Endlich ist es soweit: Vom 2. bis 5. Juni 2022 verwandelt das Bundesfestival junger Film 2022 St. Ingbert zum fünften Mal in eine Filmhochburg. Über 50 Kurzfilme stehen auf dem Programm. Ein Überblick.
Tageslicht gibt es nicht. Die Textilfabrik, in der die beiden jungen Frauen Alba und Samy arbeiten müssen, wurde schlichtweg ohne Fenster errichtet. Nur flackernde Neonröhren bringen dumpfes Licht in unterirdische Gänge, die längst zu ihrer kleinen Welt geworden sind. Dabei fügt sich ihre stupide Tätigkeit perfekt in die dystopische Kulisse ein. Täglich ziehen sie endlose Stoffbahnen durch das tiefe Blau von Färbemittel, dessen Abdruck sich schon dauerhaft auf ihre Haut gelegt hat. Die einzige Fluchtmöglichkeit, die den jungen Frauen bleibt, ist ihre Vorstellungskraft. Und so beginnt Alba ihrer Freundin Samy eine Geschichte vom Mädchen namens Nanami zu erzählen, welches am Meeresgrund lebt und sich aus der Versklavung von den Herrschern des Ozeans befreien möchte. Dabei tauchen die beiden Protagonistinnen immer tiefer in die märchenhafte Meereswelt ein, bis sich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion auflösen.
Anspruchsvoll und tiefgreifend
Der diesjährige Eröffnungsfilm „Stained Skin" von Adam Graf und Mandy Peterat ist keine leichte Kost. Vielmehr geht es den Regisseuren in ihrem neunminütigen Werk darum, sich auf metaphorische Weise dem Thema Fast Fashion und dem Leid hinter solchen menschenunwürdigen Produktionsketten zu nähern. „Ohne Anspruch auf Realismus wollen wir die Grenzen zwischen der Fabrik und der Märchenerzählung verschwimmen lassen. Dabei konzentrieren wir uns auf die symbiotische Beziehung von Alba und Samy, die für uns die Resilienz von Frauen zu ihrer Umgebung und ihre Allianz untereinander verkörpert", heißt es im Regiekommentar.
Ähnlich tiefgehend und anspruchsvoll zeigt sich auch die restliche Filmauswahl des Bundesfestivals junger Film. Über 50 Filme stehen dieses Jahr auf dem Programm, thematisch aufgeteilt in insgesamt zehn Themenblöcke. Den Auftakt übernimmt „Stained Skin" im Themenblock „In Gesellschaft". Darunter fallen solche Filme, „die das Brennglas auf unser Zusammenleben richten und außergewöhnliche Menschen zeigen, die in Gesellschaft ihrer Leidenschaft nachgehen. Menschen, die dafür kämpfen, dazuzugehören. Aber auch Menschen, die von der Gesellschaft unterdrückt werden", sagen die beiden Organisatoren des Festivals Jörn Michaely und Fabian Roschy. Der zweite Filmblock „Arbeits-Titel" widmet sich solchen Themen wie Work-Life-Balance, dem Aufgehen im Job und der daraus resultierenden gefährliche Abhängigkeit, aber auch dem Traum, irgendwann ausgesorgt zu haben. Der dritte Block „Familienbande" behandelt den innigen Wunsch nach einer harmonischen Familie. Block vier „Zuhause ist’s am Schönsten" lässt die Zuschauer das Verständnis von Heimat hinterfragen. „Die Menschen in diesem Block müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, wie und wo sie sich heimisch fühlen. Wir bekommen Einblicke in private Rückzugsräume und beobachten Menschen, wie sie von zuhause ausbrechen oder der Alltag über sie hereinbricht", so Michaely.
Filme für ein junges und älteres Publikum
„Aus der Bahn geworfen", Filmblock fünf, befasst sich mit der Suche nach der Liebe im Hier und Jetzt, beispielsweise „Augustus und die Hasenohren", ein 14-minütiger Kurzfilm über Individualismus, Ausgrenzung, Akzeptanz und Mutterliebe von Alexandra Kurt. Der Film „2083" von Luis Babst führt in eine retrofuturistische Zukunft. Der sechste Filmblock „Vertraue mir!" hinterfragt die Basis zwischenmenschlicher Beziehungen und folgt einer Neuheit des Bundesfestivals junger Film, dem „Familienblock": Filme, die für ein junges Publikum geeignet sind, an denen aber auch Erwachsene Spaß haben werden. „Die Wolfsbande", einer der vier Kurzfilme aus diesem Block, stammt von Lydia RM Bruna, einer saarländischen Regisseurin und Autorin, die mittlerweile in Berlin lebt. „Ich möchte Geschichten erzählen, die gut unterhalten, spannend, lustig und vor allem vielschichtig sind", betont die Filmemacherin. Und so folgen die Zuschauer den vier jungen Protagonisten der „Wolfsbande" in ein weit entferntes Zeltlager, um neue Freunde zu finden. Im Laufe der Geschichte rücken die doch sehr unterschiedlichen Protagonisten zusammen und stellen sich ihren Ängsten. „Mein Ziel ist es, unserem Publikum unterschiedliche Vorbilder und starke Helden und Heldinnen zu geben, in denen sie sich selbst – oder ihr jüngeres Selbst – wiederfinden können", bringt es Bruna auf den Punkt.
Unter dem Titel „In meinem Kopf" lädt Filmblock acht dazu ein, einen Blick in das tiefste Innere zu werfen, auf dem Pfad der verbotenen Gefühle und düsterer Gedanken. Im vorletzten Filmblock „Von damals und heute" reisen die Zuschauer in die Vergangenheit und befassen sich mit ihrem Einfluss auf die Gegenwart. So erzählt der siebenminütige Animationsfilm „Matapacos" von Karla Riebartsch und Lion Durst, der beim Bundesfestival junger Film seine Premiere feiern wird, die Geschichte eines chilenischen Straßenhundes, der sein Zuhause findet und zum Held des Widerstands wird. Der abschließende Block trägt den Titel „Vom Ende". In diesem Filmblock stehen die Protagonisten kurz vor einem großen Umbruch. Und alle gehen unterschiedlich damit um. „Wir zeigen heitere, aber auch nachdenkliche Filme über das Leben und über das Danach", weiß Michaely.
Die Voraussetzungen für die Teilnahme bleiben auch bei der fünften Ausgabe des Festivals dieselben: Die Einreichungen dürfen die Länge von 29 Minuten nicht überschreiten und die Filmemacher und Filmemacherinnen nicht älter als 29 Jahre sein. Dafür gibt es eine Veränderung beim Programm: Neben dem „Newcomer-Filmblock", einem Wettbewerb für Filmemacher unter 21 Jahren, dem „Wettbewerb schräger Filme", dem Musikvideowettbewerb „Junger Clip" und dem „Jungen Pitch", einem Drehbuchwettbewerb für junge Autoren, gibt es erstmals auch den „jungen Piloten" für vielversprechende erste Folgen neuer Fernseh-, Web- und Kinoserien. „Doch viel Zeit haben Serien dafür nicht", weiß Michaely. Schließlich wollen die Zuschauer gleich in der ersten Folge in den Bann gezogen werden.