Auf dem Portal www.longcovid-info.de werden die Bundesbürger seit Juni über Spätfolgen einer Corona-Erkrankung aufgeklärt. Eine chinesische Studie hat derweil ermittelt, dass 55 Prozent der Anfang 2020 Infizierten an Long-Covid-Symptomen leiden.
Anfang Juni 2022 hatten die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das ihr übergeordnete Bundesministerium für Gesundheit in einer gemeinsamen Pressemitteilung die Fertigstellung eines neuen Portals www.longcovid-info.de verkündet. Damit wollen sie die Bundesbürger über etwaige Spätfolgen einer Corona-Erkrankung informieren. „Patientinnen und Patienten brauchen wissenschaftlich fundierte Auskünfte", so Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach. „Gerade bei neuen Krankheitsbildern ist die Verunsicherung und der Informationsbedarf enorm. Ich bin daher sehr froh, dass es uns in kürzester Zeit gelungen ist, das Long-Covid-Portal aufzubauen. Die Pandemie ist noch nicht vorüber, und die Zahl der Long-Covid-Betroffenen steigt." Long Covid könne den Lebensalltag der Betroffenen stark beeinflussen, wobei schwere Erschöpfung, Konzentrationsprobleme oder Kurzatmigkeit zu den häufigsten Beschwerden zählen.
In Deutschland fehlen klinische Studien
Die meisten Inhalte auf dem Portal sind leider recht vage gehalten. Was eigentlich nicht weiter verwundern kann, weil in Deutschland die Zahl der abgeschlossenen klinischen Corona-Studien im internationalen Vergleich bislang mehr als bescheiden ist. Erkenntnisse auch in Sachen Long Covid müssen sich daher oft auf ausländische Untersuchungen mit unterschiedlich bewerteter Aussagekraft stützen. Bei der für den kommenden Herbst/Winter befürchteten neuen großen Corona-Welle, für die die Bundesrepublik nach Meinung vieler hiesiger Experten bislang noch völlig schlecht aufgestellt und vorbereitet ist, könnte sich das Problem der gesundheitlichen Spätfolgen einer Erkrankung weiter verschärfen. Denn trotz der vom Bund vorgesehenen 50 Millionen Impfungen mit einem möglichst optimal auf die neuen Varianten angepassten Vakzin werden sich sicherlich wieder viele Bundesbürger infizieren. Dazu dürfte auch die im westeuropäischen Vergleich noch ziemlich große Impflücke, vor allem bei den über 60-Jährigen, beitragen.
Long Covid ist, laut dem neuen Portal, der Oberbegriff für Langzeitfolgen nach einer Ansteckung mit dem Corona-Virus. Je nach Länge des Zeitraums, in dem die Beschwerden fortbestehen, wird zusätzlich zwischen Long Covid und Post Covid unterschieden, bei ersterem sind die Symptome auch nach mehr als vier Wochen nicht abgeklungen, bei Post Covid sind die Spätfolgen sogar noch mehr als drei Monate nach Infektion oder Erkrankung nicht überwunden. Auch bei leichtem Covid-19-Verlauf oder einer Ansteckung ohne Krankheitszeichen ist die Ausbildung von Long Covid möglich. Die Spätfolgen müssen sich nicht direkt bemerkbar machen, sondern können auch Wochen oder Monate nach einer Erkrankung auftreten. Möglich ist auch, dass die Beschwerden zunächst abklingen und später plötzlich wiederkommen. Es können sehr unterschiedliche Krankheitszeichen, einzelne oder mehrere, auftreten, wobei der Beschwerdegrad schwankend ist und sich mit der Zeit auch verändern kann.
Zu den am häufigsten beobachteten Symptomen zählt „Fatigue", worunter ein anhaltendes Gefühl von Schwäche oder Erschöpfung verstanden wird, das sich auch durch viel Ruhe und Schlaf nicht wesentlich verändern lässt und selbst durch allerkleinste Belastungen verstärkt wird. Auch Konzentrations- und Gedächtnisprobleme werden häufig genannt. Fieber, Störungen von Geschmacks- und Geruchssinn, Kurzatmigkeit, Brustschmerzen, Schlafstörungen, depressive Verstimmung und Ängstlichkeit, Husten oder Muskelschwäche sowie Muskelschmerzen können ebenso als typische Long-Covid-Symptome auftreten.

Eine genaue Zahl der von Spätfolgen Betroffenen lässt sich laut dem Info-Portal nicht abschätzen. Es gebe dazu zwar schon verschiedene Studien, doch diese seien wegen diverser Faktoren nicht sonderlich aussagekräftig. Theoretisch können sich bei jedem Infizierten auch Langzeitfolgen einstellen. Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit bei einem schweren Krankheitsverlauf oder einer hohen Viruslast wohl deutlich höher. Zudem habe es den Anschein, dass Frauen deutlich häufiger von Long Covid betroffen sind als Männer. Auch Vorerkrankungen wie Diabetes könnten die Ausbildung von Long Covid begünstigen. Kinder und Jugendliche können ebenfalls von Corona-Langzeitfolgen beeinträchtigt werden. Es habe sich jedoch herauskristallisiert, dass ältere Kinder und Jugendliche – mit Vorerkrankungen oder mit schwerem Krankheitsverlauf – am häufigsten unter Long Covid zu leiden hätten.
Vorbeugende Maßnahmen zum Schutz gegen Long Covid sind laut dem Portal bislang nicht bekannt. Man könne stattdessen lediglich versuchen, das Risiko einer Infektion möglichst weit zu minimieren. Als Ansprechpartner für Betroffene hat das Bundesgesundheitsministerium in einer neuen Publikation von Ende Juni Hausärzte, spezielle Covid-Schwerpunktpraxen, Long-Covid-Ambulanzen an einigen Universitätskliniken sowie ausgewählte Rehakliniken mit Schwerpunkt-Angebot Long Covid oder Post Covid genannt.
„Bedarf an fortlaufender Unterstützung"
Ziemlich verwunderlich, dass auf dem neuen Long-Covid-Portal des Bundesgesundheitsministeriums nicht die zwei Wochen zuvor im renommierten Fachmagazin „The Lancet Respiratory Medicine" veröffentlichte Studie zu Corona-Langzeitfolgen einer Pekinger Universität unter Leitung von Lixue Huang, dem Chef der Abteilung für Lungenheilkunde und Intensivmedizin, berücksichtigt wurde, um endlich mal einige konkrete Fallzahlen von Betroffenen nennen zu können. Schließlich handelt es sich um eine Untersuchung, die die Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung auf Basis von 1.192 Betroffenen über einen Zeitraum von zwei Jahren überprüft. Schon vor einem Jahr hatte das Team um Lixue Huang nach Auswertung der Long-Covid-Schicksale von 1.276 Personen, die sich zu Beginn der Pandemie zwischen Januar und Mai 2020 in einem Hospital in Wuhan, dem Ausbruchsort der Seuche, hatten behandeln lassen, mit einem im Fachmagazin „Lancet" veröffentlichten Untersuchungsergebnis für Aufsehen gesorgt. Diese bis dahin umfassendste Analyse von Corona-Langzeitfolgen hatte ergeben, dass jeder zweite Wuhan-Patient noch ein Jahr nach seiner Entlassung unter mindestens einem Long-Covid-Symptom gelitten hatte, am häufigsten unter Fatigue und Muskelschwäche.
Die neueste Studie vom 11. Mai 2022, wieder auf Basis von Wuhan-Erkrankten im Durchschnittsalter von 57 Jahren und mit einem Frauenanteil von 46 Prozent aus der Frühphase der Pandemie zwischen Januar und Mai 2020 war zu einem annähernd gleichen Ergebnis gekommen. Demnach wiesen auch nach Ablauf von zwei Jahren die ehemaligen Covid-19-Patienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung noch einen schlechteren Gesundheitszustand und eine geringere Lebensqualität auf. Zwar habe sich die körperliche und psychische Verfassung der Probanden im Laufe der Zeit zunehmend verbessert und normalisiert, dennoch litten 55 Prozent der Patienten auch nach zwei Jahren noch mindestens an einem Long-Covid-Symptom. Fatigue, Muskelschwäche und Schlafstörungen waren dabei ganz unabhängig von der Schwere der Corona-Erkrankung die am häufigsten registrierten Folgeerscheinungen. Auch Gelenkschmerzen, Herzklopfen, Schwindel, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Angst und Depression wurden als Dauerleiden benannt.
Die Autoren machten selbst auf einen Schwachpunkt ihrer Studie aufmerksam, weil sie keine Kontrollgruppe von Krankenhauspatienten, die aufgrund eines anderen Leidens als Corona behandelt worden waren, berücksichtigt hatten. Daher könne nicht ausgeschlossen werden, dass gewisse Anomalien nicht allein aus Covid-19, sondern allgemein aus der Hospitalisierung resultiert haben könnten. Auch sei nicht sicher, ob sich die Ergebnisse aus der Frühphase der Pandemie mit dem ursprünglichen Corona-Virus auch auf die neueren Virusvarianten nahtlos übertragen ließen. Dennoch lasse sich aus der Studie ableiten, „dass ein signifikanter Anteil an Covid-19-Patienten Bedarf an fortlaufender Unterstützung hat. Um ihnen besser helfen zu können, müssten spezifische Rehabilitationsprogramme entwickelt und erforscht werden."
Die Ergebnisse der Wuhan-Studie zur Häufigkeit von Long Covid zeigen ein gänzlich anderes Bild, als es etwa das ARD-Wissenschaftsmagazin „Quarks" nach Auswertung diverser internationaler Kohorten-Untersuchungen vor etwa einem Jahr vermittelt hatte: „Letztlich gehen die meisten Experten/Expertinnen – aufgrund solcher Kohortenstudien – von etwa zehn Prozent aus, die nach mehr als drei Monaten noch Beschwerden haben. Etwa die Hälfte ist so stark eingeschränkt, dass der gewohnte Alltag und das normale Arbeitspensum unmöglich sind."