Der Ukraine-Krieg bringt sicher geglaubte Positionen ins Wanken. Ist ökologische Landwirtschaft wirklich besser als konventionelle? Und wie kann es beispielsweise sein, dass immer noch Getreide und Öl als „Biokraftstoffe" im Tank landen statt als Nahrungsmittel zu dienen?
Alles wird knapper: die Bauindustrie muss kurzarbeiten, weil Zement, Stahl und Holz fehlen. Energie wird extrem knapp, wenn die Lieferung aus Russland eingestellt wird. Das Geld wird knapp, weil alles teurer wird. Demnächst könnte auch das Getreide knapp werden, weil aus der Ukraine nichts mehr geliefert werden kann und Russland den Export stoppt.
Palmöl ab 2023 nicht mehr Kraftstoffzusatz
Der Landeswirtchaftsminister Cem Özdemir aber will an der Stilllegung von Agrarflächen und damit an der Agrarwende festhalten. Die nicht genutzten Äcker sollen zunächst nicht bewirtschaftet werden. Bauernpräsident Joachim Rukwied hat sich dagegen beim jüngsten Treffen der Agrarminister von Bund und Ländern dafür ausgesprochen, einen Teil der ökologischen Vorrangflächen für den Anbau von Lebensmitteln nutzen zu dürfen, um einer durch den Ukraine-Krieg bevorstehenden Lebensmittel-Knappheit entgegenzuwirken. Doch Özdemir hielt auf derselben Konferenz dagegen, dass das zusätzliche Ertragspotenzial durch solche Maßnahmen nur gering ausfalle. Berechnungen zufolge könnten dabei nur zusätzlich 0,6 Millionen Tonnen bei einer Getreideernte von 45 Millionen Tonnen gewonnen werden. Darüber hinaus gab der Landwirtschaftsminister an, dass vor allem die stark angestiegenen Energiepreise aktuell Preistreiber für die Lebensmittel seien. „Es ist nicht das Mehl, das bei Brot vor allem den Preis ausmacht." Özdemir verwies darauf, dass in diesem Jahr ausnahmsweise Gras und Pflanzen von bestimmten „ökologischen Vorrangflächen" als Futter genutzt werden dürfen. Er wandte sich aber gegen weitergehende Forderungen, dort etwa auch Pflanzenschutzmittel einzusetzen oder Getreide anzubauen. Die Böden seien zum Teil nicht dafür geeignet.
Auf einem neuen Gebiet aber zeichnet sich eine Agrarwende anderer Art ab: Bedeutende Flächen für den potenziellen Anbau von Lebensmitteln sind etwa für die Produktion von Agrosprit belegt. Cem Özdemir hat Ende März gesagt: „Es ist nicht nachhaltig, Weizen und Mais in den Tank zu schütten" und betont, er sei dazu im Gespräch mit Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und dem Wirtschaftsminister. Mit den Flächen, die weltweit dafür verwendet würden, könne man hungernde Menschen besser ernähren.

Doch wenn die Bundesregierung die Nutzung von Agrarprodukten als Kraftstoffzusatz einschränkt, wird mehr fossiler Kraftstoff, also Öl, verbraucht, und das macht den Sprit noch teurer und schadet der Umwelt. In dem Zusammenhang verwies Umweltministerin Lemke darauf, dass in Deutschland ab 2023 die Verwendung von Palmöl als Kraftstoffzusatz im Diesel nicht mehr als Biosprit anerkannt werde. „Ich will jetzt den nächsten Schritt gehen und auch den Einsatz von Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen weiter reduzieren", kündigte Lemke an. Derzeit werden zur Entlastung der CO2-Bilanz bei Diesel meist sieben Prozent Pflanzenölerzeugnisse zugesetzt und bei Benzin zwischen fünf und zehn Prozent Bioethanol, das meist aus Getreide und Rüben gewonnen wird.
Ursprünglich sollte so das Autofahren klimafreundlicher werden. Biosprit sollte den Verbrauch von Erdöl zurückdrängen und den CO2-Ausstoß eindämmen. Das Problem besteht allerdings darin, dass es in Deutschland gar nicht genug Ackerfläche gibt, um die erforderliche Pflanzenmenge für die Autotanks anzubauen. Also wird der pflanzliche Rohstoff importiert, und so werden für den massenhaften Anbau von Palmöl oder Zuckerrohr, Soja und Mais in Asien und Südamerika ganze Wälder vernichtet. Tatsächlich, so Johanna Büchler von der Deutschen Umwelthilfe dienen rund um den Globus heute über 1,2 Millionen Hektar – fast die fünffache Fläche des Saarlandes – der Produktion von Agrosprit allein für deutsche Autos: Rapsfelder in Deutschland, Getreideäcker in der Ukraine, Zuckerrohrplantagen in Peru. Alles Monokultur, behandelt mit Dünger und Pestiziden. Berechnungen des ifeu-Instituts zeigen, dass natürliche Vegetation ohne Dünger und Pestizide auf einer Fläche dieser Größe über einen Zeitraum von 30 Jahren deutlich mehr CO2 aus der Atmosphäre binden könnte als der Einsatz von Agrosprit laut amtlichen Zahlen an fossilen CO2-Emissionen vermeidet. Unter dem Strich entstehe allein für den in Deutschland getankten Agrosprit ein Klimaschaden von über sieben Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
Für massenhaften Anbau ganze Wälder vernichtet
In den offiziellen Agrokraftstoff-Klimabilanzen wird das verschenkte CO2-Speicherpotenzial der eingesetzten Flächen ignoriert – so als stünden riesige Landstriche ohne Abstriche fürs Klima als Anbauflächen zur Verfügung. Dabei herrscht massiver Flächendruck, in Deutschland und global. Kraftstoff aus Anbaubiomasse zu gewinnen ist eine extrem ineffiziente Landnutzung, wie die Studie zeigt: Die Erzeugung von Solarstrom für E-Autos benötigt 97 Prozent weniger Fläche für die gleiche Kilometerleistung. Eine kombinierte Flächennutzung mit Fotovoltaik und Renaturierung hätte einen dreifach größeren Klimanutzen als der vermeintlich klimafreundliche Agrosprit. Trotzdem werden Agrokraftstoffe immer noch als „erneuerbare Energie" gewertet und zahlen auf die gesetzlichen nationalen und europäischen Quoten zur Treibhausgasminderung im Verkehr ein. Die 1,2 Millionen Hektar konsequent für den Anbau von Pflanzen für Nahrungsmitteln und Futter einzusetzen, würde der Versorgungskrise mit den fehlenden Lieferungen aus der Ukraine und Russland entgegenwirken. Doch das ist kein Problem, dass allein in Deutschland gelöst werden kann – es betrifft die Landwirtschaft in vielen Regionen der Erde. Deutschland müsste die gesamte Logistik, die mit dem Import von Getreide für Biosprit verbunden ist, auflösen. An Tankstellen würde es nur noch unvermischtes und entsprechend teureres Benzin geben. Und die Länder, die bisher für den Biosprit-Markt Getreide angebaut haben, müssten dafür einen Ersatz bekommen.
Ein Dilemma? Nur eines von vielen, denn Biosprit und der Versuch, ihn abzuschaffen, zeigt einmal mehr, wie eng die globale Wirtschaft verbunden ist.