Das Festival Perspectives, das Festival frankophoner und deutschsprachiger Bühnenkunst der Gegenwart, findet vom 2. bis zum 11. Juni statt. Der Neue Zirkus ist Programmschwerpunkt. Ein selektiver Ausblick.
Wie kann man das Stück beschreiben?", fragt Sylvie Hamard bei der Programmvorstellung, und liefert die Antwort mit: „Man kann es nicht!" Das ist das Wunder der Bühnenkunst: Man muss sie erleben, man muss sich ihr aussetzen. Nach zwei Jahren Pandemie mit Kontaktbeschränkungen ist die physische Teilhabe, der Besuch einer Vorstellung bei vollbesetztem Zuschauerraum, endlich wieder möglich, jedoch nicht jedem wieder geheuer. Dessen ist sich auch die Künstlerische Leiterin bewusst. „Andere Gewohnheiten" bemerke sie beim Publikum, daher sieht sie es nicht als Selbstverständlichkeit an, dass das Publikum zurückkehrt. Zweckoptimismus darf man jedoch ausschließen, wenn Sylvie Hamard sagt: „Ich bin sehr optimistisch. Wir werden ein normales Festival haben."
Das Festival Perspectives ist aus dem Kulturleben der Region nicht wegzudenken, in seiner Programmatik einzigartig, und wird vom Publikum geschätzt. Dass der Zirkuskunst in Frankreich ein besonderer Stellenwert zugesprochen wird, ist bekannt. Diese, zumeist grandiosen, Gastspiele gehören immer zu den Höhepunkten des Festivals und sprechen insbesondere Familien an.
Viel Programm für viele Familien
Die 44. Ausgabe des Festivals wird die „Compagnie XY", die mit dem Choreografen Rachid Ouramdane das Stück „Möbius" entwickelt hat, eröffnen. Die Besucher erleben ein „Luftballett", eine einzigartige Kombination von Tanz und Akrobatik. Vogelschwärme waren die Inspirationsgeber. Die perfekt synchron fließenden Bewegungen der Stare sind Ausgangspunkt für die Performance, die 19 Akteure „beflügelt". Das macht neugierig. Nicht minder, der Stücktitel „FIQ !". „Fiq" ist arabisch und bedeutet „Wach auf!". Die „Groupe Acrobatique de Tanger" und deren Regisseurin Maroussia Diaz Verbèke bringen in ihrer Show 15 Akrobaten auf die Bühne, an ungewöhnlichem Ort. Im Großen Haus des Saarländischen Staatstheaters findet diese Deutschlandpremiere statt. Der Aufwach-Apell entfacht auf der Bühne mutmaßlich ein atemberaubend buntes Feuerwerk – Lebensfreude pur! Die Show begleitet der algerische DJ Dino. Durchgestrichene Sprechblase im Programmheft? Keine Sprachkenntnisse erforderlich! „Möbius" ist für Menschen ab acht Jahren, „FIQ !" ab sieben Jahren empfohlen.
Mit 101 Rückwärtssalti gelangten sie bereits ins Guinnessbuch der Rekorde. Das Duo Ugo Dario und Maxim Laurin katapultiert sich mit dem koreanischen Schleuderbrett in luftige Höhen. Ihr Zirkusstück heißt „Ghost Light". Dieser Höhenflug ist für ein Publikum ab sieben Jahren geeignet.
Es ist eine schöne Tradition, dass eine Vorstellung ganz ohne Eintritt zu besuchen ist. Sanja Kosonen zeigt am Freitag, 10., und Samstag, 11. Juni, jeweils ab 21.30 Uhr das atemberaubende Hochseilstück „Résiste" auf dem Tbilisser Platz.
Eben dort wird in Saarbrücken zudem ein Zirkuszelt aufgeschlagen, „Rendezvous im Zirkuszelt", heißt die Reihe. An sechs Tagen sind Zirkus, Tanz und ein Grusel-Objekttheater zu erleben. Wie Letztgenanntes ins Programm finden konnte, bleibt allerdings ein Rätsel. 17 Zuschauer werden 17 Minuten in einem dunklen, schäbigen Wohnwagen eingeschlossen. Martha Kaiser, die stellvertretende Festivalleiterin, verspricht: „Es wird sehr eng." Und im Programm zu „La Caravane de l’horreur" heißt es: „Lassen Sie sich diesen Horrortrip nicht entgehen." Ohne Worte. Für Menschen ab zehn Jahren empfohlen. Zehn Vorstellungen. Für Menschen, die glauben vor dem Coronavirus gefeit zu sein oder an dessen Existenz nicht glauben.
Von den 16 Produktionen der diesjährigen Ausgabe des deutsch-französischen Festivals der Bühnenkunst kommen zwei aus Deutschland, eine aus Österreich und weitere aus Belgien, Frankreich und Kanada/Quebec. Der Schwerpunkt liegt auf der Zirkuskunst. Die Akrobaten sind es, die die Schwere des Körpers überwinden, und fliegen können. Zuschauend fliegen wir mit. Wir lassen unsere Beschwernis für Augenblicke zurück. Die Bühnenkunst erschafft Wunder.
Exkurs Sprechtheater. Geert Jan Jansen vom Kollektiv Berlin aus Belgien wird das Wunder vollbringen, uns in der multimedialen Inszenierung „True Copy" so zu verwirren, dass wir zwischen wahr und unwahr nicht mehr unterscheiden können. In einem weiteren Solo-Stück in „De la sexualité des orchidées" wird die „Orchideen-Expertin" Sofia Teillet eine Vorlesung der besonderen Art halten und uns mit dem Wunder der Reproduktionstechniken der Pflanzenwelt vertraut machen.
„Momente, um solidarisch zu sein"
Welches Stück lässt sich nicht beschreiben? Der künstlerischen Leiterin Sylvie Hamard fehlten zu „Work" die Worte. Ich schreibe vom Programmheft ab: „Herrlich absurdes Ballett", das Stück zeigt „wozu Fantasie und Kreativität in der Lage sind". Sylvie Hamard, seit 2008 künstlerische Leiterin, staunt über die Vielfalt der Ideen, die sie im Neuen Zirkus ausmacht, und dass die Fantasie künstlerisch Begabter grenzenlos scheint. Sie kommentiert: „Deshalb bin ich in der Organisation, nicht in der Kreation." Bei der Organisation der 44. Ausgabe stellte Sylvie Hamard fest, dass der Etat nicht ausreicht. Man könne sich nicht vorstellen, was sich alles geändert habe, meinte sie mit Blick auf die Kosten. Nachgefragt weist sie auf das gestiegene Salär des technischen Personals hin und auf die Gagenerhöhungen der Künstler, die sie ohne Nachverhandlung akzeptierte: „Es gibt einfach Momente, wo man solidarisch sein muss." Die Überlegung, die Kartenpreise zu erhöhen tauchte auf, wurde aber verworfen. Dass Sylvie Hamard erstmals und gerade jetzt eine französische Mäzenin für das Festival Perspectives gewinnen konnte, ist als Glücksfall zu betrachten. Madame Aline Foriel-Destezet möchte den Gedanken der kulturellen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa mit ihrem Engagement unterstützen.
Die Summe von 250.000 Euro, die die Sponsoren und Spender zusammentragen ist nicht gering. Doris Pack, Vorstand der Stiftung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit, nennt weitere Zahlen: 205.000 Euro kommen jeweils vom Saarland und von Saarbrücken, 131.000 Euro vom Departement Moselle mit institutionellen Partnern. 200.000 Euro Einnahmen erhofft sich die Deutsche Generalsekretärin des Deutsch-Französischen Kulturrats durch den Kartenverkauf. Also: Auf in den Zirkus! Auf ins Theater!