Powerwolf zählt zu den weltweit erfolgreichsten Schwermetallbands. Markenzeichen der Saarländer: sakraler Sound, psalmenhafte Texte, Kirchenorgel und Chöre. Nun erscheint das Film-Epos „The Monument Mass". Christian Jost alias „Falk Maria Schlegel" erzählt.
Herr Jost, am 8. Juli – sozusagen genau zum Erscheinungstermin von FORUM 28 – erscheint Ihr Streaming-Konzertfilm „The Monument Mass – A Cinematic Event" in verschiedenen physischen Formaten. In monatelanger Detailarbeit haben Sie eine Geschichte ausgearbeitet, die in Musik und Filmszenen erzählt wird. Muss man dem geneigten Fan heute einen Mehrwert bieten?
Unser Ansatz ist nicht höher, weiter, mehr – wir wollen immer alles gleichzeitig. Schon weit vor der Pandemie wollten wir einen Konzertfilm machen, der alle Powerwolf-Elemente vereint: die Feuerorgel, Attilas Kampf gegen den Kardinal, brennende Engel. Der erste Gedanke war ein Livestream-Konzert, und dann kamen wir schnell zu dem Schluss, dass es ein Konzertfilm werden sollte. Das Ergebnis ist entsprechend opulent geworden. Wir haben die Geschichte in vier Kapitel eingeteilt, um den Zuschauer mit auf diese Reise zu nehmen.
Ist solch ein Projekt teurer als eine herkömmliche Live-Produktion?
Damit liegen Sie richtig, weil an diesem Projekt über 100 Leute mitgearbeitet haben. Die Kosten sind viel höher gewesen als zum Beispiel bei einer Live-Produktion. In der Aufnahmehalle hatten wir eine 40 Meter breite und acht Meter hohe, halbrunde LED-Wand aufgebaut. Dazu braucht man Genehmigungen. Glücklicherweise haben wir mit Jörg Michael einen Produzenten gefunden, der genauso wahnsinnig ist wie wir, sodass wir uns gemeinsam auf diese Reise begeben haben. Jeder Song ist anders, was das Bühnenbild, das Set-up und die Szenen betrifft.
Haben Sie mit Profis aus der Filmwelt zusammengearbeitet wie Ausstattern, Set-Designern und Schauspielern?
Wir haben das Glück, dass in unseren eigenen Reihen mit Matthew Greywolf ein absolutes Genie waltet. Er hat nicht nur das Konzept geschrieben, sondern auch alle Hintergründe programmiert. Er hat auch die Set-Bilder und Dekoelemente selbst gestaltet. Die haben wir uns dann von Profis bauen und umsetzen lassen. Es war opulent in allen Bereichen. Bei „Demons Are A Girl’s Best Friend" war zum Beispiel ein Choreograf am Start. Die Tänzerinnen mussten vom oberen Steg der Bühne über ein Gitterrost nach vorne zu Attila gehen. Das musste zu 100 Prozent sitzen. Es wurde in allen Belangen so sorgfältig gearbeitet.
Wäre das Projekt ohne die Pandemie so groß geworden?
Sie hat dafür gesorgt, dass wir den Fokus noch mehr auf diesen Film gelegt haben. Wir sehen uns in der Tradition des Theaters. Ich habe zum Beispiel eine Szene mit einer Art Powerwolf-Standarte, die ich auf den Boden ramme. Auch ohne die Pandemie hätten wir die gleiche Sorgfalt walten lassen, weil unser Credo lautet: Wir geben alles.
Kann man sich anhand der Filmbilder eine Vorstellung vom Bühnendesign der kommenden Tour machen?
Es wird mit Sicherheit Elemente aus „Monumental Mass" bei unserer Live-Performance geben. Es sind im Film auch Teile aus dem Live-Set-up enthalten. Dieses Crossover ist uns wichtig. Im Film ist zum Beispiel eine Feuerorgel zu sehen. Die gibt es auch noch, die habe ich nicht niedergebrannt. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich sie wieder zum Einsatz bringe. Das Ding wollte ich seit fünf Jahren haben, und ich werde es nicht so schnell wieder einmotten.
Für Ihre Auftritte verwandeln Sie sich in düstere Wolfsgestalten. Der Wolf gilt als Metapher des Bösen, hat aber in Wahrheit ein hochentwickeltes Sozialverhalten. Sind Sie selbst soziale Wesen?
Wir bezeichnen uns selbst als das Rudel. Bis heute gilt der Wolf als das Böse, aber genau betrachtet ist er ein Tier, das sehr zurückgezogen im Rudel lebt. Ich bin froh, dass er sich wieder in Deutschland angesiedelt hat. Der Wolf hat alles andere im Sinn, als jemandem an den Kragen zu wollen. Uns ist es wichtig, dass bei Powerwolf seit 2004 fünf Freunde zusammen Musik machen. Wir hatten einen einzigen Besetzungswechsel. Bei uns gibt es nicht diese klassische Wolfsrangordnung, aber natürlich ist Attila Dorn auf der Bühne der Zeremonienmeister. Es gibt auch keine Solo- oder Sideprojekte neben Powerwolf. Wir lieben es, unser gemeinsames Ding zu machen.
Einer Ihrer Songs ist der „Bestie des Gévaudan" gewidmet. Das ist die Bezeichnung für ein Raubtier, dessen Angriffe in den Jahren 1764 bis 1767 im Gévaudan in Südfrankreich rund 100 Kinder, Jugendliche und Frauen zum Opfer fielen. Was fasziniert Sie an dieser wahren Begebenheit?
Es gibt für diese Begebenheit wissenschaftliche Erklärungen, und es gibt mystische Erklärungen. Das Schöne daran ist: Man kann an etwas glauben, aber man weiß nicht, ob es wirklich so gewesen ist. Zur „Bestie des Gévaudan" gibt es in Südfrankreich sogar einen eigenen Park. Ein Wesen, halb Mensch, halb Tier, soll damals Kinder und Mütter angefallen haben, aber man hat die Bestie nie gefunden. Sie wurde angeschossen, doch die damaligen Kanonen waren sehr schwachbrüstig, also hat man sie nicht erlegt. So kam dieser Mythos zustande. Ich finde es faszinierend, sie rüberzuretten und weiterleben zu lassen. Vermutlich gibt es für alles eine Erklärung, aber der Mensch möchte auch an Dinge glauben, die im Verborgenen liegen. Das versuchen wir uns zu erhalten. Im Zuge unseres letzten Albums „Call Of The Wild" haben wir viele Sagen in Europa entdeckt, die sich mit Wölfen beschäftigen. Spannend, dass der Wolf ein so zentrales Thema ist. Er musste manchmal herhalten für das Böse, weil man nicht immer Teufel oder Satan sagen wollte, und damit spielen wir. Viele Fans kommen auf uns zu und erzählen uns, welche Mythen es in ihren Regionen gibt. Das ist für uns ein gefundenes Fressen.
Hat der Wolf für Sie auch sympathische Züge?
Die Kirche, die auch ein Thema von uns ist, unterteilt ja immer in Gut und Böse. Wir möchten weg von dieser einen Wahrheit. Bei allen Sagen, die wir da haben, gibt es auch die andere Seite. Das sieht man ganz deutlich an unseren Live-Shows. Da wird viel gelacht, die Leute feiern sich selbst und die Band. Lachen zu können trägt zu einem wunderbaren, unterhaltsamen Abend bei. Im Idealfall unterhält die Band das Publikum, aber noch besser ist es, wenn das Publikum auch die Band unterhält. Dann hat man eine Symbiose geschaffen, die in den Wolfslegenden agiert und lebt. Gleichzeitig hat man einen wunderbaren Abend mit Heavy-Metal-Musik.
In Ihrem Film wird bei „Cardinal Sin" ein Kardinal zurück ins Feuer geschoben. Ist das eine sinnbildliche Bestrafung der Kirche für Verbrechen wie Inquisition, Hexenverfolgung, Kreuzzüge, Kindesmissbrauch?
Einer muss es ja tun! Eigentlich ist Powerwolf keine Band, die den Finger zu sehr in gesellschaftliche Wunden legt. Aber bei „Cardinal Sin" und „Glaubenskraft" haben wir es in der Tat getan. Einmal, weil die Opfer zweimal bestraft wurden: beim Missbrauch selbst und bei dessen Aufarbeitung. Es ist nach wie vor ungeheuerlich, dass Kirchenrecht über staatlichem Recht steht. Dass da nicht ermittelt werden darf. Den Kardinal sieht man in unserem Film auch, wie er sich von Damen umranken und den Ring küssen lässt. Nach dem Motto: Wir predigen Wasser und trinken Wein. Deshalb verteilen wir eine metaphorische Backpfeife. Sie ist nur angedeutet, weil wir niemals gewalttätige Szenen filmen würden.
Powerwolf hatte für dieses Jahr auch Konzerte in Russland und der Ukraine geplant. Sehen Sie noch eine Chance, diese Shows zu
spielen?
Aktuell sehe ich das nicht. Sehr bitter für unsere Fans in der Ukraine, in Russland und in Belarus, wo wir 6.000er-Hallen füllen. Wir wurden dort von Anfang an warmherzig empfangen. Es tut mir persönlich leid, dass ich in diesen Ländern aus gegebenem Anlass nicht unsere Kunst darbieten kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dort so schnell wieder Konzerte spielen können. Ich hoffe aber, dass es in der Ukraine bald Frieden gibt und die Menschen wieder Dingen nachgehen können, die Freude bereiten.
Powerwolf ist eine international erfolgreiche Band. Werden Sie bald wieder um die Welt touren können?
Ich bin überzeugt, es wird nichts mehr so sein wie vorher. Kontrollen und Bestimmungen gehören jetzt dazu. Ich glaube aber, es wird wieder Konzerte ohne Zurückhaltung geben. Also Feuer frei! Die Menschen wollen die Kultur wieder erleben. Wir brauchen sie dringend, um in anderen Situationen besser leben zu können.
Wo leben eigentlich die wildesten und verrücktesten Metal-Fans?
Unser Album heißt „Call of the Wild", weil wir uns als wilde Band sehen. Auch unsere weltweiten Fans sehen wir als extrem wild an. Sie sind unfassbar laut, wenn wir zum Beispiel in Frankreich spielen. In Spanien wird traditionell das Gitarrenriff mitgesungen. Auch die russischen Fans sind extrem laut. Sie alle vereint, dass die Außenwelt abgeschaltet wird ab dem Zeitpunkt, an dem wir die Bühne betreten. Wir sind extrem dankbar, dass uns dies widerfährt.
Woher rührt Ihre Faszination für dunkle Themen?
Ich habe die katholische Kirche immer als sehr düster erlebt. In meinem Dorf saßen auf der rechten Seite die Jungs und links die Mädels. Der Pastor guckte böse, wenn man mal gelacht hat. Erst nach der Beichte war man wieder sündenfrei. Kirche war sehr angstbesetzt.
In dem Zusammenhang habe ich auch das Spiel auf der Kirchenorgel erlernt, weil ich sie so unheimlich fand. Sie passt deshalb sehr gut zu Heavy Metal. Mit der Zeit habe ich bemerkt, dass Glaube und Musik auch Spaß machen können. Wenn man das ein bisschen umdreht, kann man an Kirche mehr Freude entwickeln als ich als Kind. Das hat mich fasziniert. Wir haben dann angefangen, uns ins Thema einzulesen und dabei verschiedene Sachen erfahren, die in der Bibel stehen.
Das Klischee besagt, Heavy Metal stehe mit dem Christentum auf Kriegsfuß. Fühlen Sie sich von der Kirche angezogen oder eher abgestoßen?
Heavy Metal liebt Klischees, und das ist auch gut so. Zum Glauben an sich habe ich ein gutes Verhältnis, aber gegenüber der Institution Kirche bin ich zwiegespalten. Bei ihr ist nicht alles schlecht, sie tut ja auch viel Gutes. Aber es gibt auch die Schattenseiten der Kirche, die immer noch an den alten Strukturen und dem Patriarchat festhält. Das könnte ruhig mal aufgebrochen werden. Ich wage aber zu bezweifeln, dass wir großen Einfluss auf den Vatikan haben werden. Sollten wir dort dennoch einmal spielen, dann wird kein Stein mehr auf dem anderen stehen! Wenn wir das schaffen sollten, hätten wir gesellschaftlich einiges erreicht.
Auf dem berühmten Wacken Festival gibt es die „Metal Church", einen eigens für die Festivalbesucher gestalteten Gottesdienst in der Dorfkirche. Das Angebot der lutherischen Gemeinde soll sich großer Beliebtheit erfreuen.
Wacken ist sowieso ab Ortseingangsschild heiliges Land. Das Metal-Mekka für alle Pilger in der Welt. Mir ist nicht bekannt, dass es dort jemals zu größeren Gewaltausbrüchen gekommen ist, im Gegenteil. Es gibt andere Bereiche im gesellschaftlichen Leben, wo am Wochenende mehr los ist hinsichtlich Polizei und Aggressionen. Heavy Metal steht auch für den Frieden in der Welt.
Das Image des Genres hat sich in den letzten 20 Jahren sehr gewandelt.
Es ist aber nicht immer ein Ponyhof, denn es geht im Heavy Metal schon zur Sache. Man will nicht komplett im Mainstream sein, sondern auch anecken. Das macht Heavy Metal aus. Das Artwork eines Albums ist eher blutrünstig und zeigt nicht unbedingt jemand beim Gärtnern.
Lohnt es sich in Zeiten des Streamings noch, für teures Geld Alben zu produzieren?
Zuerst wurde Vinyl und dann die CD totgesagt. Jetzt aber sind Vinyl und die Kassette wieder da. Wir machen bei „Monumental Mass" eine Edition mit einem 94-seitigen Booklet. Gerade in unserem Genre haben die Leute gern etwas in den Händen. Würde man einfach nur einen Pappschuber um den Silberling herumlegen, würde das Format sich irgendwann totlaufen.
Solange man es mit viel Liebe gestaltet, werden das Haptische und das Digitale nebeneinander existieren. Wir leben aber nicht mehr in den 1980er-Jahren, in denen Bands Millionen von physischen Platten verkauft haben, wovon sie heute noch leben.