Im November 2017 übernahm Philipp Kessler den Trainerjob bei der HG Saarlouis. Nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga 2018 hat sich das Team unter seiner Führung im oberen Drittel der 3. Liga stabilisiert. Doch nach der Saison ist Schluss.
Nach vier Jahren als Trainer hört Philipp Kessler bei Handball-Drittligist HG Saarlouis nach der laufenden Saison auf. Mit dem Erreichen des Saisonziels, Platz 5 in der Drittliga-Staffel F, ist er zufrieden. „Grundsätzlich war es aufgrund der anhaltenden Corona-Situation für uns eine schwierige Saison. Wir waren froh, dass wir überhaupt und größtenteils auch vor Zuschauern spielen konnten. Aber insbesondere im ersten Teil der Saison hatten wir zu schwankende Leistungen", weiß der Wirtschafts- und Sportlehrer Kessler. Dabei denkt der 37-Jährige insbesondere an so manches Heimspiel der Hinrunde, in der seine Mannschaft nicht ihr komplettes Leistungsvermögen abrufen konnte. „Man muss aber auch bedenken, dass wir gleich in den ersten Ligaspielen gegen alle Top 5-Teams der Staffel spielen mussten", merkt Kessler an und ergänzt: „Da wir mit Adel Rastoder einen neuen Innenblock-Spieler und mit Lukas Hüller einen neuen Spielmacher hatten, war es mir schon klar, dass wir eine Weile brauchen werden, bis wir spielerisch zueinander finden und unsere Abläufe automatisierter durchspielen können".
Personelle Probleme während der Saison
Hinzu kamen schwerwiegende verletzungs- oder coronabedingte Ausfälle wie der von Leistungsträger Tom Paetow, der letztlich in über der Hälfte aller Spiele nicht mitwirken konnte. Nicht selten brach die HG nach zuvor starken 50 Minuten in der Schlussphase ein und kassierte nach Führung doch noch eine Niederlage. „In den entscheidenden Phasen, also wenn es wirklich darum geht, ein Spiel für sich zu entscheiden, braucht man eine Achse von Spielern, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen", weiß Kessler und meint Führungspersönlichkeiten, die schon über einen längeren Zeitraum zusammenspielen. „Alle Mannschaften, die in der Tabelle vor uns stehen, haben so eine eingespielte Achse. Wir hatten diese nicht, sonst wären wir sicher auch noch ein Stück weiter vorne gelandet", findet der frühere Abwehrchef und nennt den schmerzhaften Abgang von Vorkämpfer Peter Walz vor einem Jahr zu Zweitligist ThSV Eisenach. „Obwohl es geplant war, wurde er nicht ersetzt. Leider hatte ich in den vergangenen Jahren nicht die Möglichkeit bekommen, mit einer eingespielten Achse und zielgenauen Verstärkungen in eine neue Saison zu gehen. Das machte es natürlich nicht einfacher, maximal erfolgreich zu arbeiten", sagt Kessler, der zusammen mit dem Team das vom Präsidium ausgegebene Saisonziel Platz fünf erreicht hat: „Wir hätten vor allem zu Hause sicher den einen oder anderen Punkt mehr auf unserem Konto haben können, aber die sechs Siege aus sieben Spielen im Jahr 2022 trotz einiger Ausfälle waren zum Abschluss sehr gut", resümiert er.
Kesslers Entscheidung, dem Verein nicht weiter als Trainer zur Verfügung zu stehen und die Tatsache, dass neben ihm auch einige Spieler, darunter Leistungsträger wie Kapitän Philipp Leist, Torjäger Tommy Wirtz und Torwart Patrick Schulz die HG verlassen werden, sorgten für Diskussionsstoff. Diskutiert wurde allerdings nicht intern, sondern öffentlich – unter anderem auch im FORUM – Das Wochenmagazin. Kessler warf dem Verein mangelhafte Kommunikation vor, der Verein behauptete, Kessler habe „das Handtuch geworfen" und zu spät auf die jungen Talente im Kader gesetzt. Nach Kesslers Meinung eine zu oberflächliche Sichtweise. „Jeder, der mich und meine Arbeit als Trainer wirklich kennt, weiß wie gerne ich mit jungen Spielern zusammenarbeite. Die Jungs müssen sich entwickeln – und vor allem sich entwickeln dürfen, also auch Fehler machen. Es braucht einfach Zeit bis sie sich im Herrenbereich zurechtfinden. Hier herrschen eine ganz andere Körperlichkeit und Geschwindigkeit als in der A-Jugend-Bundesliga", sagt er und ergänzt auch mit Blick auch auf die Dreifachbelastung mit Einsätzen Jugend-, 2. und 1. Mannschaft: „Es bringt nichts, die Jungs zu verheizen und sie überwiegend Negativerlebnisse sammeln zu lassen. Hier spielt auch die mentale Stärke eine Rolle und die ist bei allen unterschiedlich".
In der ersten Saisonhälfte kamen die Jungen immer dann zum Einsatz, wenn die Etablierten eine Spielsituation geschafften hatten, die dies erlaubte. In der zweiten Hälfte profitierten sie von dieser Erfahrung und konnten abliefern, als sie es aufgrund der Personalsituation auch mussten. „Ich habe meine Entscheidungen immer unter sportlichen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung des vom Präsidium vorgegebenen Saisonziels gefällt. Daran hatte sich auch die Kaderplanung des Vereins orientiert und diesem Ziel haben wir vieles untergeordnet", sagt Kessler. Um den Fokus voll auf die Entwicklung der Talente zu legen, hätte der Verein seiner Meinung nach kein Platzierungs-, sondern ein Prozessziel ausrufen sollen und pro Position mit je einem erfahrenen Spieler und einem Talent planen sollen.
Philipp Kessler geht „ohne Groll"
Von den Talenten ragte eines zuletzt immer deutlicher heraus: Marko Grgic. Er konnte Tom Paetows Ausfall insbesondere in der Rückrunde kompensieren. „Marko ist außergewöhnlich talentiert und wird sich im Leistungshandball nach oben hin durchsetzen und mindestens in der 2. Bundesliga spielen", ist Kessler sicher, betont aber auch: „Zu Saisonbeginn konnte er aus unterschiedlichen Gründen noch nicht die Rolle spielen, die er selbst gerne schon gespielt hätte und in der wir alle ihn gerne schon gesehen hätten." Welche Rolle die HG in der nächsten Saison spielen wird, ist noch völlig offen. Einen neuen Trainer gibt es noch nicht, die Abgänge müssen kompensiert werden und die Talente weiterentwickelt. Ohne Kessler. „Der Verein und ich sind froh, wenn an dieser Stelle langsam wieder Ruhe einkehrt. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen meine konstruktive Kritik als Gedankenanstöße aufnehmen, um die ausgeführten Punkte in Zukunft besser zu machen", sagt Kessler und ergänzt: „Natürlich habe auch ich in meiner Trainertätigkeit Fehler gemacht, das bleibt ja bei meiner Aufgabe nicht aus. Aber im Rahmen der öffentlichen Diskussion kamen von Vereinsseite einige Unwahrheiten zur Sprache. Als jemand, der schon seit einer Ewigkeit für den Verein tätig ist und als Trainer wie auch als Spieler ehrliche Arbeit abgeliefert hat, ärgert mich das natürlich." Trotzdem gehe er „ohne Groll" und bleibe weiterhin Fan „seines" Vereins. „Es hat mir sehr viel Spaß gemacht", sagt Kessler und bedankt sich vor allem beim früheren HG-Manager Richard Jungmann, „der mich als Spieler gefördert, zum Trainer gemacht und mir dabei auch immer sein volles Vertrauen entgegengebracht hat."