Himmel, Erde und Mensch würden eine Einheit bilden, glaubten die Gelehrten. Sie beobachteten, wie sich in der Natur alles in zyklischen Abläufen wiederholt und schlussfolgerten, dass der Makrokosmos, das Universum, sich im Mikrokosmos, dem Menschen, widerspiegelt.
Vor Tausenden von Jahren soll in China ein Mönch auf dem Gipfel eines Berges alles nachgeahmt haben, was sich um ihn bewegte. Es heißt, dass er eins wurde mit Himmel und Erde, mit Wind und Wasser, den Bäumen und Blumen, den Vögeln und Fischen. Sein Tanz soll ihn so beglückt haben, dass sich sein ganzes Wesen verwandelte.
Yin und Yang
Ursprung der daoistischen Philosophie ist das Konzept von Yin und Yang. Beide sind gegensätzliche Hälften eines Ganzen. Zu unterschiedlichen Zeiten dominiert entweder Yin oder Yang. Yin symbolisiert das Weibliche. Es ist kühl, ruhig und weich. Yang steht für das Männliche, dynamisch, aggressiv und strahlend. Aus der Polarität entsteht eine Bewegung, welche durch fünf Phasen verläuft. Gemeint sind die fünf Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall. Die Elemente sind verschiedene Erscheinungsformen der Lebensenergie Qi und werden auch als Wandlungsphasen bezeichnet. Nach östlicher Anschauung finden sich die fünf Elemente in den Himmelsrichtungen, in den Jahreszeiten, im Klima, in den Farben, in den Pflanzen und Tieren und im Menschen. Yin und Yang und die fünf Elemente stehen in einer immer neuen Wechselbeziehung. Sie erzeugen und beeinflussen sich gegenseitig, folgen aufeinander und bedingen sich in einem fortwährenden Wandlungsprozess.
Leben nach den Jahreszeiten
Der Frühling mit dem Element Holz ist die Zeit des Aufbruchs, des Wachstums. Der Höhepunkt der Reife ist der Sommer mit seiner Hitze im Feuerelement. Hier herrscht Lebensfreude, Entfaltung und Ausdehnung in alle Richtungen. Der Spätsommer im Element Erde ist die ausgeglichenste aller Jahreszeiten. Die Natur zeigt sich zur Erntezeit in all ihrer Fülle, erdig-goldene Farbtöne prägen die Landschaft. Der Herbst steht für das Metall Element. Es ist die Zeit des Loslassens und Abschiednehmens. Die Bäume lassen ihre Blätter fallen, unsere Körpersäfte ziehen sich ins Körperinnere zurück. Danach kommt der Winter, das Wasserelement. In dieser Jahreszeit halten wir inne, ruhen aus und sammeln unsere Kräfte für den neuen Zyklus. In allen Erscheinungen der Welt, in unseren Lebensphasen, den Kreislauf von Entstehen, Aktivität, Rückzug und Loslassen finden sich die fünf Elemente wieder. So beginnt der Mensch sein Leben noch als Embryo in der Wandlungsphase Wasser, in tiefe bewegungslose Ruhe. Dorthin geht er auch zurück, sodass Neues entstehen kann. Mit der Holzphase, dem Beginn der Geburt, entfaltet sich das Kind, wächst heran, ist aktiv und dynamisch. Im Feuer Element wird die Zeit des Sturm und Drangs ausgelebt. Es ist die Jugend- und Reifephase eines Menschen. Das Element Erde steht für das Zentrum unseres Lebens. Die Lebensmitte, die Zeit der Familiengründung. Menschen werden sesshaft und bodenständig. Das Element Metall, das die Lunge repräsentiert, spiegelt die Erntezeit, die Zeit des Ruhestands wider. Das Tempo wird langsamer, die Lebenszeit bewusster wahrgenommen. Jetzt gilt es, mit den Kräften zu haushalten. Und im Element Wasser, der letzten Lebensphase, geht es um das Innehalten und schließlich um das Loslassen und den Tod. „Erkennst du klar, dass sich alle Dinge verändern, dann wirst du an nichts festhalten wollen", sprach Laotse, der legendäre chinesische Weise.
Ein Element nährt das andere
Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall folgen einander im „ernährenden Zyklus". Das heißt, ein Element nährt das andere. Man sagt Wasser ernährt Holz, damit Bäume und Pflanzen wachsen können. Holz nährt Feuer, damit es brennen kann. Die Asche des Feuers ernährt die Erde. Die Erde bringt Metall hervor, Metall nährt Wasser, reichert es mit Spurenelementen und Mineralstoffen an. Und Wasser nährt wieder das Holz. Damit schließt sich der Nährzyklus der fünf Elemente. „Schwächelt" ein Element, kann es das andere nicht nähren und es kommt zu einem Ungleichgewicht, der Energiefluss des ganzen Systems ist blockiert. Dies kann sich in Unbehagen äußern und zu Krankheit führen. Denn die Lehre von den fünf Elementen hat auch einen Bezug zu unserem körperlichen und seelischen Befinden. So entspricht jedes Element der fünf Wandlungsphasen einem Organpaar und steht mit bestimmten Empfindungen und Emotionen in Verbindung. Holz entspricht der Leber und Gallenblase. Feuer dem Herzen und Dünndarm. Erde der Milz und dem Magen. Metall – der Lunge und Dickdarm. Wasser – der Niere und Blase.
Volkes Mund
Gesund sei ein Mensch dann, wenn sich alle seine Energien in Harmonie und im Gleichgewicht befinden, heißt es in der chinesischen Gesundheitslehre. Doch manchmal kann einem „eine Laus über die Leber laufen". Wer sich sehr über etwas ärgert, dem kommt sprichwörtlich die Galle hoch oder er spuckt im schlimmsten Fall Gift und Galle. Galle und Leber stehen für Ärger und Aggression. Die Leber, die dem Element Holz zugeordnet ist, steht für Bewegung und Ausdehnung. Die Leberenergie will sich nicht einengen lassen. Holz ist im chinesischen Verständnis der General, der Überlegungen trifft und Pläne macht. Leberstau führt zu Wut. Zorn wiederum schädigt die Leber.
„Für etwas brennen" oder jemandem „brennt etwas auf der Seele" beziehen sich auf das Feuerelement. Feuer ist der Herz Kaiser. Von ihm stammt klare Einsicht und die Kommunikation mit dem Himmel, den geistigen Aspekten. Wer das Herz verriegelt, verhungert, sagen die Chinesen. Menschen in unsere Nähe zu lassen, sich ihnen öffnen in Achtsamkeit und Liebe, ist die Strahlkraft des Herzens.
„Es stockt einem der Atem", heißt es, wenn jemand vor Aufregung oder Anspannung kaum atmen kann. Ein Ungleichgewicht in der Lunge, anhaltendes Seufzen und Weinen zeigt sich durch anhaltende Trauer. „Der Atem ist der lebendige Hauch der Seele", behauptete schon Hildegard von Bingen. Das Stöhnen und Seufzen zeigt die leidvolle Erfahrung des Anhaftens und Begehrens. Doch die Lunge kann nur mit neuer, klarer Luft gefüllt werden, wenn sie zuvor das, was sie nicht mehr braucht, losgelassen hat.
„Den Boden unter den Füßen verlieren". Der Boden, die Erde, hat den Platz in der Mitte. Die Mitte, die der Erde zugeordnete Richtung, garantiert Balance, Stabilität, Halt und Aufrichtung. Ein weiteres Zeichen der Erde ist ihre nährende Kraft. Unausgewogenheit im Element Erde äußert sich in Bindungsstörungen, in Unsicherheit und Ängsten. Zeigt sich die Erde Natur ausgeglichen und harmonisch, ist sie fähig, sich nach Erschütterungen rasch zu konzentrieren. Zentrierung kann erreicht werden durch Stille und Meditation.
„Alles fließt" oder „Stille Wasser sind tief". Wasser ist unsere tiefste Vergangenheit, die Ahnenreihe und zugleich Quelle neuer Generationen. „Es geht mir an die Nieren". Angst drückt sich aus. Im Element Wasser, in den Nieren, sammeln wir unsere Kräfte. Der Körper sollte in die Ruhe eintreten, so wie Seen und Flüsse im Winter zufrieren und Schnee fällt. Einkehr halten, rasten zur angemessenen Zeit sind die Tugenden, die die Nieren schützen. Kennzeichen des Elementes Wasser ist das Speichern und Bewahren. Im Winter sollten wir früh zu Bett gehen und die Nieren warmhalten. Schon in einer der ältesten schriftlichen Quelle der TCM, dem Grundlagenwerk „Der Gelbe Kaiser" heißt es: „Haltet euch warm, meidet Kälte, und lasst die Poren geschlossen.
Krankheiten erkennen und behandeln
Nicht nur Emotionen, auch äußere Einwirkungen wie Wind, Kälte, Hitze und Feuchtigkeit haben Einfluss auf die fünf Elemente und deren Organe. Daraus lassen sich Ursachen vieler Erkrankungen ableiten.
Kälte kriecht in die Nieren. Fröstelnde Menschen erkälten sich eher. Heuschnupfen im Frühling lässt auf einen Stau im Holzelement schließen. Wassereinlagerungen sind Zeichen für einen gestauten Energiefluss. Müde und erschöpft fühlt sich, wer allgemein zu wenig Energie hat.
In „Der Gelbe Kaiser" heißt es: „Dringt im Winter Kälte ein, werden im Frühling fiebrige Krankheiten auftreten. Dringt im Frühling Wind ein, kann es im Sommer zu Verdauungsstörungen führen. Dringt im Sommer extreme Sommerhitze ein, besteht die Gefahr, dass sich im Herbst Kopf- und Gliederschmerzen entwickeln. Dringt im Herbst Feuchtigkeit ein, führt dies im Winter zu Hustenanfällen.
Während die westliche Medizin erst eingreift, wenn jemand erkrankt ist, wird in der chinesischen Medizin auf Prävention und Gesundheitsförderung großen Wert gelegt. So kann durch ein regelmäßiges Bewegungstraining, ob Yoga, Pilates, Tai Chi oder Qigong der Körper geschmeidig und beweglich werden, auch im Geist. Die Fähigkeit, nachzugeben, die Dinge sich verändern lassen. Das Bewahren ursprünglicher, natürlicher Anmut, ein aufrechter Gang, ein wacher, offener Blick ins Leben gehört mit zu einer gesunden Lebenshaltung. So steht in „Der Gelbe Kaiser" geschrieben: „Wer sich auf die Polaritäten im Wandel des Universums einzustellen vermag und dem Rhythmus der Jahreszeiten folgt, der besitzt innere Klarheit und bleibt frei von jeder Unordnung."