Mit einem Volumen von knapp 500 Milliarden Euro wird der Bundestag vor Pfingsten erneut einen Rekordhaushalt und damit Rekordverschuldung verabschieden. Steilvorlage vor allem für die Oppositionsführer der Union. Doch die müssen mit ihrer Kritik vorsichtig sein.
Nach der Haushalts-Bereinigungsrunde bis morgens um drei Uhr kommt der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Christian Haase, etwas geschafft in die Presserunde. Es ging immerhin um beinahe eine halbe Billion, genau 498.000.000.000 Euro, die da hin und her geschoben wurden. Dabei war die sogenannte „Teppichhändlerrunde", das oberste Entscheidungsgremium über die Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland, in diesem Jahr mit nur 15 Stunden Dauer angesichts der Dimensionen von Ausgaben und vor allem neuen Schulden vergleichsweise kurz geraten. Es gab bei weit geringeren Bundeshaushalten Sitzungen, die bis zu 22 Stunden brauchten.
CDU-Oberhaushälter Haase gibt sich zwar kämpferisch, wirkt aber trotzdem mit seiner Kritik eher gedämpft. Kein Wunder. Es waren nicht nur die 15 Stunden Debatte über die diesjährigen Ausgaben des Bundes, sondern die Haushaltsbereinigung geriet auch zu einem Scherbengericht über 16 Jahre Unions-Regierungsführung. 16-mal saßen -die Vertreter der Unionsfraktion in der formidablen Situation, ihren Haushalt zu präsentieren und die Kritik daran dann an sich abperlen zu lassen. Die Zeiten sind nun endgültig vorbei. Jetzt wird, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht nur finanziell, sondern auch politisch abgerechnet. Allein schon die Debatte über die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, was nichts anders heißt als noch mehr Schulden für die Zukunft, treibt dem 56-jährigen CDU-Mann Haase aus dem Lippe-Kreis in NRW die Schweißperlen auf die Stirn. Das Sondervermögen Bundeswehr sollte gerade bei der Haushaltsdebatte die Speerspitze der Oppositionsargumentation darstellen. Doch auch das zieht nur bedingt. Immerhin waren es in den letzten zwölf Jahren Unions-Verteidigungsminister, die den materiellen und personellen Niedergang der Bundeswehr führend begleitet haben. Es war eine Gemengelage verschiedener Motive, letztlich aber auch die so vehement verteidigte Schuldenbremse, unter der auch der Wehretat litt. Als Letzte in der CDU-CSU-Ministertruppe musste dann Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, im schlimmsten Sinne des Wortes, als Konkursverwalterin den desaströsen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan abwickeln.
Einige Probleme selbstverursacht
Nun sollen CDU/CSU ihr diesbezügliches jahrelanges Regierungsversagen allein bei der Bundeswehr obendrein noch mit einem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Landesverteidigung bestätigen. Damit tut man sich in der Unions-Fraktion ganz automatisch schwer. Doch das ist nur ein, wenn auch vielleicht der größte wunde Punkt für die Union im zu verabschiedenden Bundeshaushalt.
Der gesamte Schuldenhaushalt wird knapp 140 Milliarden Euro betragen, abgesehen von den zwei Corona-Jahren ein absoluter Rekord. Zusammengerechnet mit dem Sondervermögen sind das insgesamt 240 Milliarden Euro neue Schulden. Und die sollen nun ausgerechnet die beiden ehemaligen Regierungs-Parteien CDU/CSU mittragen, die für sich reklamieren, sie hätten die schwarze Null im Bundeshaushalt erfunden. Da stellen sich nicht nur Finanzwissenschaftler die Frage, ob die heilige schwarze Null im Bundeshaushalt, also keine neuen Schulden, in den Jahren der Nullzinsphase so sinnvoll war. Selbst Unions-Haushaltsprecher Christian Haase gesteht gegenüber FORUM ein, dass es vielleicht doch nicht so schlau war, bei Minus-Zinsen auf den Kapitalmärkten keine neuen Schulden zu machen, sondern zu sparen. Investitionen in die Zukunft wären wohl sinnvoller gewesen. Die Summe des Schuldenberges, die da zwischen 2014 und 2019 abgebaut wurde, hat sich laut dem Deutschen Institut für Wirtschaft in den beiden Pandemiejahren vermutlich um das Doppelte bis Dreifache wiederaufgetürmt.
Die schwarze Null war für die Statistiker des Bundesfinanzministeriums alljährlich schön zu präsentieren, doch ist aus heutiger Sicht für das Land in vielen Bereichen kontraproduktiv, so Marcell Fratzscher, Chefökonom des Deutschen Instituts für Wirtschaft. Letztlich hat die Pandemie gezeigt, wie rückständig Deutschland in vielen Bereichen der Infrastruktur unterdessen ist. Stichwort Digitalisierung: Spätestens als Ex-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gestand, „ich nehme keine Telefongespräche auf dem Handy mehr von Ausländischen Amtskollegen an, die ständigen Netzabbrüche sind mir peinlich", hätten alle Alarmglocken läuten müssen. Doch der damalige Bundeswirtschaftsminister hielt sich mit Ideen, wie man das ändern könnte, zurück und verzichtete lieber auf Telefonieren im Auto. Als Schulen oder Unis während der Lockdowns digitalen Fernunterricht machen sollten, wurde das wahre Ausmaß der digitalen Vernachlässigung auch der Allgemeinheit schmerzlich klar. Der angedachte Fernunterricht war meist nicht, oder nur sehr eingeschränkt möglich, da die dafür notwendigen leistungsfähigen Netze fehlten. Ganz abgesehen von den Endgeräten an Schulen und Unis. Jetzt soll das am liebsten sofort und in allen Bereichen nachgeholt werden, was viel Geld kostet.
Mobilitätswende kam nicht richtig voran
Ähnlich sieht es in der Klimapolitik aus. Auch hier wurde 16 Jahre lang unter einer CDU-„Klima-Kanzlerin" viel geredet, es wurden Beschlüsse verabredet, aber bei der Umsetzung passierte dann nur das Notwendigste. Beispiel Offshore Windenergie: In den vier Jahren der im September abgewählten letzten Großen Koalition ist der Ausbau im Offshore-Bereich völlig zum Erliegen gekommen. „Kein Wunder, politisch war es ein längst getrenntes Paar, die Union hatte an Windparks in Nord- und Ostsee kein großes Interesse und die SPD war wenig ambitioniert, irgendetwas auf die Reihe zu kriegen", so der Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie Wolfram Axthelm gegenüber FORUM. Wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und der daraus resultierenden Notwendigkeit, von russischen Öl-, Gas- und Kohlelieferungen loszukommen, soll es nun auch hier ganz schnell gehen. Doch so eine Ad-hoc-Energie- und nun auch noch fossile Lieferantenwende kostet viel Geld. Dabei ist der Schnellbau von LNG-Terminals in den Bundeshaushalt 2022 noch überhaupt nicht eingepreist. Das soll zunächst aus dem umgewidmeten Corona-Fond finanziert werden. Auch beim Bau der Stromautobahnen von Nord nach Süd ist man in den Unions-regierten Jahren nicht wirklich weit gekommen, doch die werden jetzt ebenfalls schnell gebraucht. Weiteres Beispiel, warum sich gerade die CDU/CSU als Opposition bei der Kritik am Bundeshaushalt so schwertut: Elektromobilität. Das Ziel, eine Million E-Autos auf die Straße zu bringen, wurde zwar ausgegeben, aber bis zum heutigen Tag total verfehlt. Für die notwendige Ladeinfrastruktur gab es trotz aller Ankündigungen vom damals CSU-geführten Verkehrs- und CDU-Wirtschaftsministerium lange nicht mal einheitliche Vorgaben.
Allein um in diesen notwendigen Bereich der Mobilitätswende Ordnung reinzukriegen, wird man noch viel Geld in die Hand nehmen müssen. Vom notwendigen zügigen Ausbau des ÖPNV ganz zu schweigen.
Beispiele, die zeigen, dass die führende Oppositionskraft in einem grundsätzlichen Dilemma steckt. Kritisiert die Unionsfraktion den 496-Milliarden-Haushalt 2022, werden ihnen ihre Parlamentskollegen der Regierungskoalition eigene Versäumnisse aus Regierungszeiten vorhalten, die jetzt mit Nachdruck aufgeholt werden müssen. Und das an so gut wie allen Stellen. Mit dem alten Mantra lässt sich da nicht mehr glaubwürdig argumentieren. Und schlüssige neue Argumentationslinien hat die Partei bislang noch nicht gefunden.