Der frühere Graffitikünstler Reso alias Patrick Jungfleisch hat mit Seriegrafien einen neuen künstlerischen Weg eingeschlagen und eine neue Galerie, die Kvest Art Gallery in St. Ingbert, mitgegründet.
Die Vergangenheit ist passé! Das ist schon an sich eine korrekte Definition mit Wahrheitsgehalt. Bei einem Besuch im Atelier macht Reso alias Patrick Jungfleisch außerdem deutlich, dass das Zukünftige das Entscheidende ist, und daher der Blick zurück in die Vergangenheit Zeitverschwendung bedeutet.
Wahrscheinlich hat es auch ihn einiges an Zeit gekostet, zu dieser Erkenntnis zu gelangen. In der Vergangenheit –
von der hier gar nicht ausufernd die Rede sein soll – betrieb er fast sechs Jahre lang bis Mitte 2020 eine Galerie für zeitgenössische Kunst am Saarbrücker Eurobahnhof. Schon damals kam der Marketingexperte Chris Kirsch mit ins Team, mit dem er heute gleich mehrere Gesellschaften unterhält.
Beide sind Gründer und Gesellschafter der seit wenigen Monaten im St. Ingberter Beckerturm angesiedelten Kvest-Art Gallery sowie bei einer Gesellschaft mit dem Namen Berk Art Invest, die Kunst als Geldanlage und zur Wertsteigerung begreift. Als sei dies für eine Person noch nicht genug Arbeit, geht Reso schließlich auch einem ganz regulären Angestelltenverhältnis im Ministerium für Bildung und Kultur nach. Alle vorgenannten Aktivitäten als Gesellschafter, Galerist, Kunsthändler und Künstler muss er in seine Freizeit legen.
Ebenso wie er sein Galeriekonzept überdacht hat – inklusive neuem, weniger sperrigem Galerienamen und neuem Standort – so hat er auch für sich selbst neue künstlerische Erkenntnisse gewonnen. „Wir sind mit der Galerie offen für alle Kunstformen. Wohl haben die meisten unserer Künstlerinnen und Künstler ihren Ursprung in der Urban Art, aber wir verstehen uns grundsätzlich als eine Galerie für zeitgenössische Kunst. Die Urban Artists früherer Jahre sind am Markt angekommen. Ich bin auch kein Graffitikünstler mehr, das war ein Jugendding. Und ja, es gab auch in den letzten Jahren noch einige Wände in dem Stil, aber auch das ist jetzt passé. Heute habe ich eine andere Denkweise und einen fundamental anderen Ansatz. Ich mach’ jetzt mein eigenes Ding."
„Das Komplexe liegt im Einfachen"
Und das sieht Reso vor allem im Bereich Druckgrafik. Er hat eine komplette Siebdruck-Werkstatt aufgekauft und in seinem neuen Atelier, ebenfalls auf dem Gelände der alten Becker-Brauerei – heute Innovationspark am Beckerturm St. Ingbert – installiert. Alles ist da, vom Belichtungstisch bis zur Spülwanne. Zur Umsetzung seiner Druckexperimente hat er sich Unterstützung in Person von Camille Gergen als Geschäftsführer und Atelierleiter geholt, denn der Aufwand seiner neuen Seriegrafien ist enorm. Zudem sind alle Seriegrafien als Unikate angelegt, das heißt, dass ein Motiv nur einmal gedruckt wird. Und das bedeutet, dass der Aufwand bei einem Unikat genauso groß ist wie bei einer 100er-Serie.
„Das Komplexe liegt im Einfachen, man sieht hier schneller Fehler, man muss präziser arbeiten, vor allem die Entstehung muss sorgsam geplant sein." Die Vorbereitungen für den Druckprozess, zum Beispiel das hochwertige Büttenpapier mit einem monochromen Farbauftrag zu versehen, übernimmt teilweise sein Atelierleiter Camille für ihn.
Aber warum kauft man eine Siebdruckmaschine beziehungsweise gleich eine voll ausgestattete Siebdruckwerkstatt? „Wenn man als Künstler den Druck eines Motivs in Auftrag gibt – vor allem in größerer Auflage – dann kostet das immens viel Geld. Die Drucke kommen perfekt zurück, eigentlich zu perfekt. Das Individuelle, Experimentelle geht verloren. Und aus Fehlern lernt man. Hier in unserer Werkstatt entstehen viele Fehldrucke, aber mit jedem Fehldruck wächst unsere Erfahrung. Und zuweilen hat auch der Zufall das interessanteste Ergebnis hervorgebracht. Mit einem eigenen Equipment hat man den Schaffensprozess einfach besser unter Kontrolle", erläutert der Künstler die Anschaffung der eigenen Siebdruckwerkstatt.
Das „Komplexe im Einfachen", das Resos neue Seriegrafie-Unikate ausmacht, lässt sich beispielsweise bei Blättern aus der Serie „Someday" nachvollziehen. Die 2022 begonnene Serie ist im Grunde die Verbildlichung von Musik, die er zur Inspiration hört und so seinen Schaffensprozess beeinflusst. Die Pinselstruktur zeigt eine rhythmische Bewegung, die Malerei wird mit unterschiedlichem Druck auf Papier ausgeführt, der Pinsel dabei gedreht. Danach wird von dieser Malerei entweder ein Foto oder ein Scan angefertigt und anschließend am PC mit Photoshop freigestellt. Das nun digital vorliegende Motiv wird auf Transparentbögen gedruckt und damit das Drucksieb mit UV-Licht belichtet.
Vor allem in dieser Phase am Belichtungstisch passieren die spannendsten Dinge. Der Film, der mit Vakuum an das Sieb gepresst und dann belichtet wird, kann je nach Dauer der Belichtungszeit ganz unterschiedlich werden. Je kürzer die Belichtungszeit, desto mehr Details. „Oder die Details ‚saufen‘ ab", fügt er lachend hinzu. Auch die verschiedenen Materialien der Siebe sind von Bedeutung. „Textilsiebe lassen zum Beispiel viel Farbe durch, im Gegensatz zu den Grafiksieben. Der Aufwand ist relativ groß und die Arbeitsschritte hören sich vielleicht nach einem Umweg an. Aber für mich sind die einzelnen Schritte die einzige Möglichkeit, diese Ergebnisse zu erzielen", erklärt er seine Beweggründe.
Reminiszenz an die Graffitikunst
Auf der formal-rhythmisierten Bildfläche der „Someday"-Seriegrafien taucht auch ein Querstreifen – manchmal auch zwei – auf. Dieser Streifen mutet zuweilen wie ein Fremdkörper an. Bei genauerem Hinsehen erkennt man einen Sprühstrahl. Vielleicht ist der Strahl aus der Sprühdose als kleine augenzwinkernde Reminiszenz an die frühere Graffiti-kunst zu verstehen. Aber auch dieser Sprühstrahl wurde zunächst auf Papier ausgeführt, eingescannt und kann nun auf dem Büttenpapier so groß oder klein gedruckt werden wie jeweils gewünscht. Den Sprühstrahl auf die Malerei-Vorlage aufzutragen wäre im Ergebnis zu „grob" gewesen. Mit der Vereinzelung der Arbeitsschritte – Originalmalerei einerseits und separat angefertigter Sprühstrahl – lassen sich nicht nur perfektere Ergebnisse, sondern auch vielfältige Variationen erzielen. Abschließend wird das finale Unikat mit einem Sprühlack als Firnis überzogen.
In den kommenden Monaten wird Reso in jeder freien Minute an diesen Seriegrafie-Unikaten arbeiten, denn er setzt „alles auf das Pferd New York". Vom 27. bis 30. Oktober findet in New York die IFPDA, eine Messe für Druckgrafik, statt. Bei dieser Messe wird er – wie eigentlich üblich in seinem Künstlerdasein – zweigleisig fahren: zum einen wird es bei dieser Messe einen gemeinsamen Stand seiner „Kvest Art Gallery" mit einer amerikanischen Kunsthändlerin geben. Zugleich wird diese Händlerin auch Resos Seriegrafien zeigen, von denen sie kürzlich schon welche für ihre eigene Sammlung erworben hat. Überhaupt soll sich auch das Galeriegeschäft durch die Kooperation mit der amerikanischen Kunsthändlerin in andere Sphären bewegen. Der Standort im historischen Beckerturm bleibt auf jeden Fall erhalten, das internationale Geschäft – sowohl für die Galerie und den Primärmarkt als auch für die Sparte Kunsthandel und Geldanlage – lässt sich jedoch sicher mit Dependance-Adresse in New York City besser angehen.
„Kvest" wird Quest ausgesprochen. Das Kunstwort leitet sich phonetisch vom englischen Wort „quest" ab, was man mit „die Suche, das Streben, der Aufbruch nach Neuem" übersetzen könnte. Zuweilen findet sich für „quest" als Übersetzungsvorschlag gar die „Heldenreise" beziehungsweise „Suche nach dem heiligen Gral". Gute Reise!