Wer mal eine ganz andere und sehr lustige Form des Spaziergangs kennenlernen möchte, kann in St. Ingbert mit Anna Schmidt und ihren Ziegen durch den Wald streifen. Vor allem für Kinder ist diese tierische Begegnung ein großer Spaß.
vicky ist ganz klar die Chefin. Mit stolz erhobenem Kopf marschiert sie voran, Angela und hinterher und ganz am Schluss, wie es sich gehört, Baby Hildegard. Was für ein lustiger Anblick, diese hübsche Ziegen-Bande. Spaziergänger, die uns entgegenkommen, bleiben stehen, fangen ein Gespräch an, wollen wissen, was es mit dieser besonderen Truppe auf sich hat. Manche zücken ihr Handy, um ein Foto zu schießen.
Keine Frage, es ist etwas Besonderes, mit Ziegen spazieren zu gehen. Das finden natürlich vor allem die Kinder in unserer Wandergruppe. Als wir uns am Startpunkt einfinden, schauen die Kleinen noch etwas schüchtern Richtung Ziegenherde. Die siebenjährige Jonna überwindet ihre Scheu aber sehr schnell und greift sich dann beherzt die Leine der schönen braun-weiß gescheckten Ziege Angela. Es dauert nicht lange und Jonna führt Angela selbstbewusst über den Waldweg, als unsere Gruppe sich in Bewegung setzt.
„Ziegen führen vermittelt Selbstsicherheit", sagt Anna Schmidt, die stolze Besitzerin der Ziegengruppe. Unter dem Namen „Frau Limonadenbaum" veranstaltet sie seit Kurzem regelmäßig in St. Ingbert die Ziegenspaziergänge für Groß und Klein. „Das ist durch Zufall entstanden", erzählt die gelernte Krankenschwester, die auch noch andere Kinderprojekte anbietet. „In der Corona-Zeit kamen immer wieder Kinder am Ziegenstall vorbei und bestaunten neugierig die Tiere. Viele Eltern meinten dann auch, sie würden sich freuen, wenn ihre Kinder mehr an die frische Luft gehen." Und in Begleitung der neugierigen und süßen Tiere fällt es den Kindern gar nicht schwer, auf einer kleinen Wanderung Spaß zu haben. So geht es auch Hannes und Leo. Die dreieinhalbjährigen Jungs führen abwechselnd und Vicky, die sich das von den Kindern brav gefallen lassen. Einen gewissen Stolz kann man bei den kleinen Ziegenfreunden deutlich erkennen. Und erstaunlich, dass keines der Kinder über Langeweile oder Müdigkeit klagt, so wie es wohl die meisten Eltern erleben, wenn sie sich mit ihren Kleinen zu einem Sonntagsspaziergang aufmachen.
Eine Ziege kann 20 Jahre alt werden
Anna Schmidt ist es aber auch wichtig, dass sowohl die Kinder als auch wir Erwachsene einiges über Ziegen erfahren. Zum Beispiel, dass Ziegen Wiederkäuer sind und das was sie fressen, erst im Pansen sammeln. Da passen bis zu zehn Liter rein! Dann wird alles noch mal hochgewürgt und noch mal zerkleinert, um dann in den sogenannten Blättermagen zu wandern. Dort wird der Nahrung Flüssigkeit entzogen und alles wandert in den Labmagen, wo Verdauungssäfte ins Spiel kommen. Schließlich landet alles im Darm.
Dass Ziegen so ziemlich alles fressen, sogar Pflanzen mit Dornen, demonstrieren Angela, Vicky, und sogar Baby Hildegard dann an einer Stelle mit dichtem Gestrüpp, wo die Ziegendamen eigenständig eine Pause einlegen und ordentlich zuschlagen. Und uns macht es einfach gute Laune, den Tieren zuzuschauen.
Bis zu 20 Jahre alt kann eine Ziege werden, erklärt Anna Schmidt, während ihre Tiere genüsslich wiederkäuen. „Und Milchziegen können bis zu 700 Liter Milch im Jahr produzieren. Deshalb wurde sie früher im Saarland ‚Bergmannskuh‘ genannt". Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sorgte die Ziegenhaltung bei den einfachen Arbeitern dafür, die Familien mit Milch zu versorgen.
Während wir die Ziegen beobachten, kommt Ziegenbaby Hildegard Chefziege Vicky etwas zu nah und erhält einen sanften Stoß. Anna Schmidt nutzt das für eine weitere Information: „Hildegard kam von einem anderen Stall dazu und die älteren Ziegen sind noch etwas misstrauisch und geben dem Baby manchmal einen kleinen Stoß, damit es die Rangordnung lernt." Denn als jüngste Ziege steht Hildegard natürlich ganz am Schluss. Auf die Hierarchie legen Ziegen auch beim Schlafen großen Wert. „Die liegen nicht wie Schafe einfach zusammen", erklärt Anna Schmidt. „Sie brauchen erhöhte Liegeplätze, damit sie der Rangordnung entsprechend schlafen können. Die Kleine schläft natürlich ganz unten." Und es sei auch ganz wichtig, immer zuerst die großen Ziegen zu begrüßen, damit die nicht eifersüchtig werden.
Am Ende winkt ein Ziegenorden
Schließlich wird es Zeit, weiterzugehen. Wir laufen gemütlich den Waldweg weiter entlang, es ist ein schöner Tag, das Wetter ist uns freundlich gesinnt. Zum Glück für die Ziegen, wie wir dann erfahren. „Ziegen mögen keinen Regen. Wenn es regnen würde, würden sie stehen bleiben und wären beleidigt." Was die Horntiere aber lieben, ist klettern. Dabei ist fast nichts vor ihnen sicher. Anna Schmidt demonstriert das ganz spontan, indem sie mit den Kindern und Ziegen auf einen Haufen gefällter Bäume klettert. Für die Ziegen ein Leichtes, für die Kinder ein großer Spaß.
Dass Ziegen eine positive Wirkung auf Kinder haben, erfährt Anna Schmidt auch zu anderen Gelegenheiten, wie zum Beispiel im „Haus Elstersteinpark", einer Rehaklinik in St. Ingbert für Kinder mit Behinderungen und ihre Eltern. Einmal im Monat ist die Ziegenfrau mit ihren Mädels dort zu Gast. „Das ist eine wahre Freude. Die Kinder sind so glücklich und entspannt danach."
Glücklich ist auch die kleine Pauline. Das einjährige Mädchen bestaunt die Ziegen die meiste Zeit aus seinem Kinderwagen heraus, bis Anna Schmidt Ziegenbaby Hildegard ganz nah an Pauline heranträgt. Das kleine Mädchen gräbt seine Händchen tief in das flauschige Ziegenfell und lächelt. Auch der fünf Monate alte Kilian bekommt große Augen, als seine Eltern ihn ganz nah an das Ziegenbaby halten.
Doch nicht nur die Kinder freuen sich an diesem Nachmittag an den Tieren. Nach und nach greift auch mal ein Erwachsener nach der Ziegenleine, wenn eines der Kinder sich großzügig bereit erklärt, die Leine mal kurz herzugeben. Und es ist wirklich was anderes als mit einem Hund. Man braucht irgendwie ein besonderes Feingefühl. „Ziegenführen ist eine Art Achtsamkeitsübung", sagt Anna Schmidt.
Dass die Ziegen auch die Erwachsenen schnell um ihre Hufe gewickelt haben, ist schon bald kein Geheimnis mehr. Und am Ende unserer Ziegenwanderung gibt es für jeden ein kleines persönliches Andenken in Form eines Ziegenordens. Und viele glückliche Gesichter.