Nachdem einige TV-Anstalten in den 1980er- und 1990er-Jahre vergeblich versucht hatten, dem deutschen Zuschauer 3D-Fernsehen schmackhaft zu machen, wurde 3D 2009 endlich der Durchbruch im heimischen Wohnzimmer vorausgesagt. Ein Irrglaube.
Im Februar und März 1982 hatten sich lange Warteschlangen vor den hiesigen Optiker-Läden gebildet. Die Kunden wollten unbedingt eine der begehrten und günstig für 70 Pfennige angebotenen Pappbrillen mit Kunststofffolien als Gläserersatz in den Farben Grün und Rot kaufen. Ein neues Fernseh-Zeitalter schien anzubrechen mit dreidimensional-plastischen Bildern, wie es sie bis dahin allenfalls in ausgewählten Kinosälen gegeben hatte. Nach Einführung des Farbfernsehens 1967 versprach 3D-TV der nächste Zukunftsschritt für die heimische Mattscheibe zu werden.
Zumindest versuchten die für die Pilotsendung „Wenn die Bilder plastisch werden – Ein dreidimensionales Experiment" federführenden Sender NDR und WDR diesen Eindruck zu erwecken. Sie hatten sich für das ambitionierte Projekt die Mitarbeit des niederländischen Elektronikriesen Philips gesichert. Schon Wochen vor der Erstausstrahlung des von Wilfried Göpfert moderierten Formats am 28. Februar 1982 auf N3 und Hessen 3 und einer Fortsetzung am 7. März 1982 wurde heftig die Werbetrommel gerührt.
Die techniklastige Sendung selbst wurde keineswegs in aufwendiger und kostenintensiver 3D-Technik produziert und ausgestrahlt, sondern es wurden zur Auflockerung und Veranschaulichung lediglich einige Sketche oder Einspieler mit 3D-Effekten eingebaut. Die hohen Erwartungen der Zuschauer, die es sich brav mit den sogenannten Anaglyphen-Brillen vor den Augen auf Sesseln und Sofa mit Blick auf den Bildschirm bequem gemacht hatten, wurden bei Weitem nicht erfüllt. Der räumliche Effekt funktionierte nur mäßig, die Farben schwanden in Richtung Schwarzweiß, die Bildfläche der damaligen Fernseher war für eine dreidimensionale Darstellung schlicht zu klein.
Fernsehsender scheuten zurück
Zudem galt das Anaglyphen-Verfahren mit dem jeweiligen Blockieren roter oder grüner Bildinhalte durch Farbfilter und dem anschließenden Zusammenführen zu einem plastisch-räumlichen Ganzen damals schon als steinzeitlich. Viele Zuschauer klagten anschließend über Kopfschmerzen, weil sie sich mit der ungewohnten Bildverarbeitung schwertaten. Was eine Steilvorlage für die kommentierenden Zeitungen war, die denn auch gleich „3D – oh weh" titelten und von einem „groß angelegten Mummenschanz" schrieben.
Statt aus Fehlern zu lernen, setzte RTL 1991 bei seiner seinerzeit ziemlich umstrittenen Erotik-Spielshow „Tutti Frutti" wieder bei einigen 3D-Einspielungen auf die gleichen Pappbrillen. Auch Pro7 wagte 1998 einen Vorstoß in die dritte Dimension durch Einstreuung von 3D-Sequenzen in Tierdokumentationen und Magazinsendungen, wobei die Brillen nun dank eines Sponsors gelbgrüne und violette Plastikfolien statt roter und grüner hatten. Angesichts dieser sehr bescheidenen 3D-Anfänge im deutschen Fernsehen ist es im Rückblick mehr als verwunderlich, dass ein einziger komplett in 3D-Technik produzierter und mit 2,7 Milliarden Dollar Gesamteinnahmen mega-erfolgreicher Film namens „Avatar", bei dem Regisseur James Cameron seine blauen Außerirdischen durch den Dschungel huschen ließ, als absoluter Game Changer deklariert werden konnte. Zunächst wurde darüber spekuliert, dass künftig wohl die meisten Filme nicht mehr nur in 2D, sondern gleich in 3D gedreht werden würden. Viele Kinobetreiber witterten das große Geschäft und rüsteten ihre 3D-Projektionsanlagen für viel Geld auf.
Aber auch die großen Hersteller von Fernsehgeräten witterten eine völlig unerwartete Chance, neue Märkte zu erschließen und den Kauf neuer TV-Geräte anzukurbeln. Plötzlich integrierten alle ein 3D-Modul in ihren Geräten. Dabei gab es hierzulande keinen einzigen Sender, der dreidimensionale Inhalte ausstrahlte, Sky Deutschland und die Telekom hatten immerhin ab 2010 entsprechende Versuchsballons gestartet.
Dennoch gab es Untersuchungen, die für Deutschland bis 2015 eine flächendeckende Etablierung des 3D-TVs vorausgesagt hatten. Also nur fünf Jahre nach dem Startschuss der neuen 3D-Geräte. „3D entwickelt sich zum Markttreiber der Consumer Electronics. Neben der Internetfähigkeit wird 3D zur wichtigsten Funktion der neuen TV-Geräte-Generation" – zu diesem Schluss kam die im Auftrag der Bitkom 2010 erstellte Goldmedia-Studie.
Hersteller bieten keine Geräte mehr
Ein Problem waren und sind allerdings die noch unerlässlichen 3D-Brillen. Zum einen gab es die sogenannten Shutterbrillen mit einem Stückpreis von anfangs rund 100 Euro. Die Gläser dieser Brillen enthalten kleine LCD-Schirme aus einer Flüssigkeitskristallschicht, die auf die Millisekunde genau ein Abdunkeln der Gläser ermöglicht. Der 3D-Effekt beim Fernsehen entsteht dabei dadurch, dass beide Brillengläser synchron zum Bildschirm jeweils abwechselnd abgedunkelt werden. Jeweils eines der Gläser ist schwarz und undurchsichtig, das andere transparent und durchsichtig. Gesteuert wird der Bildwechsel dabei durch ein Infrarotsignal des Fernsehers. Zeitgleich werden auf dem Fernsehbildschirm nacheinander zwei Bilder aus versetzter Perspektive angezeigt, so wie die Augen des Menschen ebenfalls zwei unterschiedliche Bilder wahrnehmen. Erscheint ein Bild für das linke Auge, wird die rechte Brillenseite abgedunkelt. Durch die schnelle Abfolge der dargestellten Bilder entsteht der räumliche Effekt. Die in der Bildabfolge gezeigten Halbbilder für das rechte und linke Auge verarbeitet das menschliche Gehirn und setzt die abwechselnd gezeigten unterschiedlichen Perspektiven zu einem kompletten dreidimensionalen Bild zusammen.
Alternativ gab und gibt es die sogenannte Polarisationsfilterbrille, die deutlich günstiger ist. Wer keinen Blue-ray-Player hatte, musste auch diesen nachrüsten. Zwar gibt es bis heute eine beachtliche Zahl von 3D-Filmen, bei denen es sich aber fast ausnahmslos um Fantasy-, Science-Fiction- oder Animationsfilme handelt. Das größte Problem allerdings ist, dass man immer eine entsprechende Brille auf der Nase haben muss und ein optimaler 3D-Genuss vor der heimischen Mattscheibe nur dann erzielt wird, wenn der Betrachter still und im optimalen Abstand und Winkel zum Fernsehgerät sitzen bleibt. Was im Kino funktioniert, tut es zu Hause noch lange nicht. Auf Dauer nerven die benötigten Brillen schlicht – insbesondere, wenn man Brillenträger ist und die 3D-Brille über die eigentliche stülpen muss. Und das Problem der Übelkeit, die die ungewohnte Art durch die Shutterbrillen zu sehen, bei manchen Menschen hervorruft, hat auch das Ihre zum Scheitern beigetragen.
Dennoch erreichten 3D-Fernseher vor zehn Jahren einen stolzen Anteil von 23 Prozent unter allen verkauften TV-Geräten. Danach allerdings stürzten die Verkaufszahlen jäh ab. 2016 verfügten nur noch acht Prozent der abgesetzten Geräte über diesen Zusatznutzen. Ein Jahr später verabschiedeten sich mit Sony und LG die letzten beiden großen Hersteller von dem siebenjährigen 3D-Irrweg, aus dem sich inzwischen weltweit auch sämtliche TV-Anstalten zurückgezogen haben.
Der deutsche Regisseur Wim Wenders, der als leidenschaftlicher Anfänger der 3D-Filmkunst bekannt ist und mit seinem 3D-Dokumentarfilm „Pina" 2012 sogar für den Oscar nominiert worden war, machte auch die eigene Branche „durch all die Mistfilme, die damit produziert wurden" für das 3D-Scheitern verantwortlich. Wenders: „Das Fernsehen hat sich zurückgezogen, es gibt keinen Sender mehr in Europa, der 3D zeigt. Die Industrie hat sich ebenfalls abgewendet, weil wegen des Mangels an Content auch keine 3D-Fernsehgeräte mehr gekauft werden." Allzu oft wurde bei Produktionen mehr Wert auf 3D-Effekte gelegt und dabei die Handlung vergessen. Oder die 3D-Effekte waren schlicht schlecht. Am besten funktionieren sie sicher in Animationsfilmen, aber auf Dauer sieht man sich auch daran satt.
Auch Versuche, vernünftige 3D-Effekte ohne lästige Brillen zu erzeugen, sind letztlich gescheitert. Und es ist fraglich, ob Hersteller Zeit und Geld darauf verwenden. Es scheint also so, als sei der Traum vom 3D-Fernsehen gescheitert. Dieses Mal vielleicht sogar endgültig.