Ein Wiener Fremdenführer hat dem britischen Filmklassiker „Der dritte Mann" ein privates Museum gewidmet. Auch sonst gibt es in der österreichischen Hauptstadt einiges zu entdecken – immer auf den Spuren von Harry Lime.
Ohne die Amerikaner", sagt Gerhard Strassgschwandtner, „wäre ich in einer Stadt wie Budapest oder Prag aufgewachsen." Nicht, dass der Wiener etwas gegen Budapest oder Prag hätte, aber ohne die Amerikaner, da ist sich der 59-Jährige sicher, wäre sein Wien nach dem Zweiten Weltkrieg eine weitere Stadt hinter dem Eisernen Vorhang gewesen, eine Stadt in Unfreiheit. Es ist nicht ganz klar, ob diese Erkenntnis gewachsen ist, bevor oder nachdem Gerhard Strassgschwandtner begonnen hat, sich mit einem Amerikaner von der übelsten Sorte zu beschäftigen und ihm trotzdem ein Museum zu widmen: Harry Lime, dem „dritten Mann".
Harry Lime ist vor 73 Jahren in der Wiener Kanalisation gestorben. Wirklich gelebt hat er aber nie. Er ist eine Erfindung des Schriftstellers Graham Greene und des Regisseurs Carol Reed. In ihrem Film „Der dritte Mann" erzählen sie eine düstere Geschichte: Der amerikanische Westernroman-Autor Holly Martins kommt nach Wien, weil Harry Lime, sein Freund aus Kindheitstagen, dort einen Job für ihn hat. Er kommt, so scheint es, zu spät. Am Tag seiner Ankunft in der unter den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs aufgeteilten Stadt wird Harry Lime auf dem Wiener Zentralfriedhof beerdigt. Sein Freund, erfährt er, war ein gefährlicher Krimineller, ein Schieber, der mit gestohlenem und zur Profitmaximierung gestrecktem Penizillin gehandelt hat. Opfer des von Harry Lime in Umlauf gebrachten schlechten Penizillins sind vor allem Kinder, die nun in einem Spital qualvoll sterben.
Film war kein Erfolg in Österreich
Holly Martin will die Geschichten über seinen Freund nicht glauben, stößt bei seinen Recherchen aber auf immer neue Merkwürdigkeiten. Sein Freund wurde bei einem Verkehrsunfall von seinem eigenen Chauffeur überfahren. Ein Zeuge spricht von einem dritten Mann, der bei der Leiche stand, obwohl im Polizeiprotokoll nur von zwei Männern die Rede ist. Zu den Zitherklängen von Anton Karas erzählen Graham Greene und Carol Reed eine Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verrat, Elend und Tod. Hauptdarsteller des britischen Films, der nach wie vor in Listen der 100 wichtigsten und beeindruckendsten Filme aller Zeiten auftaucht, sind nicht nur Orson Welles als Harry Lime und Joseph Cotten als Holly Martins. Hauptdarstellerin, sagt Gerhard Strassgschwandtner, ist auch das zerbombte Nachkriegs-Wien.
Ein Wien und dessen Abgründe die Österreicher nicht sehen wollten. Der Film sei fast überall auf der Welt ein Erfolg gewesen, nur in Österreich nicht. Und so wundert es Gerhard Strassgschwandtner nicht, dass in sein Privat-Museum unweit des Naschmarkts vor allem Engländer, Amerikaner und Deutsche kommen. Nur fünf Prozent der Besucherinnen und Besucher sind Österreicher, die Hälfte davon Wiener. Dabei haben Gerhard Strassgschwandtner und seine Lebenspartnerin Karin Höfler eine beeindruckende Sammlung zusammengetragen. In 15 Räumen zeigt das Dritte Mann Museum unter anderem die Filmzither von Anton Karas, teilweise mit Notizen der Schauspieler versehene Drehbücher, beim Dreh in Wien verwendete Filmkameras, Kleidungsstücke, die im Film getragen wurden, Fotos, Premierenplakate aus mehr als 20 Ländern.
Die Mütze des Jungen, der im nächtlichen Wien ruft: „Das ist der Mörder!", ist eine Filmrequisite, auf die Strassgschwandtner besonders stolz ist. „Der Junge war damals vier Jahre alt und war am Set, weil sein Vater Beleuchter war. Er wurde danach auch für andere Filme angefragt. Aber sein Vater hat das nicht zugelassen, weil seine Erfahrung war: Film bedeutet Alkohol und Unglück, jedenfalls kein glückliches Leben." So habe der Mann, der dieser Junge war und dem Museum die Mütze geschenkt hat, die Geschichte erzählt.
Ein besonders Ausstellungsstück ist auch die Drehbuchausgabe von Trevor Howard, der den Polizei-Major gespielt hat, der Harry Lime jagt. „Er hat alle Änderungen, teilweise mit Ort und Zeit eingetragen, was für Filmschauspieler ungewöhnlich ist, weil sie die Änderungen einfach spielen. Aber Trevor Howard war Theaterschauspieler und hat so dokumentiert, wie sich der Film während der Dreharbeiten verändert, entwickelt hat. Ein Glücksfall", schwärmt Strassgschwandtner.
Komplettes Museum ist privat finanziert
Der 59-Jährige ist Fremdenführer, hat da immer gut verdient, auch etwas zurückgelegt, und so das komplette Museum privat finanziert. Es bekommt keine öffentlichen Zuschüsse. „Das hat auch einen Vorteil: Die Politik mischt sich nicht ein", sagt er. Gerhard Strassgschwandtner ist ein sehr hartnäckiger Mensch. Er hat mit den Erben von Graham Greene nicht sonderlich erfolgreich über Dokumente zum Film verhandelt, sich dagegen sehr erfolgreich um Teile aus dem Nachlass von Anton Karas bemüht. Da habe er als Wiener einen Vorteil gehabt, meint er. Wobei die Zithermusik nicht geplant gewesen sei. Auf die wurden Graham Greene und Carol Reed erst während der Dreharbeiten in Wien aufmerksam.
Anton Karas, der bis dahin Menschen in Weinlokalen mit seiner Musik unterhielt, „wusste gar nicht so richtig, was die von ihm wollten, als er in einem Londoner Filmstudio den Rohschnitt vertonen sollte", erzählt Strassgschwandtner. „Man musste ihm erklären, was er da auf der Leinwand überhaupt sieht. Aber am Ende war man so zufrieden, dass man ihn allein in den Abspann schrieb, obwohl es eine Teamleistung war. Karas, der gelernter Maurer war, konnte gar nicht komponieren. Er hat sich dann von dem Geld, das er unter anderem auch auf einer Tournee durch Amerika verdient hat, selbst ein Weinlokal gekauft. Karas war nach heutiger Rechnung Euro-Millionär", erklärt der Museumsleiter.
Strassgschwandtner ist nicht der einzige, der Touristen ein Dritter-Mann-Erlebnis beschert. Das für die Kanäle zuständige Magistrat der Stadt Wien hat bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie Führungen zu Drehorten in der Kanalisation angeboten. Vermutlich im kommenden Jahr will man diese Dritte-Mann-Tour wieder anbieten. Das Burg-Kino in der Innenstadt zeigt zweimal die Woche die „The Third Man"-Originalfassung.
Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt
Um vor allem Wienerinnen und Wiener doch noch für den Klassiker zu begeistern, haben Strassgschwandtner und Höfler die Ausstellung um Dokumente aus der Nachkriegszeit erweitert. „Der britische Produzent Alexander Korda wollte einen Film über eine physisch und moralisch zerstörte Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg drehen. Die Wahl fiel auf das von den USA, der Sowjetunion, England und Frankreich besetzte Wien, dessen erster Bezirk unter gemeinsamer Verwaltung aller vier Besatzungsmächte stand. Durch Graham Greenes aufmerksame Recherche und Carol Reeds dokumentarischen Stil wurde ,Der dritte Mann‘ zu einem beispiellosen Zeitdokument über das Wien der unmittelbaren Nachkriegszeit", erklärt Strassgschwandtner. Die von ihm zusammengetragenen Dokumente zeigen das Leben zwischen Hunger, Wiederaufbau, Schwarzmarkt und Demarkationslinien im zerstörten und besetzten Wien.
Auch da hat sich Strassgschwandtners Hartnäckigkeit ausgezahlt. Als sich ein älterer Museumsbesucher als Bomberpilot zu erkennen gab, witterte der Museumsmann eine große Chance. Er überredete den Mann nicht nur zu einem Interview. „Er hat mir nach vielen Gesprächen geholfen, an militärische Karten zur Bombardierung ranzukommen", sagt Strassgschwandtner. Die zeigt er im Museum ebenso wie den Inhalt der Care-Pakete, die die Amerikaner nach Wien geschickt haben. „Diese Pakete, für die Privatleute in den USA zehn Dollar gespendet haben, haben das Bild von den USA in Österreich positiv verändert und auch eine Begeisterung für amerikanische Musik und Filme ausgelöst", erzählt Strassgschwandtner. „Vor allem aber, dass die Amerikaner den Marshallplan, der eigentlich für den Wiederaufbau Deutschlands gedacht war, ausgedehnt haben, hat Wien sehr geholfen", sagt er und erklärt: Um eine Teilung nach deutschem Vorbild zu verhindern, wurde Österreich dann ein neutraler Staat. Und Wien blieb auf der freien Seite des Eisernen Vorhangs.
Gerhard Strassgschwandtner hofft, dass er mit diesem Blick in die eigene Geschichte auch seine Landsleute neugierig machen kann auf den Amerikaner der übelsten Sorte, den Graham Greene und Carol Reed vor 73 Jahren in der Wiener Kanalisation sterben ließen: Harry Lime – den „dritten Mann".