Bald könnte das Wohl der Tiere per Gesetz ausgewiesen werden. Um dem kommenden Tierhaltungslabel gerecht zu werden, brauchen Höfe aber finanzielle Hilfe beim Umbau: Der Bauernverband mahnt hierbei Tempo an. Auch die Getreide-Krise setzt die Branche unter Druck.
Die Welt beginnt unter Getreideknappheit zu leiden, Lebensmittelpreise steigen, Deutschland debattiert über gute Tierhaltung: Die Landwirtschaft steht derzeit unter Druck. Laut Koalitionsvertrag will Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) das zuvor auf freiwilliger Basis eingeführte Tierhaltungslabel nun verbindlich einführen, zunächst in der Schweinehaltung, später auf alle Tiere ausgeweitet. Özdemirs Konzept sieht ein fünfstufiges Modell vor. Daran soll abzulesen sein, wieviel Platz den Tieren während der Mast zur Verfügung stand und wie komfortabel ihre Ställe waren. Bei der Haltungsform „Stall" werden die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt. Bei „Stall + Platz" bekommen die Tiere 20 Prozent mehr Raum, „Frischluftställe" sind mindestens auf einer Seite offen und bei „Auslauf/Freiland" dürfen die Tiere mindestens acht Stunden pro Tag ins Freie. Die Haltungsform „Bio" bedeutet größere Auslaufflächen und noch mehr Platz im Stall. Die Labels sollen ab 2023 vergeben werden. Tierschützern gehen die Labels nicht weit genug, sie fordern eine Miteinbeziehung etwa von Tiergesundheit, Transport und Schlachtungsbedingungen.
Unklar bleibt, wie der Agrarsektor den oft teuren Umbau hin zu besseren Bedingungen finanziell stemmen soll. Darüber debattiert die Koalition in Berlin. Auf dem Deutschen Bauerntag, der kürzlich in Lübeck stattfand, forderte Özdemir, dass es rasche Klarheit geben müsse. „Wenn es dem Tier besser gehen soll, dann muss der Bauer das auch in seinem Geldbeutel merken. Diese Kosten (der Haltungsumstellung, Anm. d. Red.), die kann man nicht von heute auf morgen am Markt erlösen." Daher werde zwingend ein wirksames Finanzierungskonzept gebraucht, für das er sich gerade auch im Kabinett einsetze. „Jeder Tag, wo nichts passiert, verlängert das Höfesterben."
SPD, Grüne und FDP ringen seit Wochen um eine Finanzierung. Im Gespräch sind nach Empfehlungen einer Expertenkommission ein höherer Mehrwertsteuersatz oder eine „Tierwohlabgabe" auf tierische Produkte. Denkbar wäre etwa ein Aufschlag von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch. Die FDP hatte zuletzt deutlich gemacht, dass sie Preisaufschläge für die Verbraucher angesichts der hohen Inflation ablehnt.
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, sieht in Özdemirs vorgelegtem Konzept einen ersten wichtigen Schritt, aber auch noch erhebliche Lücken: „Ausdrücklich begrüßen wir die zusätzliche Kennzeichnungsstufe für einen ‚strukturierten Stall‘, mit der höhere Standards für die Stallhaltung in die Fläche gebracht werden können. Trotzdem müssen die Lücken zügig und verbindlich geschlossen werden." Mit flächendeckender Kennzeichnung dürfe man nicht lange warten, schließlich sei davon auch das Baurecht betroffen. Ein Risiko für das Gelingen der Kennzeichnung sieht Rukwied vor allem in der Begrenzung auf frisches Schweinefleisch. „Wenn für verarbeitete Fleischprodukte, für andere Absatzkanäle als den Lebensmitteleinzelhandel oder für Rind und Geflügel kein verbindlicher Zeitplan vorgegeben ist, dann wird es keinerlei Lenkungswirkung geben und das Konzept droht im Markt unterlaufen zu werden", so der Bauernpräsident gegenüber der Presse. Darüber hinaus sei ausgerechnet der am stärksten von der Schweinepreiskrise betroffene Bereich der Ferkelerzeugung nicht mit einbezogen. „Betäubungslos kastrierte Ferkel aus anderen EU-Mitgliedstaaten mit höheren Haltungsstufen auszuzeichnen, geht gar nicht!", so Rukwied.
Konkurrenz von Getreide, Futter und Tierhaltung
Nach Angaben des Handelsverbandes sei die Kennzeichnung zu begrüßen. Handelsunternehmen und der Verband hätten nach eigenen Angaben dazu in den vergangenen Wochen und Monaten Gespräche mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium geführt. Die Nutztierhaltung in Deutschland müsse „umweltgerecht, tierwohlgerecht und wirtschaftlich tragfähig" weiterentwickelt werden, die Haltungsform-Kennzeichnung sei ein erster wichtiger Schritt. Mit Blick in die Zukunft gelte es nun „alle Absatzkanäle in Deutschland einzubeziehen und perspektivisch auch digitale Lösungen anzubieten". Schon jetzt setzen nach Angaben des IT-Branchenverbandes Bitkom 22 Prozent der deutschen Landwirte Sensordaten ein, um die Tiergesundheit zu überwachen – ein Faktor auch für moderne Marketingzwecke und die künftige Preisgestaltung im Supermarkt.
Aufgrund des Krieges in der Ukraine und der dadurch ausfallenden Getreideexporte aber sehen sich auch deutsche Landwirte mit einer Konkurrenzsituaton zwischen Tierhaltung, Futtermittelherstellung und Getreideproduktion konfrontiert. Bauernverbands-Präsident Rukwied forderte eine vorübergehende Nutzung zusätzlicher Flächen, womit 1,4 Millionen Tonnen Weizen mehr erzeugt werden könnten – bei einer deutschen Erntemenge von insgesamt mehr als 40 Millionen Tonnen Getreide. Jede zusätzliche Tonne schwäche den Aggressor Russland, argumentierte der Bauernpräsident.
Özdemir hat unter anderem schon ermöglicht, dass ausnahmsweise Gras und Pflanzen von „ökologischen Vorrangflächen" als Futter genutzt werden dürfen. Diese Flächen dürfen Betriebe von 15 Hektar Größe und mehr laut EU-Verordnung im Normalfall nicht für den Futtermittelanbau verwenden, sie sollen naturbelassen bleiben. Weitergehende Forderungen wies Özdemir jedoch zurück. Er wolle diese „wertvollen Flächen" erhalten und lehne daher eine „Hochertragslandwirtschaft" mit Düngern auf diesen Standorten ab. „Nur, wenn wir schützen, was wir nutzen müssen, können wir unsere Ernährung dauerhaft und unabhängig sichern." Wegen ausfallender Exporte aus der Ukraine wird in einigen Staaten, etwa in Afrika und Asien, mit einer knappen Versorgung gerechnet. Geringere Mengen haben die Preise auf den internationalen Märkten hochgetrieben. Pro Tonne ist der Weizen heute an der Börse 94 Prozent teurer als noch vor einem Jahr.