Nach der dramatischen Wahlniederlage steht die Saar-CDU vor einem kompletten Neuanfang. Die Liste der Aufgaben ist lang. Erste Pflöcke werden mit der Wahl einer neuen Führung auf einem Parteitag am 28. Mai eingeschlagen.
Heute kein Training, kündet ein Schild an der „Wiesbachhalle". Statt Sportgeräten sind große Tische in einem Halbrund in der Turnhalle im Eppelborner Ortsteil Wiesbach aufgebaut. Hinter jedem Tisch eine Stellwand, auf der sich im Laufe des Abends Kärtchen mit Zustandsbeschreibungen versammeln sollen. Puzzleteile einer Partei auf der Suche nach einem Bild, das sie zukünftig abgeben will.
Die CDU an der Saar experimentiert nach ihrem Absturz bei der Landtagswahl mit Formaten, bei denen die Parteibasis in den Prozess der Aufarbeitung ihrer Niederlage einbezogen werden soll. Endlich – könnte man eine der ziemlich einhellig geäußerten Rückmeldungen zusammenfassen, die sich nach knapp zwei Stunden Tischdiskussionen in den Präsentationen widerspiegelten. Von einer „Mitmach-Union" war in der jüngsten Vergangenheit nämlich nichts zu sehen.
Diese Kritik wird sich Tobias Hans an diesem Abend nicht zum ersten Mal angehört haben. Der gescheiterte Spitzenkandidat und nun Ministerpräsident a.D. ist bei den Basiskonferenzen der Kreisverbände dabei und fordert selbst: „Wir brauchen als Partei einen Wandel", und in Sachen Aufarbeitung: „Macht bitte nicht vor meiner Person halt." Als Konsequenz aus dem Wahlergebnis hatte der ehemalige Ministerpräsident seinen Rückzug von der Parteispitze angekündigt. Dass er jetzt bei den Aussprachen mit der Basis dabei ist, wird von vielen kritisch gesehen. Eine „schonungslose" Aufarbeitung, während der, der für viele der Hauptverantwortliche für das Wahldesaster ist, an einem Nebentisch etwas abseits zuhört und sich Notizen macht? Mag sein, dass er selbst damit das Signal setzen wollte, vor offener Kritik nicht davonzulaufen. Aber dafür scheint die Entfremdung zwischen dem ehemaligen Regierungschef und der Basis inzwischen zu groß.
Und gerade an dieser Basis drängt sich längst die Frage in den Mittelpunkt, wie man nach zwei verlorenen Wahlen in die Kommunalwahlen in zwei Jahren ziehen will. Schon bei der Bundestagswahl hatte sich das Saarland flächendeckend politisch rot gefärbt, die Landtagswahl hat das – aus Sicht der SPD –eindrucksvoll bestätigt.
Erneuerungsprozess mit CDU-Basis
Was die Parteibasis in diesem Fall aus dem Kreisverband Neunkirchen an Kritik und daraus abgeleiteten Forderungen zusammengetragen hat, bestätigte im Wesentlichen aus der Innensicht der Partei, was Analysen zuvor schon ausgemacht hatten, ergänzt um einige Aspekte aus dem Innenleben der Partei, die zeigen, dass die Ursachen für den Niedergang eine längere Vorlaufgeschichte haben.
Programmatische Defizite und ein gleichzeitiger „Schlingerkurs" mit Übernahme von Positionen kurz vor der Wahl, wie zum Beispiel G9, die zuvor lange abgelehnt wurden, hätten am Ende dazu geführt, dass die einzige klare Botschaft gewesen sei, dass die CDU weiterregieren will. An strategischen Fehlern listete die versammelte Parteibasis gleich eine Vielzahl auf. Der Verzicht auf eine rechtzeitige Regierungsumbildung mit neuen Gesichtern, ein Kompetenzteam, das mehr Fragen als Antworten brachte, Listenaufstellung nach Kriterien, für die die Partei wenig Verständnis aufbrachte, und überhaupt ein Wahlkampf, bei dem alles viel zu spät in die Gänge gekommen sei, während die SPD bereits mit klaren Botschaften unterwegs war.
Glaubwürdigkeit und Vertrauen kann sich so nicht entwickeln. Erst recht nicht, wenn Spitzenkandidat und ein enges Team ziemlich abgekoppelt und, wie es heißt, „beratungsresistent" eine Wahlkampagne offensichtlich unbeirrt durchziehen, obwohl schon Umfragen vier Monate vor der Wahl deutliche Hinweise gegeben haben, dass die alleinige Konzentration auf den Spitzenkandidaten risikoreich ist.
Eine der zentralen Forderungen aus dieser Basiskonferenz war, wenig überraschend, eine künftig starke Beteiligung der Basis. Ansonsten liest sich die Liste der Vorschläge beziehungsweise Forderungen wie eine Agenda zur Neuerfindung der Partei, die sich nach über zwei Jahrzehnten in führender Regierungsverantwortung aufgebraucht hat: Ein neues „Grundsatzprogramm" müsse her, mit eigenen Themen, und zu den eigenen Themen auch Gesichter. Mut auch „zu Themen gegen den Mainstream". Und ebenso wichtig: Die Partei müsse „wieder Alltagsprobleme wahrnehmen" und im „vor-politischen Raum" präsent sein. Eine Forderung die aus der Selbsterkenntnis resultiert, dass man offenbar ein Stück weit den Anschluss wieder gewinnen muss, will man dem eigenen Anspruch als Volkspartei gerecht werden.
Die Basiskonferenzen sollen dazu ein erster Aufschlag sein, der seinen Ausdruck in einem Leitantrag auf dem Parteitag Ende Mai finden soll. Und dass zumindest zu einigen dieser Konferenzen Medienbeobachter zugelassen waren, will die Partei auch als Signal verstanden wissen, dass sie diesen Erneuerungsprozess mit neuer Offenheit und Transparenz verbindet, also sozusagen eine Art vertrauensbildende Maßnahme.
CDU-Saar muss neue Themen setzen
Weil Neuaufstellungen immer auch mit handelnden Personen untrennbar verbunden sind, wird die Neuwahl des Landesvorstandes eine richtungsweisende Weichenstellung. Stephan Toscani, früherer Landtagspräsident und Minister in verschiedenen Verantwortungsbereichen, hatte als erster Kandidat seine Bereitschaft erklärt, sich in diesem Prozess an die Spitze zu stellen. Dass sich andere ebenfalls dazu berufen gefühlt haben sollten, mag sicher so sein. Bis Redaktionsschluss hat sich allerdings niemand sonst offiziell gemeldet. Für Markus Uhl, der ebenfalls seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur im Rahmen der Regionalkonferenz angekündigt hat, als möglicher neuer Generalsekretär wird der bildungspolitische Sprecher Frank Wagner genannt. Für mögliche stellvertretende Vorsitzende sind bekannte Namen im Gespräch: Peter Strobel (Ex-Finanzminister), Roland Theis (Ex-Staatssekretär), Anja Wagner-Scheid (Vorsitzende Frauen-Union und Ex-Staatssekretärin), sowie die Bundestagsabgeordnete Nadine Schön und Landrätin Daniela Schlegel-Friedrich. Bliebe es bei diesem Personaltableau, wäre es eher ein Signal dafür, dass die Partei zunächst auf eine ruhige, seriöse Aufarbeitung und Neuorientierungsphase mit erfahrenen Leuten an der Spitze setzt. Es wäre eine Führung, die die Basis für inhaltliche und personelle Neuaufstellung schaffen müsste.