In den kommenden Jahren steigt die Zahl der Ruheständler an: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen ab 2024 in Rente. Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Bert Rürup ist zwar von der kommenden Aktienrente überzeugt, die Anschubfinanzierung aber sei zu niedrig.
Herr Professor Rürup, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will bis Ende des Jahres die Weichen für die Zukunft der Rente in Deutschland stellen. Anhebung des Renteneintrittsalters und höhere Beiträge sind tabu. Im Gegenteil: Das Rentenniveau soll bei 48 Prozent stabilisiert werden. Wie soll das funktionieren?
In der Politik halte ich es mit einem meiner früheren Lehrmeister, Helmut Schmidt: „In der Politik muss jedem gestaltenden Schritt ein mehrheitsbeschaffender Prozess vorangehen."
Die deutsche Rentenpolitik zu gestalten ist ein komplexer Prozess. Was ist möglich, welche Interessen gilt es zu berücksichtigen? Wie sind die Auswirkungen bei den nächsten Wahlen einzuschätzen?
In dieser Legislaturperiode ist offen gesagt mit keinem großen Wurf in Sachen Nachhaltigkeit der Rentenversicherung mehr zu rechnen. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung kommt nicht einmal der Begriff Alterung vor. Die strukturellen Probleme der Altersversorgung wird wohl die nächste Regierung lösen müssen. Ab 2024 gehen die geburtenstarken Jahrgänge verstärkt in Rente und der damit verbundene sehr deutliche Anstieg des Altenquotienten wird bis in die 2040er-Jahre anhalten.
Trotzdem sollten wir uns davor hüten, die Rentenpolitik pauschal zu verurteilen. Als Politiker gilt es, viele Interessen zu wahren und abzuwägen. Davor habe ich Respekt. Es geht immer etwas voran, drei Schritte vor, einer zurück, wieder zwei vor … Regierungen erkaufen sich durch Einrichtung von Kommissionen vor allem eines: Zeit.
Zeit, die wir eigentlich nicht mehr haben. Was sind die größten Herausforderungen der Altersversorgung in Deutschland, und was müsste dringend geändert werden?
Deutschland hat im Prinzip mit zwei großen Herausforderungen im Zusammenhang der Sicherung der gesetzlichen Altersversorgung zu kämpfen. Zum einen der demografische Wandel, weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Rentenbezieher finanzieren. Zum anderen ist Deutschland als exportorientierte Industrienation, für die ein freier und fairer Welthandel von besonderer Wichtigkeit ist, mit dem Problem konfrontiert, dass sich die Rahmenbedingungen für solch einen freien Welthandel verschlechtern und damit das deutsche „Geschäftsmodell" des exportorientierten Wachstums gefährden. Es wird wohl künftig sicher zwei große Machtblöcke auf der Welt geben: China mit Russland als Juniorpartner und die USA – ob mit oder ohne die EU ist ungewiss. Wie Indien sich verhält, ist zurzeit schwer einzuschätzen. Deutschland verdankt seinen Wohlstand dem freien Welthandel und auch dem Euro, der es mit sich brachte, dass diese Währung – anders als zu Zeiten der D-Mark – nicht in unregelmäßigen Abständen aufgewertet wurde und damit Exporte erschwerte. Es wird Aufgabe der nächsten Regierung sein, diesen beiden Herausforderungen zu begegnen, auch um die Altersversorgung finanziell auf ein stabiles Fundament zu stellen.
Deutschland hat ein umlagefinanziertes Rentensystem. Jetzt soll die Aktienrente als kapitalgedeckte Rente eingeführt werden. Was bewirkt das eigentlich?
Der Idee, zusätzlich eine ergänzende kapitalgedeckte Rente einzuführen, ist zuzustimmen. Doch die bislang angedachte Anschubfinanzierung mit zehn Milliarden Euro als Basis-Kapitalstock aus Steuermitteln innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung ist in Anbetracht des Haushalts der Deutschen Rentenversicherung mit Ausgaben von rund 340 Milliarden Euro wenig überzeugend. Außerdem müsste geklärt werden, wer diesen Fonds verwaltet. Die Deutsche Rentenversicherung verwaltet die Mittel der umlagefinanzierten Rente gut. Aber ob sie die richtige Stelle für Anlagemanagement ist, darf bezweifelt werden.
Rentenexperten sprechen von einer verpassten Chance, im letzten Jahrzehnt die Weichen für die Altersversorgung richtig gestellt zu haben. Was ist schiefgelaufen?
Deutschland hat in der Tat von 2010 bis 2019 wirtschaftlich betrachtet ein goldenes Jahrzehnt erlebt. Sowohl die Strukturreform von Gerhard Schröder aus seiner Zeit als Bundeskanzler als auch die Konjunkturpolitik unter Angela Merkel haben die Wirtschaft in Schwung gebracht und die Einnahmen in den Sozialkassen sprudeln lassen. Hinzu kamen die rund drei Millionen Zuwanderer in dieser Zeit, die ebenfalls in die Sozialsysteme eingezahlt haben. Das Problem der handelnden Politik ist es, dass Gestaltungsaufgaben an Gewicht verlieren, wenn es ökonomisch gut läuft. Wichtige zukunftssichernde Weichenstellungen für die Rente sind in dieser Dekade aus dem Visier geraten. In der Rentenpolitik wurde im vergangenen Jahrzehnt außerdem viel klientelspezifische Politik gemacht, wie die abschlagsfreie Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren oder die Einführung der Mütterrente.
Mit der Riester-Rente sollte alles besser werden. Warum ist sie gefloppt?
Die ursprüngliche Idee der Riester-Rente, nämlich einer verpflichtenden kapitalgedeckten Privatvorsorge, war gut und richtig. Aber nach einem heftigen Sperrfeuer der privaten Versicherungswirtschaft und einer bekannten Boulevardzeitung unter der Headline „Zwangsrente" wurde daraus eine recht generös geförderte freiwillige Zusatzversorgung, die keine flächendeckende Ergänzung der gesetzlichen Rente sein konnte. Eine Garantieverzinsung bei heute nahe null Prozent ist alles andere als attraktiv. Lediglich die alten Riester-Renten-Verträge mit einer Verzinsung von 2,5 bis 3,5 Prozent sind noch lukrativ. Da die Riester-Rente nicht obligatorisch eingeführt werden konnte, sondern nur als freiwilliges Produkt, wurde diese zu einem Push-Produkt, das verkauft werden musste. Damit war dem Wildwuchs immer neuer Varianten und zum Teil völlig intransparenter Produkte Tür und Tor geöffnet.
Dann kam noch die Rente mit Ihrem Namen: die Rürup-Rente. Ist sie auch zu einem Flop geworden?
Die Rürup-Rente hat mit den Rentenreformen zu Beginn der 2000er nichts zu tun. Dieses Produkt war die Antwort des Gesetzgebers auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Besteuerung der gesetzlichen Renten nur nach ihrem Ertragsanteil bei gleichzeitiger Vollversteuerung der Beamtenpensionen verfassungswidrig sei. Die Antwort der Politik war die Basisrente, die man landläufig Rürup-Rente nennt. Besonders interessant ist diese übrigens allen Bürgern offenstehende kapitalgedeckte Rente für Menschen, die stark schwankende Einkommen beziehen. Denn dieses Produkt eröffnet dann Steuergestaltungsmöglichkeiten. Dazu gehören in erster Linie Selbstständige wie Unternehmer oder Freiberufler. Dieses Rentenprodukt ist sehr flexibel und unabhängig von der Erwerbsform des Vorsorgesparers.
Es gibt Stimmen, die fordern die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten in das staatliche Rentensystem. Was würde das bringen?
Eine Einbeziehung der Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung würde sicher das Gerechtigkeitsbedürfnis vieler Bürger befriedigen. Wer das fordert, müsste so konsequent sein und auch die über 80 berufsständigen Versorgungswerke in Deutschland miteinbeziehen, ebenfalls aus Gerechtigkeitsgründen. Hinzu kommt aber, dass Beamte für die gesetzliche Rentenversicherung sogenannte „schlechte Risiken" sind. Denn Beamte leben im Durchschnitt zwei Jahre länger als die derzeitigen Rentnerinnen und Rentner. Hinzu kommt: Ein Beamter wird für den Steuerzahler erst dann teuer, wenn er seine Pension bezieht. Solange er im aktiven Dienst ist, kostet er den Fiskus weniger als gleich qualifizierte Angestellte. Außerdem stellt sich wieder die Frage der Doppelbelastung während der Systemumstellung. Denn die in der Beamtenversorgung erworbenen Ansprüche sind eigentumsrechtlich geschützt und können nicht einfach zusammengestrichen werden. Sie müssen ausfinanziert werden. Deshalb würde eine Umstellung etwa 30 Jahre dauern.
Was empfehlen Sie als langjähriger Rentenexperte und -Berater jungen Menschen?
Ob nun umlagefinanziert, kapitalgedeckt oder ein Mischsystem aus verschiedenen Komponenten: Jedes System hat Vor- und Nachteile. Es gibt keinen Königsweg in der Altersversorgung. Im Vergleich mit anderen Ländern sind die Rentensysteme höchst unterschiedlich, und jedes Land preist sein Modell als das bestgeeignetste. Grundsätzlich gilt, je universeller das System, desto besser ist es legitimiert. Und richtig ist auch, dass eine Kombination aus umlagefinanzierten und kapitalgedeckten Renten durchweg überlegene Lösungen sind. Ein sehr modernes Gesetz ist im Übrigen das Betriebsrentenstärkungsgesetz von 2018. Leider findet es bislang kaum eine Anwendung. Die staatliche Rente wird natürlich Bestand haben, wobei mir eine gesetzliche Garantie des Rentenniveaus von 48 Prozent wenig hilfreich erscheint. Denn ob eine Rente den im Alter erhofften Lebensstandard gewährleistet, das kann diese hochgehaltene Kennziffer nicht aussagen. Denn das Wunschniveau einer Rente wird von der Lohnhöhe in den letzten Jahren vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben bestimmt. Und darüber erlaubt das Rentenniveau definitiv keine Aussage. Es gibt viele Möglichkeiten der Altersvorsorge wie Immobilien, private Vorsorgeverträge und vieles mehr, worüber wir jetzt nicht gesprochen haben. Aber es ist sicher nicht falsch, auf das achte Weltwunder des Zinseszinseffekts zu setzen und von jungen Jahren an einen Teil seines Einkommens zurückzulegen. In jungen Jahren in Aktien und mit steigendem Alter den Aktienanteil zugunsten weniger volatilen Vermögens umzuschichten.