In der Kleinstadt Denzlingen erhalten Bürger einen Gutschein von bis zu 500 Euro, wenn sie ihr Auto abgeben. Ein Modell auch für andere Kommunen?
Ein bisschen traurig ist Dorothea Schmidt schon. „Mein Golf Variant war zwölf Jahre alt, lief aber wie ’ne Eins", sagt die 62-Jährige. Der Kombi hat sie überall hin begleitet: zum Supermarkt, zur Jagd, zum Kanufahren. „Bei solchen Hobbys ist ein Auto schon sehr nützlich", räumt Schmidt ein. „Aber ich wollte es trotzdem mal ohne versuchen." Zumal ihr Golf schon mehr als 200.000 Kilometer auf dem Tacho hatte.

Im Sommer 2020 meldete sich Schmidt beim Rathaus ihres Heimatortes Denzlingen. Der Gemeinderat der badischen Kleinstadt hatte kurz zuvor ein neues Förderprogramm ins Leben gerufen: Wer sein Auto mit Verbrennungsmotor abgibt, erhält einen Gutschein über 500 Euro. Dieser dient als Zuschuss für ein E-Bike oder eine Jahreskarte des regionalen Verkehrsverbundes, die aktuell 672 Euro kostet. Alternativ können die Umsteigewilligen mit dem Gutschein im lokalen Einzelhandel einkaufen gehen. Dann beschränkt sich die Prämie jedoch auf 200 Euro.
Elektrisches Rad für den Sohn
Dass sich so schnell jemand melden würde, hatte die Gemeinde selbst überrascht. „Es gab noch nicht mal Vordrucke", erinnert sich Schmidt, „aber ich habe direkt eine formlose Zusage erhalten. Das lief wirklich schnell und unbürokratisch." Ein paar Voraussetzungen musste sie dennoch erfüllen: Dazu gehörte der Umstieg auf Ökostrom sowie eine schriftliche Verpflichtung, sich drei Jahre lang kein neues Auto mit Verbrennungsmotor zuzulegen. „Von dem Gutschein habe ich meinem Sohn ein elektrisches Klapprad gekauft", erzählt Schmidt. „Er fährt damit zur Uni, und ich nehme es mit, wenn ich den Zug nach Köln nehme, um Freunde zu besuchen."
Raus aus dem Auto, rauf auf den Sattel: Wenn es nach Markus Hollemann geht, sollten noch viel mehr Menschen diesem Beispiel folgen. Hollemann ist einer der wenigen deutschen Bürgermeister, die der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) angehören. „Wir haben Jahrzehnte den motorisierten Individualverkehr gefördert", sagt der Lokalpolitiker. „Jetzt ist es mal nötig, dass das Fahrrad dran ist." Und nicht nur das: Auch Solarzellen auf dem Balkon oder Beratungskosten für energetische Sanierungen werden von der Gemeinde bezuschusst – alles für den Klimaschutz.
Dass ausgerechnet eine Kleinstadt die Verkehrswende propagiert, wirft Fragen auf. Sind nicht gerade Menschen auf dem Land aufs Auto angewiesen? Hollemann sieht das nicht so. „Ich würde uns eher als verstädtertes Umland bezeichnet", sagt der Bürgermeister. Er spricht von guten Bahn- und Busanbindungen und freut sich auf einen neuen Schnellradweg, der sich in Planung befindet. „Mit der Bahn ist man von uns in sechs Minuten am Freiburger Hauptbahnhof", sagt Hollemann. „ÖPNV-technisch stehen wir wirklich gut da."
Seit dem Start der Abwrackprämie im Herbst 2020 haben 40 Denzlinger ihr Auto abgegeben. Zugleich ist die Zahl der zugelassenen Pkw in der Stadt aber insgesamt gestiegen – von 7.696 im Jahr 2020 auf 7.726 im darauffolgenden Jahr. Damit liegt Denzlingen im Bundestrend, denn die Zahl der Pkw in Deutschland nimmt weiter zu. So waren am 1. Oktober 2021, dem Stichtag des Kraftfahrtbundesamtes, 48,6 Millionen Pkw zugelassen. „Ohne die Prämie wäre bei uns die Steigerung sicherlich noch deutlicher ausgefallen", vermutet Denzlingens Bürgermeister Hollemann.
Einen Beweis, dass die Abwrackprämie tatsächlich die Verkehrswende befördert, gibt es nicht. Könnte es nicht sein, dass ältere Menschen ihr Auto sowieso abgegeben hätten? „Natürlich kann das sein", entgegnet Bürgermeister Hollemann. „Aber vielleicht wären so manche Senioren ohne die Prämie noch länger Auto gefahren." Die Gerechtigkeitsfrage lässt sich ebenfalls nicht von der Hand weisen: Warum bekommen Autofahrer etwas geschenkt, während diejenigen, die schon immer Rad fahren, leer ausgehen? „Man kann nicht alles lösen", antwortet Hollemann. „Aber wir machen einen Anfang."
Tatsächlich gibt es gewisse Lücken im Denzlinger Klimaschutzkonzept. So wird die Prämie auch an Personen ausgezahlt, die aufs Elektroauto umsteigen. Andreas Kraus ist hierfür ein Beispiel. Zusammen mit seiner Frau hatte der 32-jährige Denzlinger zwei Autos besessen. Nun haben sie einen der beiden Verbrenner verkauft und sich dafür einen E-up angeschafft, einen elektrischen Kleinwagen von VW. Das Ehepaar besitzt also immer noch zwei Autos. „Bei Regen nehmen wir eben doch gern das Auto", sagt Kraus. Zugleich räumt er ein, dass zu Homeoffice-Zeiten die beiden Fahrzeuge meistens nur herumstehen. Komplett verzichten möchte er trotzdem nicht. „In unseren Kombi passt nun mal der Kinderwagen rein", erklärt Kraus. „Und in den Urlaub möchte ich mit dem kleinen E-up auch nicht fahren."
Trägt die kommunale Abwrackprämie also wirklich zur Verkehrswende bei? Oder ist sie eher eine Mogelpackung? Der ökologisch orientierte Verkehrsclub VCD gibt sich zurückhaltend, was eine Einschätzung anbelangt. Viel wichtiger seien Tempo 30, Pop-up-Radwege und bezahlte Parkplätze in den Innenstädten. Der Mobilitätsforscher Stephan Rammler ist ebenfalls zwiegespalten: „Das perfekte politische Instrument gibt es nicht", sagt Rammler. Dass es ungewollte Nebeneffekte gibt, könne man bei solchen Programmen nie ganz verhindern. „Aber die Idee geht in die richtige Richtung."
Andere Städte kopieren Denzlinger Grundkonzept

So sieht es auch die Mehrheit des Denzlinger Gemeinderats: Am 15. Februar stimmten die Abgeordneten dem neuen Haushalt zu. Die Mittel für das Klimaschutzprogramm, das die Abmeldeprämie beinhaltet, wurden darin verdoppelt.
Unterdessen haben auch andere Städte das Denzlinger Konzept kopiert, wenngleich in abgemilderten Varianten. Bielefeld belohnt Umsteigewillige mit einer Prämie von 400 Euro, wenn sie drei Monate aufs Auto verzichten. Das 2021 gestartete Projekt lief so gut, dass es nun verlängert wird: Dieses Jahr sind noch einmal 50 Personen antragsberechtigt. In Denzlingens Nachbarstadt Freiburg können bis zu zehn Haushalte einen Monat lang ihr Auto stehen lassen. Im Gegenzug erhalten sie kostenlose Leihräder, eine Monatskarte und eine Mobilitätsberatung. Das Experiment ist jedoch auf ein Stadtviertel beschränkt.
Für Dorothea Schmidt aus Denzlingen geht nächstes Jahr ihre selbst gewählte Auto-Abstinenz zu Ende. Ob sie dann beim Klapprad bleiben wird, weiß sie noch nicht. „Ganz ohne Auto, das ist schon Augenwischerei", meint die 62-Jährige. Momentan leihe sie sich einmal pro Woche ein Fahrzeug, um dann alle wichtigen Termine zu bündeln. Ihren geliebten Golf will sie nicht zurück; er hat inzwischen einen neuen Besitzer. „Ich habe ihn an einen Mann mit Migrationshintergrund verschenkt", sagt Schmidt. „Er fährt damit jeden Tag zur Arbeit."