Seit Jahren kämpfen Chantal Ostermann und Katrin Eschenweck, Vorstandsvorsitzende und Vorstand des Vereins „proud to care" (p2c) für bessere Bedingungen in der Pflege. Nun wurden die beiden Frauen selbst pflegerisch tätig – als „die Lange und die Kurze".
Frau Ostermann, erst mal herzlichen Glückwunsch zum Marie-Simon-Pflegepreis, mit dem „proud to care" ausgezeichnet wurde. Wie fühlt sich das an?
Ich freue mich sehr und bin wirklich berührt, dass wir diese wunderbare Auszeichnung entgegennehmen durften. Die Preisverleihung stärkt unsere Motivation, die Arbeit mit unserem Verein „proud to care" genau auf diesem Weg fortzuführen. Wir haben eine Mission und stellen uns immer wieder die Fragen: Wie können das Image und die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessert werden? Warum und wie kann man sich in der Pflege stolz präsentieren? Wie können wir mehr Menschen für diesen Beruf begeistern?
Mit ihrer Begründung auf der Berliner Pflegekonferenz würdigte die Jury neben dem eigentlichen Ziel von p2c auch „eine Bewegung zu starten und damit die öffentliche Wahrnehmung der Pflegetätigkeit in ein positives Licht zu rücken und so dazu beizutragen, dass sich wieder mehr, vor allem junge Menschen, diesem Beruf zuwenden". Und hier vor allem den „herausragenden Einsatz für dieses Vorhaben und die dynamische Umsetzung." Würden Sie ein paar Beispiele nennen?
Aktuell verfolgen wir viele Projekte und Aktivitäten mit Kooperationspartnern wie der Agentur für Arbeit, Schulen und „azubi:web". Dazu zählen Präsentationen der Berufsbilder und Einstiegsmöglichkeiten für Berufsberater der Jobcenter, übergreifende Bewerbervermittlung, Berufsorientierung in den Schulen und Entwicklung und Implementierung einer App zur spielerischen Wissensvermittlung der generalistischen Pflegeausbildung, um Beispiele zu nennen. Zudem organisieren wir regionale Veranstaltungen und Messen mit allen Trägern, wie etwa eine Großveranstaltung zum Tag der Pflege, pink tables zum Austausch, Infoveranstaltungen zum Pflegeberuf, und wir fördern die Vernetzung und den Zusammenschluss der Branche unter dem gemeinsamen Motto „proud to care".
Dabei informieren Sie nicht nur über die Situation um die Pflege, sondern werden auch selbst tätig. So haben Sie als Vorstandsvorsitzende von p2c zusammen mit Katrin Eschenweck, p2c-Vorstand, ein Pflegepraktikum absolviert.
Auch wenn wir schon viele Jahre in der Branche tätig sind, haben wir beide ursprünglich keinen pflegefachlichen Hintergrund. Somit haben wir uns entschieden, die Ausbildung beziehungsweise Pflegebasisqualifikation zum Pflegehelfer zu absolvieren. Neben unserer eigenen persönlichen Entwicklung ging es vor allem darum, neue Impulse aus der Praxis mitzunehmen, um so die Interessen der Pflegenden noch besser vertreten zu können. Zum anderen war es uns wichtig, aus erster Hand davon berichten zu können, was einen als Quereinsteiger in die Pflege erwartet und über diesen Weg, noch mehr Menschen davon zu überzeugen, den Schritt in diese spannende und sinnvolle Branche zu wagen.
Was stand auf dem Lehrplan?
Unsere Pflegebasisqualifikation haben wir beim DRK in Berlin absolviert. Dieser Kurs, der einen zur Arbeit als Pflegehelfer qualifiziert, besteht aus drei Wochen Theorieunterricht mit Praxistraining und drei Wochen Praktikum in einer Seniorenresidenz. Der Theorieunterricht war unglaublich spannend, vor allem wenn man sich etwas für Medizin interessiert. Hier wurden uns die wichtigsten Grundlagen von Anatomie und Gesundheits- und Krankenlehre vermittelt. Aber auch vorbeugende Maßnahmen, die ein Pflegehelfer im Blick haben muss, etwa Herz-Kreislauf-System, Atmung, Dermatologie, Verdauung, Nervensystem und diverse Prophylaxen. Daneben Themen wie Gerontologie und Demenz, Betreuung und Kommunikation, Hygiene und Körperpflege, Dokumentation und rechtliche Grundlagen. Ebenso haben wir in Rollenspielen und Praxisübungen gelernt, wie man die Grundpflege durchführt, Nahrung anreicht, Bewohner mobilisiert und lagert, Rollstuhltraining und erste Hilfe leistet.
Was ich besonders interessant fand, waren die Hintergründe der anderen Teilnehmer aus unserem Kurs. Fast alle haben zuvor eine ganz andere berufliche Laufbahn verfolgt, die Hälfte davon mit Studium. So waren darunter Buchhalter, Soziologen, eine Polizistin, Haustechniker, Musiker, Rechtswissenschaftler, Zahntechniker, Heilpraktiker und viele andere Berufsgruppen. Alle wollten ihr Wissen erweitern, auch für den privaten Kontext und waren auf der Suche nach einem Beruf mit Sinn und Zukunft.
Hatten Sie im Vorfeld Bedenken?
Natürlich hatten wir vor dem Praktikum auch gewisse Bedenken, wie man mit Alterskrankheiten und Wunden zurechtkommen wird, oder damit, fremde Menschen zu waschen und Inkontinenzmaterial zu wechseln. Umso erstaunter war ich, dass dies in der Praxis wirklich vollkommen unproblematisch war, weil man einfach eine ganz medizinische Sicht auf die Dinge hatte. Vielmehr hat dies dazu geführt, noch viel mehr über den Beruf und die Tätigkeit, wie die Fachkraftaufgaben, lernen zu wollen.
Und dann folgte das Pflegepraktikum?
Genau, unser Pflegepraktikum haben wir in der Pro Seniore Residenz Elbe in Dresden absolviert. Am ersten Tag sind wir mit den erfahrenen Pflegekräften und Pflegefachkräften mitgelaufen und haben diesen über die Schulter geschaut und bei den Tätigkeiten unterstützt. Am zweiten Tag habe ich schon selbst die ersten Bewohner versorgt und die Grundpflege durchgeführt. Jeden Tag hat es besser funktioniert. Man wusste, was die Bewohner für Bedürfnisse hatten und ist selbstsicherer geworden. Nach zwei Tagen Praktikum waren wir schon bei allen Bewohnern auf dem Wohnbereich bekannt und ich würde auch geschätzt sagen – als „die Lange und die Kurze".
Wie war der Tagesablauf?
Den Tagesablauf eines Pflegehelfers in einer Seniorenresidenz kann man sich in etwa so vorstellen: Morgens findet eine Übergabe zwischen dem Nachtdienst und dem Pflegeteam des Wohnbereichs der Station statt. Hier wird besprochen, ob es bei einzelnen Bewohnern in der Nacht Auffälligkeiten gab und welche Aufgaben der Nachtdienst bereits erledigt hat. Dann gehen wir zu den ersten Bewohnern, die schon wach sind und unterstützen diese individuell bei der Grundpflege, also beim morgendlichen Toilettengang, Duschen beziehungsweise Waschen, Fertigmachen, Haare frisieren und Anziehen. Es ist schön, die Bewohner morgens zu umsorgen, eine kleine Massage beim Eincremen einzubauen und über den anstehenden Tag zu quatschen. Einige Bewohner sind noch sehr selbstständig und brauchen zum Beispiel nur Unterstützung, um die Haare hinten zu föhnen oder den Rücken zu waschen. Die bettlägerigen Bewohner haben selbstverständlich einen höheren Unterstützungsbedarf und werden zusätzlich regelmäßig mobilisiert oder neu gelagert, sodass keine Druckstellen vom Liegen entstehen.
Bei der morgendlichen Routine beobachten wir genau den Gesundheitszustand, ob sie gegebenenfalls irgendwo Schmerzen haben oder irgendwelche Bedürfnisse, und bei Bedarf werden Veränderungen mit den Pflegefachkräften besprochen, sodass entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können. Dann werden die Bewohner zum Frühstück in den Gemeinschaftsraum gebracht, wo wir ähnlich wie im Hotelrestaurant Kaffee und Frühstück servieren und die nicht selbstständigen Bewohner bei der Nahrungsaufnahme unterstützen. Unter Anleitung der Fachkräfte achten wir auch darauf, dass die Medikamente korrekt eingenommen werden. Dann nehmen die Bewohner an den Veranstaltungs- und Betreuungsangeboten teil, zu denen wir sie teilweise begleiten.
Ebenso gehörte es zu unseren Aufgaben, dass eine angenehme Atmosphäre auf dem Zimmer und dem Wohnbereich herrscht, die Betten schön gemacht sind und alles ordentlich und aufgeräumt ist. Natürlich auch, dass alle Hygienemaßnahmen eingehalten werden.
Anschließend wird das Mittagessen angerichtet und serviert. Danach ruhen die meisten Bewohner, sodass wir Zeit haben, alle absolvierten Tätigkeiten und pflegerischen Beobachtungen abschließend zu dokumentieren.
Zusammenfassend kann man sagen, dass wir als Pflegehelfer für die Gestaltung des Alltags der Bewohner zuständig sind und diese darin eng begleiten, während die Fachkräfte die medizinischen Aspekte, wie die Behandlungspflege durchführen und grundsätzlich den gesamten Pflegeprozess steuern – Vitalwerte messen, Insulin spritzen, Wunden versorgen, das Medikamentenmanagement.
Hört sich nach sehr viel Arbeit an …
Die ersten Tage waren wir abends schon platt. Es ist schon eine Umstellung, den ganzen Tag im Büro vor dem PC zu sitzen oder auf dem Wohnbereich hin- und herzuflitzen. Man muss man sich natürlich auch zunächst an den Schichtdienst gewöhnen, wie im Frühdienst um 5 Uhr aufzustehen. Aber dafür war es klasse, auch um 14.30 Uhr Feierabend zu haben. Man kam aber dann relativ schnell in den Rhythmus, und die Fitnessuhr hat sich auch gefreut.
Gab es schwierige Momente?
Natürlich muss man sich bewusst sein, dass man neben vielen schönen Erfahrungen auch teilweise mit traurigen Schicksalen und Leid in Berührung kommt, was einen auch persönlich bewegt. Aber so ist nun mal der Lauf des Lebens: Wir werden alle älter, und dies geht nun mal häufig mit Pflegebedürftigkeit in verschiedenen Ausprägungen einher. Umso schöner ist es zu wissen, dass man mit seinem Pflegeberuf, den Menschen so zur Seite stehen kann und sie nicht allein sind.
Ebenso habe ich noch größeren Respekt vor der hohen Verantwortung gewonnen, die jeder einzelne Mitarbeiter im Kontakt mit den Bewohnern ständig zu tragen hat.
Ebenso hat man gemerkt, wie ausschlaggebend es ist, ein eingespieltes, motiviertes Team zu haben, wie das tolle Team der Residenz Elbe. Das zentrale Thema für die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist nicht das Gehalt – auch wenn dieses trotzdem wichtig ist – sondern dass man ausreichend Kollegen und ein gutes, stabiles Team hat, sodass der Dienstplan gesichert ist, man sich aufeinander verlassen kann und somit jeder ausreichend Zeit für die Bewohner hat und um seine Fachlichkeit umsetzen zu können. Deshalb ist dies die gesellschaftliche Aufgabenstellung für die Zukunft, der wir uns auch mit p2c verpflichtet haben: mehr Menschen für die Pflege zu gewinnen.
Welche schönen Erfahrungen sind besonders in Erinnerung geblieben?
Ach Gott, es gab so viele schöne Erfahrungen, die wir niemals missen möchten. Wir haben so vieles über die Pflege und Abläufe gelernt, auch über uns selbst, konnten neue Ideen aus der Praxis mitnehmen, haben sehr viel gelacht und vor allem und zuoberst ganz wundervolle Menschen kennengelernt.
Ich denke da zum Beispiel an Frau Grüttner, die uns am Anfang noch kritisch beobachtet und mit Frau Eschenweck sogar über die Essensauswahl geschimpft hat. Aber dann konnten wir doch schnell ihr Herz gewinnen. Sie hat uns erzählt, wie sowohl ihr Sohn als auch ihr Mann vor Kurzem verstorben sind. Um Sie etwas abzulenken, waren wir gemeinsam mit ihr und ihren Freundinnen aus dem Wohnbereich beim Kleiderverkauf in der Residenz und hatten einen wunderbaren „Mädels"-Nachmittag.
Am Ende unseres Praktikums, als wir uns verabschieden mussten, hatte sie Tränen in den Augen, und wir natürlich auch. „Vergesst mich nicht. Wenn ihr in Dresden seid, denkt an eure Frau Grüttner", hat sie gesagt. Ich werde sie nie vergessen. Genauso wenig wie all die anderen lieben Bewohner, die wir kennenlernen durften und das großartige Team der Residenz Elbe. Es ist unglaublich, wie schnell einem die Menschen ans Herz wachsen können, und wir haben so viele wundervolle Menschen kennengelernt. Es war eine bereichernde und inspirierende Erfahrung, die ich jedem ans Herz legen kann! Denn das ist Pflege – eine wahre Herzensaufgabe.