„Kuchen von Gaia" steht für minimalistisches italienisches Dolci-Glück: Es gibt ausschließlich Bignés, Cannoli und Tiramisu. Zuckerbäcker Giulio Silveri setzt bei seiner Arbeit auf Qualitätsversessenheit, Probier-Häppchen und gute Laune.
Der Cannoli-Himmel befindet sich mitten in der Kreuzberger Markthalle Neun. In einer eher kleinen Vitrine stehen bei „Kuchen von Gaia" die knusprig-cremigen sizilianischen Röllchen bereit. Grazil übereinander gekreuzt präsentieren Pistazien-, Haselnuss- und Ricotta-Dolci ihre innere wie äußere Schönheit und locken zum Kauf und Vernaschen. Die Auswahl ist sehr fokussiert: Tiramisu-Schälchen stapeln sich auf dem oberen Bord; ganz unten finden noch Bignés, italienische Windbeutel, ihren Platz.
So klein der Markthallen-Stand sein mag, so groß ist der Genuss. Giulio Silveri kam im November 2013 aus Rom nach Berlin. Im Januar 2015 startete er schon mit seinem eigenen „Cream Puff"- Verkauf auf dem Markt am Boxhagener Platz. Windbeutel? Aus Italien? Wozu das denn? Das erlebt jeder selbst, der davon kostet. Der italienische hat mit seinem deutschen Kollegen außer dem Brandteig als Basis nicht viel zu tun. Hierzulande dominiert häufig Sahne das Innenleben; die italienische Füllung dagegen besteht aus einer Crema Pasticcera.
Die Kundschaft wird stets angefüttert
„Milch, Mehl, Zucker und pasteurisiertes Eigelb sind die Basis", sagt Giulio Silveri. „Zitrone, Zimt oder Orangenschale werden in Milch aufgekocht. Daher kommt das Aroma."
Wir kosten von einem gerade frisch fertiggestellten Bigné: Die Teighülle ist außen fein knusprig, auf ihrer Innenseite ist die typische, von Hohlräumen durchbrochene, glatte Textur spürbar. Vanille aus Madagaskar und Zitronenschale geben diesem klassisch aromatisierten Test-Beutel seinen feinen Geschmack. „Ich sage immer dazu: Das sind italienische Windbeutel!", stellt Silveri klar. Ehe sich jemand versieht, bekommt er ein Häppchen zum Naschen und Sich-Selbst-Überzeugen über den Tresen gereicht. „‚Kostenlos Probieren‘ waren meine ersten Worte auf Deutsch", sagt Silveri lachend. Er springt zum Glaskasten, um ein Cannolo auf ein Papptellerchen zum Vor-Ort-Verzehr zu legen und zwei Schälchen Tiramisu zum Mitnehmen einzupacken. „Ich habe das schon immer so gemacht: Wenn ich 50 Kilo brauche, mache ich gleich 60 Kilo Creme." Der Rest ist zum Probieren für die Kunden und solche, die es werden wollen.
Kreationen entstehen auf neun Quadratmetern
Giulio Silveri hat in den vergangenen sieben Jahren seine Kundschaft so angefüttert, dass sie treu ergeben gern immer wieder kommt. So lernt jeder italienische Dolci in hausgemachter Bestform kennen. Hand aufs Herz: Wer war schon mit Cannoli vertraut? So wie sie sein sollen? In der klassischen Ausgabe mit leicht gesüßter Schafsricotta-Creme und einem klitzekleinen Schnitz kandierter Orange. Die Basis, die blasig frittierten Gebäck-Röhrchen, die rheinischen Mutzen ähneln, kommen allerdings von spezialisierten Profis aus Sizilien. „Anfangs habe ich selbst gebacken, aber die Nachfrage wurde schnell zu groß", erzählt Silveri. „Ich beziehe die Cannoli von einer Company aus Palermo, die seit 100 Jahren nichts anderes machen. Ich habe viele Unternehmen ausprobiert und ich denke, nun arbeite ich mit den besten."
Die unbedingte Liebe zum besten Produkt ist charakteristisch für Silveris Verständnis vom guten Essen: „Eigentlich ist die italienische Küche wirklich minimalistisch. Nimm gute Tomaten, Basilikum und ein gutes Olivenöl. Mehr brauchst du nicht." Drittes Erfolgsgeheimnis neben seinem Mantra „Kostenlos Probieren!" und der anspruchsvollen Produktverliebtheit ist sicher die Zusammenarbeit mit Freunden. Koch Valerio kam ins Team, weil er einfach mal etwas anderes machen wollte. Freund Silvio und dessen Freundin Giulia arbeiten ebenfalls mit: „Mit Silvio bin ich am Wochenende mit einem Food Trailer im Mauerpark."
Seit November 2018 gibt es den Stand, das „Laboratorio" in der Markthalle Neun. Auf tatsächlich nur neun Quadratmetern entstehen sämtliche Kreationen, die vor Ort, im Mauerpark, nach wie vor samstags auf dem „Boxi"-Markt und auf Food-Festivals wie demnächst beim Italian Street Food Festival verkauft werden. Rührmaschinen, Edelstahlschüsseln und Backöfen zeugen von der Arbeit auf kleinstem Raum. Und nicht zuletzt Kollege Valerio, der vor unseren Augen kunstvoll Ricottacreme in Cannoli-Formen spritzt. Zuckerbäcker Silveri wagt sich auch an sakrosankte neue Geschmacksrichtungen: Er bietet Cannoli ebenfalls mit Pistazien- und mit Haselnuss-Ricotta-Füllung an. Das Pistazienmus kommt aus dem sizilianischen Bronte, die Haselnüsse aus Piemont. Beides ist der heilige Gral für höchste Nuss-Qualität und höchsten Nuss-Geschmack. „Das Haselnuss-Cannolo ist beinah mein Favorit", sagt der aus Sardinien stammende Feinschmecker-Fotograf beim Tasting vorsichtig. Ob er seinen eigenen Geschmacksknospen nicht recht traut? Oder die Ächtung der italienischen Community fürchtet? „Für Sizilianer ist Haselnuss im Cannolo etwa so wie Ananas auf Pizza", erklärt er das ungeheuerliche Ausmaß der Abweichung.
Super, dass ich eine unbefangene, aber genusssüchtige Deutsche bin. Ich kann mich ohne Gewissensbisse an allen Varianten erfreuen. Die drei Dolci-Sorten sind der kleine Luxus für zwischendurch und jede Kalorie und jeden Cent wert. Bis auf das Classic-Cannolo mit Ricottacreme pur für vier Euro kosten sämtliche Sorten fünf Euro. Gestiegene Rohstoff-Preise, Logistik- und Energiekosten machen sich bemerkbar. „Ich kann meine Qualität nicht senken, das ist keine Alternative", sagt Giulio Silveri. Schließlich kam er genau damit so weit, dass auch Unternehmen seine Dolci für ihre Caterings orderten. Corona war ein Rückschlag, doch jetzt kommen wieder die Anfragen herein. Silveri gehen die Ideen nicht aus – noch in diesem Jahr soll ein weiteres Projekt, in dem ein Automat eine Rolle spielen wird, an den Start gehen.
Am dritten Juni-Wochenende steigt das Festival
Das Tiramisu kenne ich aus der Markthalle. Und wie oft gab es beim Kauf am späten Samstagnachmittag noch einen Cannolo als Dreingabe – einfach so. Weil Giulio Silveri ein netter Mensch ist und natürlich mit seinen Süßigkeiten gern verführt. Das hat geklappt; ich bin längst Stammkundin. Ich mag das Tiramisu, weil es üppig ist, aber nicht zu sehr. Es hält genau die mir genehme Balance von süß und unsüß. Jede Komponente ist einzeln präsent, aber auch perfekt auf das Miteinander abgestimmt.
Der in Norditalien produzierte Mascarpone sei einer „der fünf besten unter den artisanalen Produkten im Gambero Rosso", sagt Silveri. Dazu kommen Eigelb, „Savoiardi"-Löffelbiskuits und niederländischer Kakao. Und, ganz wichtig: kein Alkohol, nur entkoffeinierter Kaffee. So ist das Tiramisu seit jeher für die Namensgeberin des Mini-Dolci-Imperiums tauglich – Silveris inzwischen zehnjährige Tochter Gaia. Sie wurde in jungen Jahren mit Manga-artigem Comic-Gesicht im Logo verewigt. Sie begleitet ihren Papa häufig auf die Märkte. Ob Gaia auf dem Italian Street Food Festival sein wird, auf dem „Kuchen von Gaia" wieder Dolci verkauft? Gut möglich. Denn für eine richtige italienische Tochter gehört das Hindurchessen durch herzhafte und süße Aus-der-Hand-Gerichte dazu. In dieser vierten Auflage des Festivals werden sich um die 20 Food-Trucks und Stände am 18. und 19. Juni auf dem Gelände vom Ost-Hafen Berlin in Alt-Stralau versammeln. Kleinigkeiten gefällig? „Paisà" serviert frische Pasta mit diversen Saucen; „Spaccanapoli Nr 12" bringt einen Ofen für Vor-Ort-Pizza mit. „MedEaterranian Trip" packt seine Porchetta in Foccacia-Brot, „Zum Heiligen Teufel" dagegen faltet Klappfladen-Piadine aus der Emilia Romagna zusammen. Bei „Ape Mangia" gibt’s Ravioli mit Ricotta, Spinat oder Butter und Salbei oder Cappelletti mit Ragù. „Tramesin" bringt Tramezzini und Tapas-artige Cicchetti aus Venetien mit. Fischsuppe und schwarzer Venus-Reis mit Gemüse stehen bei „Vino è Basilico" auf der Street-Food-Karte.
Für die Qualiätsdolci sorgen nicht nur „Kuchen von Gaia", sondern auf der kalten Seite ebenfalls „Duo Sicilian Ice Cream" mit Eis, Granità und Eis in der Brioche. Das Italian Street Food Festival wäre nicht es selbst, würde nicht auch Aperol Spritz ausgeschenkt. Den Italo-Klassiker gibt’s für vier Euro ins Glas. Wenn die Stimmung steigt, liegt das gewiss ebenso an den italienischen DJs, die auflegen – darunter das Kollektiv „Borghetta Stile", das eigens aus Rom anreist. Es gibt also vielfältige gute Gründe, sich am dritten Juni-Wochenende der gepflegten italienischen Genusskultur in kleinen Portionen und am besten durchgängig zu widmen.