Die Sommerwelle hat sich festgesetzt, die Gesundheitsminister bereiten sich auf den dritten Corona-Herbst vor. Neben bekannten Schutzmaßnahmen ist der Schlüssel gegen die Pandemie weiter impfen.
Es wird langsam wieder ernst in Sachen Pandemie. Die für viele einigermaßen überraschende Sommerwelle hinterlässt unübersehbare Spuren. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist im Juni wieder deutlich in die Höhe geschnellt: Aktuell steht sie Ende Juni bei 635,8 – knapp 200 Fälle auf 100.000 Personen mehr als noch vor einer Woche. Das hat aber dem ersten Anschein nach zunächst nicht für sonderliche Beunruhigung gesorgt. Es blieb bei zumeist eher leichteren Verläufen. Die Hospitalisierung, also der Anteil der Corona-Infizierten, die in stationäre Behandlung mussten, blieb bundesweit überschaubar bei unter vier Prozent pro hunderttausend Einwohner. Dass die Zahl der Infizierten allerdings deutlich höher liegt, als die Inzidenzzahlen ausweisen, ist keine reine Spekulation. Nicht selten konnte man in den letzten Tagen vor verschlossenen Türen von insbesondere kleineren Geschäften und Restaurants stehen. Grund: Personalausfall. Viele waren nach positivem Schnelltest, wie es sich gehört, mit leichten oder sogar gar keinen Symptomen zu Hause geblieben, um sich nach ein paar Tagen freizutesten. In vielen Fällen wurde auf einen PCR-Test verzichtet – und nur deren Ergebnisse fließen in die Statistiken ein.
Zum Start in die Urlaubszeit sorgten lange Schlangen und teilweise Chaos wegen Flugausfällen insbesondere an Flughäfen in Nordrhein-Westfalen für Schlagzeilen. Gründe waren unter anderen coronabedingte Ausfälle beim Flugpersonal und an den Schaltern. Flüge mussten annulliert werden. Weil sich aber gleichzeitig keine Überlastung des Gesundheitssystems andeutete, gab es keine weitergehenden Vorsorge- oder Schutzmaßnahmen – außer Appellen, freiwillig Abstand zu halten und Maske zu tragen, Klassiker, um Ansteckungsrisiken zu minimieren. Experten sehen im weitgehenden Wegfall von verpflichtenden Schutzmaßnahmen einen Hauptgrund für die Ausbreitung der Sommerwelle.
Der Wegfall von Schutzmaßnahmen ist Pandemietreiber
Während die aber für wenig Aufregung sorgt, sind die Gesundheitsminister besorgt um den Herbst, allen voran Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Der hatte für die gemeinsame Konferenz mit den Ländern eine „Herbststrategie" vorgelegt, bei der vor allem die Frage der bis Ende Juni kostenlosen Bürgertests für Streit sorgte. Die Tests waren von Anfang an ein Politikum, und seit dem Wegfall von Testpflichten war immer wieder intensiv über deren Sinn und Effizienz diskutiert worden. Zu Recht angesichts der Summen, die der Bund bislang bereits dafür ausgegeben hat: 1,8 Milliarden Euro sollen es für die kostenfreien Bürgertests bislang gewesen sein, insgesamt hat die Teststrategie bisher um die 2,9 Milliarden Euro gekostet.
Bei der geradezu massenhaften Anzahl großer und kleiner Testzentren und -stellen ist sicherlich nicht immer alles streng effektiv und korrekt zugegangenen, auch wenn das für die ganz überwältigende Zahl gilt. Aber dass es Fälle gab, in denen Tests abgerechnet wurden, die nie durchgeführt wurden, ist eine bestätigte Tatsache. Und wie viele Tests korrekt durchgeführt und abgerechnet wurden, aber vielleicht nicht wirklich nötig waren, lässt sich allenfalls schätzen.
Es gab dennoch gute Gründe, mit kostenlosen Angeboten die Test-Quote möglichst hoch zu halten. Nach Lauterbach soll das bald vorbei sein: Drei Euro soll ein Test dann kosten.
Möglicherweise entscheidender für den Herbst ist, die seit langem bestehende Impflücke zu schließen. An dieser Stelle hat sich nämlich nach dem Abflauen der Omikron-Welle wenig getan.
Darauf zielt der erste Punkt des Sieben-Punkte-Herbstplans von Minister Lauterbach. Zum Herbst soll es eine intensive Kampagne geben, die für das Impfen wirbt, vor allem auch für eine vierte Impfung (bzw. zweite Booster-Impfung) bei älteren und vulnerablen Gruppen. Nach dem Scheitern einer gesetzlichen Impfpflicht stößt ein möglicher neuer Vorstoß durch die Bank auf Ablehnung in der Berliner Politik. Auch sonst hat sich die Begeisterung für eine Impfpflicht, soweit sie bei vierstelligen Inzidenzzahlen vorhanden war, abgekühlt. Unabhängig davon werden Experten nicht müde, für Impfungen zu werben.
Nachdem es während der Omikron-Welle viele Infizierte gab, gehen viele Menschen davon aus, nach überstandener Infektion immunisiert zu sein, auch ohne Impfung. Das ist zwar grundsätzlich richtig. Es zeigen sich aber Probleme. Zum einen scheint die Immunisierung nach einer Infektion nicht so lange vorzuhalten wie die durch eine Impfung. Zum anderen ist es so, dass es nach einer Infektion zwar eine Immunisierung gegen diejenige Variante des Virus gibt, die die Infektion ausgelöst hat, nicht aber gegen andere Varianten. Gerade wenn mehrere (Sub-)Varianten unterwegs sind, wie derzeit die B.A.-Varianten, ist also eine erneute Infektion nicht unwahrscheinlich.
Menschen mit Vorerkrankungen besonders gefährdet
Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk, formulierte in einem Interview mit „Fokus" einen griffigen Vergleich: „Nicht geimpft in eine grassierende Welle gehen ist wie ein Elfmeter ohne Torwart."
Wobei der Vergleich eigentlich etwas differenziert werden müsste: Wer geimpft ist, verfügt über Antikörper, die dann wie eine Mauer beim Freistoß agieren. Und weiter hinten sorgen T-Zellen wie ein Torwart für Schutz, falls das Virus durch die Mauer kommt. Nun hinken Vergleiche immer ein bisschen. Es wird aber anschaulich, dass auch Geimpfte zwar trotz Abwehrmauer infiziert werden können, aber mit geringerem Risiko als ohne Mauer. Und für den Notfall steht der Torwart in Form von T-Zellen da. Das verhindert in der Regel schwerere Verläufe.
Für bislang weiterhin Zögerliche, die sich auch durch einen solchen Vergleich noch nicht überzeugen lassen, hat Christine Falk noch die sehr ernste Warnung vor Long-Covid und den dringenden Appell: „Eine Infektion sollte auf jeden Fall vermieden werden."
Dem stimmen im Grunde alle Kolleginnen und Kollegen zu und warnen deshalb vor Fehlschlüssen. Dass eine Infektion bei Geimpften auch zu einer Auffrischung der Immunität führen kann, gilt zwar als wahrscheinlich. „Man sollte das aber nicht absichtlich herbeiführen", warnt auch der Immunologe Carsten Watzl. „Wenn es dann passiert, wird die Erkrankung wahrscheinlich einen leichten Verlauf nehmen", aber es bleibe am Ende das Risiko. Deshalb sollte vor allem bei Menschen mit schwächerer Immunität eine Auffrischung durch Impfung erfolgen. Im Herbst stünden dann auch –
wie bereits mehrfach berichtet – angepasste Impfstoffe zur Verfügung, betont Watzl, und ergänzt: „Man kann die Angst vor dem Virus verlieren, den Respekt aber bitte nicht".