Vor der Länderspielpause haben die Füchse Berlin zwei schwere Rückschläge kassiert – und ausgerechnet jetzt muss das Team zum Spitzenreiter SC Magdeburg reisen. Die Champions-League-Qualifikation ist in Gefahr.
Stefan Kretzschmar und Bob Hanning hatten ihren Spaß. Für die Youtube-Serie „Wer kennt sein Team?" setzten sich die beiden Macher der Füchse Berlin an einen Tisch, bei diversen Fragen rund um die Mannschaft mussten sie möglichst viele Übereinstimmungen sammeln. „Dieses Spiel hat es in sich", kündigte Sportvorstand Kretzschmar schmunzelnd an – es war vor allem sehr unterhaltsam und informativ. Wer mehr über die Füchse-Profis erfahren will, sollte sich diese Streaming-Folge unbedingt anschauen, denn Kretzschmar und Geschäftsführer Hanning plauderten aus dem Nähkästchen.
So erfuhren die Zuschauer, dass Fabian Wiede von allen Spielern am meisten am Handy daddelt. „Am kontroversesten unterwegs auf Social Media ist Fabi – und seine Frau", sagte Kretzschmar lachend. Auf die Frage, welcher Profi für die Frauen am attraktivsten ist, antworteten beide: Lasse Andersson. Und wer hat das größte Herz? „Für mich gibt es nur einen", sagte Hanning und hielt den Zettel mit dem Namen „Paulchen" für Paul Drux hoch – genau wie Kretzschmar. Wen würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? Bei dieser Frage schrieben beide ohne zu zögern den Namen „Mijajlo Marsenic" auf. „Was passiert, wenn ein Elefant oder Löwe kommt? Wer geht für dich durchs Feuer? Das kann nur Marsa lösen!", argumentierte Hanning.
Rückschlag nach acht Siegen
Am Ende der launigen Runde hatten die Sportchefs in acht von zehn Fragen eine Übereinstimmung – neuer interner Rekord. „Nichts weniger war das Ziel", so Kretzschmar. Dass sie ihr Team gut kennen, daran bestand aber auch vorher kein Zweifel. Vor allem von der Qualität her sind sie absolut überzeugt von Hans Lindberg und Co., deswegen hatten die Macher von Beginn an das Ziel „Champions-League-Qualifikation" ausgerufen. Lange Zeit sah es auch sehr gut aus, acht Siege in Serie ließen die Hoffnungen auf die Königsklasse wachsen. Doch ausgerechnet im letzten Spiel vor der Länderspielpause holte das Team von Trainer Jaron Siewert nur ein enttäuschendes 32:32 gegen Hannover-Burgdorf. Der ärgste Rivale THW Kiel zog deswegen an den punktgleichen Füchsen vorbei auf Tabellenplatz zwei, der zur Champions-League-Teilnahme in der kommenden Saison berechtigt.
„Ich glaube, das Unentschieden war gerechtfertigt, auch wenn wir enttäuscht sind, das letzte Spiel vor der Pause nicht gewonnen zu haben", sagte Siewert hinterher. Der erste Punktverlust im Sportjahr 2022 war auch deshalb so bitter, weil die Chance zur Wiedergutmachung erst zwei Wochen später folgt. Doch der Gegner hat es in sich: Am 1. Mai (14 Uhr) müssen die Füchse zum souveränen Tabellenführer SC Magdeburg. „Wir sind immer noch in der Tabelle oben dran, wir haben immer noch eine Chance und solange geben wir alles", betonte Routinier Lindberg: „Als nächstes ist Magdeburg dran, das ist ein Vier-Punkte-Spiel und wir hoffen, dort zwei Punkte mitzunehmen."
Allerdings ist allen noch das Hinspiel in guter Erinnerung, als die Magdeburger mit einer Machtdemonstration den Verfolger aus der Hauptstadt mit 33:29 dominiert hatten. Die Mannschaft von Trainer Bennet Wiegert ist auch diesmal Favorit, weil es sich von der Heimpleite gegen Kiel (25:30) zuletzt gut erholt zeigte und sowohl Hannover als auch Wetzlar keine Chance ließ. Der erste Meistertitel des SCM seit 21 Jahren ist fast sicher, ein Sieg der Berliner würde daran wohl nur wenig ändern. „Hoffnung gewinnt keine Meisterschaften, das wissen wir", sagte kürzlich Kiels Trainer Filip Jicha: „Ich glaube, der SCM schwimmt weiter in eigenen Gewässern." Auch THW-Kreisläufer Patrick Wiencek glaubt nicht mehr daran, dass Magdeburg noch drei Spiele verliert: „Das wird schwierig." Verdient wäre der Titel für den SCM in jedem Fall, so Wiencek: „Magdeburg spielt in dieser Saison vielleicht den schönsten Handball in der Liga."
Trotzdem wollen die Füchse in der Bördelandhalle für eine kleine Überraschung sorgen. Eine besondere Genugtuung wäre das für Kretzschmar, der einst als Aktiver große Erfolge für Magdeburg eingefahren hatte, als späterer Sportdirektor aber im Unfrieden ausgeschieden war. Generell gebe es zwischen den beiden im Osten der Republik beheimateten Clubs eine starke Rivalität, die Kretzschmar zwar nicht mit Hass, aber mit „tiefer Abneigung" beschreibt. Die habe begonnen, als Torhüter Silvio Heinevetter 2009 von Magdeburg nach Berlin wechselte. „Magdeburg hatte immer die Vormachtstellung, auf einmal waren es die Berliner", erinnerte sich der einstige Weltklasse-Linksaußen. Dass sein Sohn für die D-Jugend des Rivalen spielt und ein Hardcore-Fan des SC Magdeburg ist, macht die Sache für Kretzschmar nur umso brisanter. „Da reicht die Vaterfigur nicht aus, um bei ihm Sympathie für den Berliner Verein zu wecken", sagte er der Sport-Bild.
Europa Final Four verpasst
Die Berliner benötigen aber weniger Sympathie, sondern vielmehr Punkte. Ansonsten „droht" in der kommenden Saison erneut die European League. Dort sind die Füchse in diesem Jahr im Achtelfinale am französischen Club HBC Nantes gescheitert. Vor allem die 30:33-Heimpleite im Rückspiel war eine herbe Enttäuschung. Im Angriff präsentierte sich das Siewert-Team viel zu unkonzentriert mit zahlreichen Ballverlusten und schwachen Abschlüssen. Bezeichnend: Der sonst so sichere Schütze Lindberg verballerte gleich zwei Siebenmeter. Aber auch defensiv reichte kaum jemand an seine Topform heran, vor allem Torhüter Dejan Milosavljev erwischte einen schwarzen Tag.
Zumindest präsentierten sich die Spieler hinterher selbstkritisch. „Wir haben nicht die Leistung gebracht, die es in diesen zwei Spielen auf diesem Niveau gebraucht hätte", haderte Lindberg: „Dafür wurden wir bestraft." Erstmals seit fünf Jahren verpassten die Berliner damit das Final Four in dem zweitwichtigsten Clubwettbewerb des europäischen Handballs. „Die Stimmung war schon sehr gedrückt", gab Coach Siewert zu, „weil einfach ein großes Ziel vorbei ist." Das zweite große Ziel, die Champions-League-Qualifikation, soll dadurch aber nicht gefährdet werden. „Wir haben ja noch viele Möglichkeiten in der Liga, wofür es sich lohnt, noch einmal alles reinzuhauen", so Siewert.
Ohne die Doppelbelastung dürfte es für die Körper und Köpfe auch einfacher werden, sich nur auf den Kampf um Platz zwei in der Liga zu fokussieren. „Die Spieler, die alters- oder verletzungsbedingt am Anschlag sind, haben mehr Zeit, sich zu erholen und zwischen den Spielen Substanz aufzubauen", argumentierte Siewert, „und davon haben wir einige." Ihm selbst bleibt zudem mehr Zeit für ein richtiges Training, er wolle „an kleinen Baustellen im Kraft- und Athletikbereich" arbeiten. Und natürlich muss Siewert seine Spieler auch mental aufbauen, denn das Europacup-Aus hat seine negative Wirkung entfaltet. „Wir haben uns mehr vorgenommen und müssen das jetzt schnell abhaken", mahnte Lindberg.
Für Siewert wäre es „ein kleines Trostpflaster", wenn Nantes die European League nun gewinnen sollte. Nationalspieler Drux würde sich freuen, wenn sich beide Clubs „nächstes Jahr in der Champions League" zur Revanche treffen würden, „das wäre doch ein netter Ausgleich." Doch dafür müssen die Füchse den zweiten Platz in der Bundesliga erobern. Magdeburg wird der Gradmesser sein.