Mit einem Sonderprogramm soll Zivil- und Katastrophenschutz in Deutschland wieder auf Vordermann gebracht werden. Doch um die Versäumnisse aus fast drei Jahrzehnten aufzuholen, braucht es Zeit, sehr viel Geld – und ein Konzept.
Schnellen Schrittes eilt der 63-Jährige Präsident des Technischen Hilfswerk die steilen Treppen zur Bundespressekonferenz empor und lässt dabei Journalisten weit hinter sich. Gerd Friedsam, für Hauptstadtverhältnisse im Sturmschritt, für ihn Alltag. Friedsam ist seit 37 Jahren beim Technischen Hilfswerk. Der Alarmtakt ist ihm durch die vielen Einsätze ganz offenbar in Mark und Knochen übergegangen. Der Präsident neigt nicht zu großen Gesten, das Lächeln in Kameras ist seine Sache nicht. Selbst Bundesinnenministerin Nancy Faeser begrüßt er kurz und knapp, aber betont höflich.
Gerd Friesam ist ein Mann der Tat, des Handelns.
Deutschlands oberster Katastrophenschützer ist dabei, als die Bundesinnenministerin ein Sofortprogramm für Zivil- und Katastrophenschutz verkündet. Und er macht einen eher skeptischen Eindruck. Sein kantiges Gesicht verrät, dass dieser Mann nicht nur viele Einsätze hinter sich, sondern auch von den politisch Handelnden viele Ankündigungen gehört hat und oft erleben musste, dass unterm Strich etliche Zusagen am Ende nicht wirklich erfüllt wurden.
Ankündigungen gab es oft, passiert ist wenig
Seine Einsatzgebiete liegen nicht nur in Deutschland. Er war auch bei Katastropheneinsätzen im Libanon oder Afghanistan dabei. Dazu kommt: Friedsam ist geboren in Oberdürenbach, Gemeinde Ahrtal. Er hat aus nächster Nähe, persönlich oder durch Berichte seiner Angehörigen, das Versagen der Behörden-Kommunikation und damit die Hilfe der Retter mitbekommen. Jetzt soll also alles besser werden. „Der größte Fehler war, dass wir die öffentlichen Sirenen abgebaut haben, das hätte nie passieren dürfen."
Inwieweit die Sirenen auf den Dächern von öffentlichen Gebäuden im Ahrtal hätten Leben retten können ist ungewiss, aber sehr plausibel wahrscheinlich. Friedsam verweist darauf, dass dieses fürchterliche Ereignis in seiner Heimat zum Weckruf wurde und Katstrophenschutz wieder „oben in der Politik" angekommen ist.
Es ist aber nicht nur die Katstrophe im Ahrtal vor einem Jahr, auch der Krieg in der Ukraine wirft Fragen auf und treibt die Politik zum Handeln. Einige Maßnahmen stehen auf der Agenda: Vorgesehen ist ein erster, bundesweiter Warntag-Probelauf am 8. Dezember, allerdings nur Behörden-intern. Dort soll eine neue App ausprobiert werden. Diese soll dann übergreifend auf dem Smartphone, über soziale Netzwerke, per SMS und eben über die öffentlichen Sirenen alarmieren. Warum nun ausgerechnet die Sirenen vor gut zehn Jahren endgültig abgeschaltet und dann auch gleich abgebaut wurden, wird nicht nur für Gerd Friedsam immer unverständlich bleiben. „Man darf ja nicht vergessen, wir hatten in den letzten 25 Jahren immer wieder Großschadensereignisse. Da war 1997 das Hochwasser an der Oder, dann 2002 das Elbehochwasser, weitere folgten. Dazu kamen immer wieder Waldbrände. Es gab da also immer Thematiken, wo wir uns als Katastrophenschützer fragen mussten: Wo können wir uns verbessern? Darum war es für uns Katastrophenschützer umso schlimmer, dass im vergangenen Juli ausgerechnet die gesamte Kommunikation ausgefallen ist", so der THW-Präsident im Gespräch mit FORUM.
Es waren nicht nur die fehlenden Warnsirenen auf den Dächern, beim anlaufenden Einsatz gab es keine funktionierende Alarmkette mehr. Das soll nun anders werden, allerdings wird das neue System vermutlich erst im kommenden Frühjahr einsatzbereit sein.
Gerd Friedsam legt Wert auf die Feststellung, dass die Neuausrichtung des THW bereits durch die Anforderungen durch den Flüchtlingsansturm 2015 begonnen hat. „Ausdrücklich bedanke ich mich bei den Bundesinnenministern und jetzt Ministerin Faeser und vielen Parlamentariern. Die finanzielle, aber auch materielle Ausstattung beim THW hat sich seitdem erheblich verbessert."
Krisenhäufung führt nun zum Umdenken
Nun ist die Logistik dran, und dadurch erfährt auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eine politische Aufwertung. „Pandemie, dann die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal und nun der Ukrainekrieg haben in kürzester Zeit zu einem erheblichen Umdenken vor allem auch im Zivilschutz geführt. Das war ja nach dem Ende des Kalten Krieges zumindest in der Öffentlichkeit kein Thema mehr", so Ralph Tiesler gegenüber FORUM. Er leitet seit März das Bundesamt. Die neuen Aufgaben sind sehr vielfältig, da geht es um die Einrichtung von Logistikzentren für die Nationale Reserve Gesundheitsschutz. Dort soll unter anderem auch Schutzbekleidung, wie Handschuhe, Masken und Vollbekleidung für den Pandemie- oder ABC-Kriegsfall, bevorratet werden. Eine herausragende Aufgabe ist aber die bessere Koordinierung von Bund und Ländern. „Pandemie und Hochwasser haben gezeigt, dass die Zusammenarbeit noch verbessert werden muss. Allerdings soll der Katastrophenschutz weiter Landes- beziehungsweise kommunale Angelegenheit bleiben. Die Kräfte vor Ort kennen sich besser aus, da wäre es kontraproduktiv, dass vom Bund die Anweisungen kommen", so der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Doch seit dem Krieg in der Ukraine hat sich die Gesamtbedrohungslage völlig verändert. „Vielleicht waren wir zu blauäugig, als wir in den 90er-Jahren geglaubt haben, ein derartiges Szenario wird es in Europa nicht mehr geben. Was ja nicht nur zur Aufgabe der öffentlichen Sirenen, sondern auch der Schutzräume geführt hat", so Tiesler. Bund und Länder haben sich nun verständigt, das Sirenen-Netz wiederaufzubauen. Doch wie es mit den stillgelegten und zum großen Teil schon umgewidmeten Schutzräumen weitergeht, ist unklar. BBK-Chef Ralph Tiesler hat so seine Zweifel, dass es zu einer flächendeckenden Bestückung mit Schutzräumen kommen wird. „Wir haben den Rückbau der noch vorhandenen wenigen Schutzräume gestoppt und prüfen jetzt zusammen mit der Universität der Bundeswehr, ob es möglich – und vor allem im Sinne des Zivilschutzes ist, diese zu reaktivieren. Das ist aber selbstverständlich auch eine Kostenfrage". Damit steht Deutschland wieder vor einer Frage, die schon in den Hochzeiten des Kalten Krieges Mitte der 60er-Jahre die Gemüter erhitzte.
Der Verein Berliner Unterwelten betreut in der Bundeshauptstadt drei ehemalige Schutzraumanlagen aus den 60er- und 70er-Jahren und macht regelmäßig Führungen. Unterwelten-Chef und ausgewiesener Bunker-Experte Dietmar Arnold hat erhebliche Zweifel, dass eine Neuauflage des Schutzraumkonzepts für die Masse der Menschen viel bringt. „Während des Kalten Krieges hätten nur die allerwenigsten sowohl in der Bundesrepublik, als auch in der ehemaligen DDR im Ernstfall einen Platz in so einem Schutzraum bekommen", so Dietmar Arnold. Allein die immensen Kosten für neue Schutzräume, im Gespräch ist eine dreistellige Milliardensumme, werden dieses Zivilschutz-Projekt wohl eher unmöglich machen.