Fritz Walter, der seinem Heimatclub 1. FC Kaiserslautern zeitlebens treu geblieben war, wird immer wieder als Deutschlands Jahrhundertkicker bezeichnet. Wie kaum ein anderer Sportler hat er die Nachkriegsbundesrepublik geprägt. Vor 20 Jahren ist das Idol für Generationen gestorben.
Es war eine schier unglaubliche Nacht- und Nebelaktion, die sich Bundestrainer Sepp Herberger im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft in Chile 1962 ausgedacht hatte. Der „Chef", wie er in Spielerkreisen ehrfürchtig genannt wurde, hatte sich dazu entschlossen, seinen Lieblingsschüler Fritz Walter, der seine Karriere im Nationaltrikot nach einem üblen gegnerischen Foul im Halbfinale der WM in Schweden 1958 beendet und ein Jahr später auch beim 1. FC Kaiserslautern seine Stiefel endgültig an den Nagel gehängt hatte, zu reaktivieren.
Wie es Herberger gelungen war, seinen langjährigen Spielstrategen und verlängerten Arm auf dem Platz zum Mitmachen bei diesem kühnen Unterfangen zu überreden, nachdem Walter seinem Coach trotz 1957 erworbener Lizenz den Wunsch abgeschlagen hatte, seine Nachfolge als Bundestrainer anzutreten, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass Walter seit dem Herbst 1961 heimlich ein intensives Trainingsprogramm aufgenommen hatte und nach der geplanten Absolvierung eines Testkicks im stolzen Alter von 41 Jahren ohne jegliche Spielpraxis mit nach Chile fahren sollte. Da sich die Begeisterung darüber im Kicker-Kollegenkreis allerdings in Grenzen hielt, machte Walter schließlich doch noch einen Rückzieher.
Ein Leben geprägt von Bescheidenheit
Es blieb also bei 61 Einsätzen und für einen offensiven Mittelfeldspieler bemerkenswerten 33 Toren. Walters Länderspielkarriere hatte sich über stolze 17 Jahre, elf Monate und zehn Tage gezogen – vom Debüt am 14. Juli 1940 mit drei Walter-Toren beim Sieg gegen Rumänien bis zum erwähnten Halbfinal-Ausscheiden in Schweden am 24. Juni 1958. Natürlich ist zu berücksichtigen, dass der Zweite Weltkrieg und die folgenden Nachwehen dem Kicker Fritz Walter die besten Jahre seines Fußballerlebens geraubt hatten.
Da die Weltmeisterschaft 1942 kriegsbedingt ausgefallen war und Deutschland bei der WM 1950 nicht teilnahmeberechtigt war, konnte Fritz Walter seine internationale Ausnahmeklasse auf dem Rasen erst bei der fünften Fifa-WM 1954 in der Schweiz unter Beweis stellen. Als 33-Jähriger war er der Kopf und Lenker beim sogenannten Wunder von Bern am 4. Juli 1954, als es dem deutschen Team im Dauerregen, dem sogenannten Fritz-Walter-Wetter, gelang, den haushohen Favoriten aus Ungarn im Finale niederzuringen.
Die positiven Folgen des WM-Triumphs von 1954 für das Selbstwertgefühl des deutschen Volkes sind hinlänglich bekannt. Fritz Walter, den beispielsweise Franz Beckenbauer als wichtigsten deutschen Spieler des 20. Jahrhunderts gewürdigt hatte, wurde das Hauptverdienst an dem Sensationssieg zugeschrieben. Walter, der sich zeitlebens durch Bescheidenheit, Volkstümlichkeit und Bodenständigkeit in Nachahmung seines großen Vorbildes Max Schmeling ausgezeichnet hatte, wurde zu einem Idol für Generationen. Oder um es mit den Worten des Publizisten und Historikers Joachim Fest auf den Punkt zu bringen: „Es gibt drei Gründungsväter der Bundesrepublik: Politisch ist es Adenauer, wirtschaftlich Erhard und mental Fritz Walter." Auch der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl hatte Walter bescheinigt, „an der Geschichtsschreibung nach 1945 sichtbar mitgewirkt" zu haben.
Fritz Walter hätte zudem der erste deutsche Fußball-Millionär werden können. Schon vor der WM 1954 in der Schweiz hatte er durch seine Glanzvorstellungen im Trikot des 1. FC Kaiserslautern das Interesse großer ausländischer Vereine geweckt. So hatte ihm beispielsweise Atlético Madrid bereits 1951 den Wechsel nach Spanien mit einem damals sagenhaften Handgeld von 250.000 Mark schmackhaft machen und für Walters Unterschrift unter einen Zweijahres-Vertrag zusätzliche 250.000 Mark drauflegen wollen. Beim FCK hatte er gerade mal das im Vertragsspielerstatut erlaubte monatliche Grundgehalt von 120 Mark einstreichen können. Als Legionär wäre allerdings wohl seine Karriere im Nationaltrikot beendet gewesen, denn der Deutsche Fußball Bund pflegte seinerzeit nicht einmal den auf der britischen Insel tätigen Ausnahmetorwart Bert Trautmann für seine Ländermannschaft zu nominieren. Auch diversen französischen Topclubs oder Inter Mailand gab Walter einen Korb, wobei er zur Erklärung immer das gleiche Motto ins Spiel brachte: „Dehäm is dehäm."
Werbe-Galionsfigur für Adidas
Letztlich brachte es Fritz Walter aber auch zu Hause in der Pfalz am Ende seiner aktiven Laufbahn zu einem gewissen Wohlstand. Zunächst betrieb er einen Waschsalon und ein Kino, um sich anschließend als werbende Galionsfigur für große Unternehmen wie den Sportbekleidungsgiganten Adidas im Fulltime-Job zu betätigen. Gemeinsam mit seiner aus Venetien stammenden Ehefrau Italia, die er 1948 kennengelernt hatte, als sie als Dolmetscherin für die französische Militärverwaltung in Kaiserslautern gearbeitet hatte, und mit der er bis zu ihrem Tod 53 glückliche Ehejahre verbrachte, baute Fritz Walter 1965 einen Bungalow in Alsenborn. Als Berater des dortigen Fußballclubs war er auch nicht ganz unbeteiligt daran, dass dem Dorfverein zwischen 1968 und 1970 fast der Aufstieg in die Bundesliga gelungen wäre.
Es war natürlich reiner Zufall, dass die Einweihung des Betzenbergs – des heutigen Fritz-Walter-Stadions – mit dem Geburtsjahr von Friedrich Walter zusammenfiel. Fritz, wie der am 31. Oktober 1920 in Kaiserslautern geborene Steppke von Kindheit an genannt wurde, war das älteste Kind des Vereinswirts des 1. FC Kaiserslautern. Fritz war ein waschechter Straßenfußballer, der aber bereits mit sieben Jahren in die Schülermannschaft des FCK eintrat.
Protektion bewahrte ihn vor der Front
Schon früh wurde er als herausragendes Talent gehandelt und lockte regelmäßig Tausende neugierige Fans auf den Betzenberg, wenn sein Team das Vorspiel für ein Match der Ersten Mannschaft bestritt. Schon damals boten seine Dribbelkünste und Torabschlüsse beste Unterhaltung. Mit 17 Jahren bestritt er sein erstes Spiel in der Herrenmannschaft der „Roten Teufel" und erkämpfte sich ab 1938 einen festen Stammplatz im Team. Insgesamt brachte er es beim FCK auf 379 Meisterschaftsspiele mit 306 Toren. Er wurde mit dem FCK zehnmal Meister der Oberliga Südwest – von 1947 bis 1951 sowie von 1953 bis 1957. Zweimal gelang Kaiserslautern mit Walter bei insgesamt fünf Endspielteilnahmen der Deutsche Meister-Titel, 1951 und 1953. 1953 konnte sich Walter zudem die Torjägerkanone aller Oberligen mit stolzen 38 Treffern sichern.
Die 1:5-Klatsche gegen Hannover 96 im Finale 1954 wurde als schlechtes Vorzeichen für die anstehende WM in der Schweiz gewertet, weil Herberger unbeirrt an dem Kaiserslauterer Fünferblock um Walter festhalten wollte. Noch schlechter wurde die öffentliche Stimmung nach der bewusst einkalkulierten 3:8-Schlappe gegen Ungarn in der WM-Vorrunde, als Herberger außer Fritz Walter fast alle Stammkräfte geschont hatte. Doch spätestens nach dem 6:1-Kantersieg im Halbfinale gegen Österreich und einem überragenden, zwei Tore beisteuernden Fritz Walter begannen die heimischen Fans vom Finalwunder zu träumen.
Probleme mit Herz und Kreislauf
Während des Krieges hatte Walter das Glück, dank vielfältiger Protektion nicht direkt an Fronteinsätzen teilnehmen zu müssen. Bis Ende 1942 wurde er zu Länderspielen eingeladen und gab auch danach immer wieder Gastspiele bei ausländischen Vereinen oder deutschen Militärmannschaften. Im Sommer 1945 war er in Rumänien in sowjetische Gefangenschaft geraten. Den gefürchteten Abtransport in Richtung sibirischem Gulag konnte er nur dadurch verhindern, indem er das Lagerpersonal und den zuständigen Kommandanten mit seinen fußballerischen Kunststücken begeistert hatte. Bereits im Oktober 1945 durfte er schließlich nach Kaiserslautern zurückkehren.
In seinen späten Lebensjahren konnte Walter, der für seine Verdienste so ziemlich alle nur erdenklichen nationalen wie internationalen Auszeichnungen erhalten hatte – vom ersten Ehrenspielführer der Nationalmannschaft bis zur Ernennung zum Ehrenbürger des Bundeslandes Rheinland-Pfalz –, kaum mehr die Spiele seines FCK live im Stadion oder am Fernsehgerät verfolgen, weil ihn die damit verbundene Aufregung zu sehr belastet hatte. Er litt an Herzproblemen, auch der Kreislauf bereitete ihm Sorgen. Wegen einer Hüftoperation musste er ständig eine Gehhilfe benutzen. Am 17. Juni 2002 war Fritz Walter gegen 15.15 Uhr im Alter von 81 Jahren friedlich in seinem Haus in Alsenborn eingeschlafen.