die realen Umstände in der Prostitution informiert, über die viele vielleicht noch nichts wissen", sagt Sundari Dönges. Auch Beate Stout unterstützt diesen Gedanken: „Grundschüler in Frankreich sagen beispielsweise ganz klar: Ich darf doch keinen Körper kaufen. Dort herrscht ein völlig anderes Bewusstsein", und fährt fort: „Und das Ausschlaggebende dafür war, dass die Politik entschieden hat: Prostitution ist Gewalt an Frauen."