Formulare ausfüllen – damit beginnt meistens der Arbeitsalltag von deutschen Handwerkern, wenn sie nahe der Grenze in Frankreich auf Montage sind. Das erschwert die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Grenznähe.
Frankreich ist und bleibt für Deutschland, nach den USA und China, das drittwichtigste Exportland. 102 Milliarden Euro betrug das Exportvolumen Deutschlands 2021. Für grenznahe Bundesländer wie das Saarland ist Frankreich sogar wichtigster Handelspartner mit einem Volumen von knapp zwei Milliarden Euro Export- und 2,1 Milliarden Euro Importvolumen nach Berechnungen des Statistischen Landesamts. Doch seit Langem gibt es Probleme ebenso wie die Versprechen, sie zu beheben.
Nach wie vor hakt es im Geschäftsalltag zwischen Deutschen und Franzosen. Immer dann, wenn beispielsweise ein Handwerksbetrieb einen Mitarbeiter ins grenznahe Frankreich schickt, müssen bestimmte Formulare zum Nachweis der Sozialversicherung, bekannt unter dem Namen A1-Bescheinigung, ausgefüllt mitgeführt werden. Lästig wird das, wenn der Monteur nur zu Wartungszwecken oder zum Austausch eines Ersatzteils rüberfährt, denn alles muss wieder neu ausgefüllt werden. Protektionismus mithilfe abschreckender Bürokratie und Formalismus nennen es die Deutschen, Schutz vor Sozialdumping die Franzosen, obwohl der Nachweis über die Sozialversicherung in beiden Ländern erbracht werden muss.
Besonders deutlich wird das Problem in Grenznähe. Rund 120 französische Unternehmen zählt die Industrie- und Handelskammer Saarland hierzulande und zirka 100 saarländische Unternehmen in Frankreich.
Viele Gespräche, kaum Ergebnisse
Grenzüberschreitendes Arbeiten gestaltet sich für saarländische Betriebe schwierig, während sehr wenige Handwerksbetriebe aus dem benachbarten Moselle zum Arbeiten ins Saarland fahren. Dabei gab es in der Vergangenheit bereits zahlreiche Gespräche auf höchster Ebene zwischen Paris und Berlin, dieses Problem in einer Ausnahmeregelung für die an Frankreich angrenzenden drei Bundesländer Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg abzustellen oder wenigstens ernsthaft zu bearbeiten. Vereinbart wurde sogar, dass grenzüberschreitend tätige Betriebe nur einmal im Jahr die Formalitäten online erledigen.
Doch daraus ist in der Praxis nicht viel geworden. Nach wie vor wiehert der Amtsschimmel, wenn es zum Arbeiten über die Grenze zum jeweiligen Nachbarn geht. Wahlen im Nachbarland und damit wechselnde Ansprechpartner sorgten regelmäßig dafür, dass die gut gemeinten Vorschläge in den Hauptstädten in den Schubladen verschwanden. „Mit der neuen Bundes- und Landesregierung und den dann im Juni durchgeführten Parlamentswahlen in Frankreich hoffen wir auf einen neuen Versuch", so der saarländische IHK-Geschäftsführer Oliver Groll, zuständig in der Kammer für den Außenhandel. Doch vor der „Rentrée" im September, dem traditionellen Start ins neue Jahr nach den französischen großen Ferien, dürfte das Wunschdenken bleiben. „Bleibt es bei der enorm hohen Bürokratie, dürfte die Mehrheit saarländischer Handwerksbetriebe wohl weiterhin nicht in Frankreich tätig werden wollen", so der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer des Saarlandes, Bernd Reis. Es sei einfach ein zu hoher Aufwand für die Betriebe.
Um dem Fachkräftemangel in mittlerweile fast allen Branchen im Saarland entgegenzuwirken, bietet das angrenzende Lothringen ein großes Potenzial an Arbeitskräften, vor allem junge Menschen. Doch die Zahl der Grenzgänger mit rund 14.000 ins Saarland ist nach Angaben der Interregionalen Arbeitsmarktbeobachtungsstelle seit Jahren rückläufig. Und bei der grenzüberschreitenden Ausbildung sieht es nicht besser aus. Erst 33 junge Menschen haben nach Angaben der IHK Saarland das deutsch-französische „Abenteuer" gewagt und eine duale Ausbildung im Nachbarland gestartet. Viel zu wenig, um für eine spürbare Entlastung zu sorgen. Grundlage dafür ist das Rahmenabkommen von 2014 zwischen dem Saarland und Lothringen, in dem alle deutschen Ausbildungen, die durch das Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung abgedeckt sind, grenzüberschreitend angeboten werden können. Der Bedarf der saarländischen Wirtschaft, Kunden auf Französisch zu betreuen, ist zwar vorhanden. Aber die Corona-Pandemie, veränderte Rahmenbedingungen in Frankreich und damit einhergehend die ungeklärte Übernahme von Zusatzkosten führten zu einem Rückgang der Azubi-Zahlen bei der grenzüberschreitenden Ausbildung. Das soll sich nun ändern. „In dem neuen sogenannten 3DS-Gesetz, das den Regionen mehr Freiheiten gibt, mit einem ganzen Kapitel über die grenzüberschreitende Ausbildung wird das endgültig geregelt", erklärte der Präfekt des Departements Moselle Laurent Touvet.
Vor der Corona-Pandemie haben einige Geschäfte in der Saarbrücker Innenstadt laut Verein für Handel und Gewerbe in Saarbrücken im Durchschnitt bis zu 30 Prozent Umsatz mit französischen Kunden gemacht. Die Grenzschließungen 2020 sowie die starken Einschränkungen mit Testungen und einem beispiellosen Formularkrieg seitens der Franzosen haben in der Corona-Pandemie die Besucherzahlen aus Frankreich deutlich verringert und damit auch den Umsatz der Geschäfte. „Wir haben noch längst nicht wieder das Vorkrisenniveau bei den Zahlen erreicht", bedauert Sebastian Kurth, Leiter des Amts für Wirtschaftsförderung, Arbeitsmarkt und grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Landeshauptstadt Saarbrücken.
Und die Frankreichstrategie? Die mit großem Brimborium 2014 gestartete Kampagne, bis 2043 im Saarland Französisch als Verkehrssprache zu etablieren, wird unterschiedlich bewertet. Während die Politik auf Erfolge verweist wie die Zunahme der Französisch lernenden Schüler im Saarland um fast 25 Prozent, sind Fortschritte in der Wirtschaft kaum messbar. Es sei immer gut, wenn junge Menschen mehrsprachig seien, und auch die großregionale Integration funktioniere einigermaßen gut, so Oliver Groll. Aber die messbaren Fortschritte in der Frankreichstrategie seien doch eher klein. Die Region Grand Est müsste sicherlich mehr tun. Der Vorsitzende des Arbeitskreises Wirtschaft Harald Bellmann sieht in der Frankreichstrategie sogar gar keine Fortschritte speziell für den Mittelstand. Das angrenzende Lothringen gehöre zu den strukturschwachen Gebieten in Frankreich und würde für sein Unternehmen keine Effekte zeigen.
Frankreichstrategie mit verhaltenem Echo
Wie es mit der Frankreichstrategie unter der neuen Landesregierung weitergeht, bleibt abzuwarten. Geplant ist für die nächsten beiden Jahre eine Ausweitung des Angebots für alle Bürgerinnen und Bürger, die Französisch erlernen wollen, um die Möglichkeiten zum Austausch in der Großregion besser zu nutzen. Der Bedarf an Französischkenntnissen vor allem im Handwerk, im Einzelhandel, in der Gastronomie und im medizinischen Bereich sei hoch, betont Karl Terrollion, Leiter des Saarland-Büros in Paris.
Als Erfolg versprechend wird die Zusammenarbeit in Künstlicher Intelligenz und Cybersicherheit zwischen den deutschen und französischen Forschungsinstituten DFKI, CISPA und INRIA in Nancy gesehen. Als erstes echtes deutsch-französisches Start-up-Unternehmen gilt hier das High-Tech-Unternehmen für kognitive Dokumentenverarbeitung natif.ai. Für Mitbegründer Christophe Hocquet bietet der Unicampus Saarbrücken mit rund 20.000 Studenten und Forschern aus dem In- und Ausland riesiges Rekrutierungspotenzial. „Wir sind in Saarbrücken, weil wir Talente im Bereich der Künstlichen Intelligenz für unser Wachstum brauchen." Gefunden hat er Saarbrücken übrigens über Google bei der Eingabe des Begriffs KI.
Viele junge Menschen würden nach ihrem Studium gerne im Saarland oder in der Großregion bleiben, aber es mangelt an Perspektiven. Das Gründungscenter Eurodev in Forbach versucht seit vielen Jahren, jungen Menschen diese zu geben. Mehr als 200 neue Arbeitsplätze sind in den letzten Jahren allein durch Start-ups entstanden. Im Durchschnitt kommen rund ein Drittel der Start-up-Unternehmen aus dem deutschsprachigen Ausland, zwei Drittel aus ganz Frankreich. Die meisten stammen aus dem grenznahen Raum Lothringen und Saarland. Das Besondere an Eurodev sei die grenzüberschreitende Ausrichtung, sagt der Leiter Laurent Damiani. „Viele der potenziellen Newcomer haben von vornherein nicht nur den französischen oder deutschen Markt allein im Visier. Sie nutzen die Vorteile wie etwa binationale Ausbildungsmöglichkeiten in der Großregion, Zweisprachigkeit, deutsch-französische Netzwerke, die ihnen die Grenzregion bietet."
Die EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs im ersten Halbjahr 2022 sei sehr abstrakt und habe für die vielen kleinen und mittleren Betriebe in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Alltag keine große Relevanz, so die Vertreter der Kammern und Verbände unisono. Paris, Berlin und Brüssel seien einfach zu weit weg vom Alltag in den Grenzregionen, obwohl es wichtig sei, dass die Politik die Rahmenbedingungen setze. Und die sind extrem wichtig für die beiden größten Volkswirtschaften der EU als jeweils wichtigste Handelspartner.