Tiefe Abgründe, krasse Aufstiege, wilden Tieren auf die Pelle rücken: Für Erlebnisse, die unter die Haut gehen, riskieren Touristen immer wieder ihr Leben. Sieben Hotspots mit Thrill-Faktor – und manchmal mehr.
Von wegen Stresslevel im Urlaub runterfahren. Bei dieser Auswahl an Reisen kommen Adrenalin-Junkies auf ihre Kosten.
Trekking für Waghalsige am Hua Shan, China
Die Bretter sind wenige Handbreit. Wie ein Sims führen sie in 2.000 Metern Höhe an einer fast senkrechten Felswand am Mount Hua entlang. Nur notdürftig scheinen sie mit Eisenhaken, an denen der Rost ansetzt, im schieren Stein verankert. Immerhin: Dass man sich hier unterwegs mit Gurten sichern muss, ist vorgeschrieben. Die Pfade am Hua Shan, ein heiliger Berg in der chinesischen Provinz Shaanxi, sind nichts für schwache Nerven, Menschen mit Höhenangst dürften sie bis ins Mark schocken. Sie zählen zum Gefährlichsten, was sich Trekkingfans zumuten können.
Über steile in den Fels gehauene Treppen und schmale Felskämme geht es manchmal fast senkrecht bergauf – der gähnende Abgrund wie am beschriebenen Bohlenweg droht immer. „Don’t look down" – „Schau nicht nach unten" – titelte die „Huffington Post". Entlohnt werden waghalsige Wanderer durch die bizarre Kulisse des Quin-Ling-Gebirges mit seinen steil aufragenden Kratern und Felstürmen, für mystische Atmosphäre unterwegs sorgen Klöster, Pagoden und alte Tempel, darunter der Dongdao-Tempel, einer der wichtigsten daoistischen Tempel Chinas. Die Daoisten glaubten, dass im Berg der Gott der Unterwelt lebt. Wie gefährlich das Trekking am heiligen Berg sein kann, zeigt der Fall einer Studentin von 2019, die bei einem Selfie in die Tiefe stürzte und umkam.
„Haibiss-Hauptstadt der Welt", USA
Filme wie Steven Spielbergs „Der weiße Hai" haben zu seinem Image als blutrünstigem Killer beigetragen: Doch der Hai ist nicht die automatisierte Lynchmaschine, die ihm als Ruf vorauseilt. Tauchern begegnet er neugierig, aber in der Regel nicht aggressiv. Doch wo Mensch und Hai sich ins Gehege kommen, passieren Unfälle. Und das nirgendwo mehr als an den Küsten Floridas, genauer gesagt in Volusia County, das – wenn auch mehr Landkreis als Stadt – deshalb den Titel „Shark bite capital of the world" trägt- „Haibiss-Hauptstadt der Welt". Laut dem Florida Museum of Natural History in Gainesville, das Haiangriffe weltweit im „International Shark Attack File" (ISAF) dokumentiert, gab es rund um den Globus im vergangenen Jahr 137 „Mensch-Hai-Begegnungen". 28 Attacken ereigneten sich in den Gewässern vor Florida, 17 Fälle davon in Volusia County, in dem die Strände von Daytona Beach sowie der besonders betroffene von New Smyrna Beach liegen.
„Die Bisse dort stammten alle von kleinen Schwarzspitzen-Riffhaien", sagt Tyler Bowling, Manager des Florida-Programms für Haiforschung im Museum. „Die Surfer sind der Meinung, dass es das Risiko wert ist, die Vorteile der beständigen Wellen dort zu nutzen. Ich persönlich kann mir ihre Hingabe leider nicht erklären." Insgesamt enden nur die wenigsten Angriffe tödlich. Laut ISAF starben 2021 neun Menschen infolge eines Haibisses. Ein tödlicher Unfall ereignete sich in den USA – jedoch in Kalifornien. Das Risiko einer Attacke senkt man übrigens, indem man nicht unnötig planscht, die Dämmerung meidet, am besten zu zweit badet und dabei keinen glitzernden Schmuck trägt. Doch es ist was dran am Spielberg-Klischee: Der Weiße Hai (Carcharodon carcharias) beißt von sich aus, also ohne Provokation durch den Menschen, unter allen über 500 Haiarten am häufigsten zu.
Das Teufelsbecken, Sambia
Jährlich strömen rund eine Million Besucher zu den Viktoriafällen, Afrikas berühmtestem Wasserfall am Sambesi, Grenzfluss zwischen Simbabwe und Sambia. Wenn der viertlängste Fluss des Kontinents in der Regenzeit anschwillt, ergießt er sich zwischen den Städten Livingstone (Sambia) und Victoria Falls (Simbabwe) auf einer Breite von 1,7 Kilometern in die Tiefe. Dann gibt es den „größten Wasservorhang der Erde" zu bestaunen, wie Tourveranstalter gern werben. Irgendwo in den Wassermassen zu baden wäre dann keine gute Idee. Doch in der Trockenzeit von September bis Dezember, wenn der Fluss sich beruhigt, kippt die Meinung. Heiß begehrt und oft nur über buchbare Zeitslots zu erleben ist dann ein Bad in „Devil’s Pool". Nicht nur Instagramer sprechen vom gefährlichsten Naturpool der Welt. Er liegt direkt an der Oberkante der Fälle auf sambischer Seite. Nur eine glitschige Felsklippe vor der sich das Flusswasser drei Meter tief aufstaut, schützt vor dem Absturz in die über 100 Meter tiefe Schlucht dahinter. Erfahrene Guides begleiten die adrenalinsüchtigen Wasserjunkies zum teuflischen Becken, das zur Trockenzeit als vergleichsweise ungefährlich gilt.
Doch Risiken bleiben: Wenngleich noch niemand vom Teufelspool in den Abgrund gespült worden sein soll, ereignen sich an den Viktoriafällen immer wieder tödliche Unfälle. Am Neujahrstag 2021 rutschte ein Tourist aus Simbabwe am Felsrand oberhalb der Schlucht aus und stürzte in die Tiefe. 2009 starb auf gleiche Weise ein Guide – tragischerweise, als er bei dem Rettungsversuch einen Touristen vor dem Absturz bewahrte.
Tauchen in Cenotes, Mexiko
Auf Mexikos Halbinsel Yucatán wartet unter der von dichtem Dschungel bedeckten Erdoberfläche ein Naturwunder: ein mit Grundwasser gefülltes Höhlensystem, eines der weitverzweigten und größten weltweit dieser Art. Auf 380 Kilometer Länge werden seine Gänge geschätzt. Seine Existenz verrät es über Cenotes, das sind dolinenartige Kalksteinlöcher, die vor Tausenden Jahren entstanden sind, als ihre Höhlendächer einbrachen. Diese manchmal nur 15, teils aber auch 100 Meter tiefen Süßwasserpools sind bei Touristen und Einheimischen beliebte Bade- und Schnorchelspots. Den Maya galten die Cenotes als heilig, zudem markierten sie den Eingang zur Unterwelt. Heute gewähren sie auch passionierten Tauchern den Zutritt in eine der weltweit beeindruckendsten Unterwasserlandschaften. Um die Stadt Tulum durchlöchern rund 100 gut erforschte Cenotes die Karibikküste. Doch es gibt Tausende, und die Unterwasserwege sind oft noch nicht kartografiert. Sich von einem zertifizierten Höhlentaucher als Guide begleiten zu lassen ist empfehlenswert. Teilweise sind die Gänge mit dem Meer verbunden, und es mischt sich Süß- mit Salzwasser. Die Taucher bewegen sich durch eine bizarre, von bunten Fischen bevölkerte, aber auch labyrinthische Kalksteinwelt mit Stalagmiten und Stalaktiten. Immer wieder kommt es zu Tauchunfällen, die teils tödlich enden. Dieses Schicksal ereilte 2018 auch zwei deutsche Höhlentaucher im Gran Cenote Kalimba nahe Tulum.
Springende Krokodile, Australien
Sie heißen „Jumping Croc Tours" – Bootsfahrten auf dem Adelaide River in Australiens Northern Territory, für die jährlich Tausende Touristen an Bord gehen. Dabei werden Salzwasser-Krokodile, liebevoll Salties genannt, mit Fleischstücken angelockt. Guides halten lange Stangen über die Reling, an denen ein Hühnerkadaver oder Büffelfleisch baumeln. Als Erfolg in den Augen von Touristen und Tourenanbietern gilt, wenn ein zuvor brettartig im Fluss gleitendes Reptil blitzartig aus dem Wasser schießt und sich den Fleischlappen einverleibt. Erregtes Lachen, Fotos. Na, das war’s doch!
Dummerweise gibt es aber auch fatale Fehlschläge auf dem Fluss, gut 100 Kilometer von der Provinzhauptstadt Darwin in Australiens Norden gelegen. Erst im September 2021 musste ein Tourist notoperiert werden. Er war an Bord eines Ausflugsbootes, als ein Reptil in seinen Arm biss. Im gleichen Monat wurde ein Tourguide von einem jungen Krokodil verletzt, der selbst die Sicherheitsvorschriften auf den Ausflugsbooten missachtet hatte. Der 60-Jährige hatte nach einer Stange gegriffen, die über Bord gefallen war. Doch es kann auch schlimmer kommen. Die „Deutsche Welle" titelte auf ihrer Website „Australia‘s dangerous tourist attraction", als 2014 ein Fischer von einem der Reptilien getötet wurde, als er ins Wasser gewatet war, um einen Angelhaken zu holen. Krokodile waren in der Gegend einst nahezu ausgerottet, doch ihr Bestand erholte sich rasant, nachdem sie in dem 1970er-Jahren unter Schutz gestellt wurden. Die „Jumping Croc Tours" sind umstritten. Den Veranstaltern, die darin Aufklärungsarbeit über Tiere in der Wildnis sehen, wird vorgeworfen, die Krokodile darauf zu konditionieren, Menschen mit Nahrung zu verbinden.
Katastrophentourismus am Vulkan, Indonesien
Über 400 Jahre schlief er, dann brach er erstmals wieder aus. Das war im August 2010. Seitdem gab es zahlreiche Ausbrüche am Mount Sinabung, bei denen Rauchsäulen kilometerhoch in den Himmel schießen, Lavaströme die Hänge hinabkriechen und das Umland unter dicken Ascheschichten verschwindet. Damit zählt der 2.460 Meter hohe Berg auf der indonesischen Insel Sumatra zu den aktivsten Vulkanen der Welt. Er liegt auf dem berühmten Pazifischen Feuerring – dem Ring of Fire. Allein in Indonesien zählt man fast 130 Vulkane. Bergsteiger und Katastrophentouristen scheinen die Gefahren magisch anzuziehen.
Die Aktivitäten am Mount Sinabung kurbeln den örtlichen Tourismus an. Hotels rufen sogar Gäste bei Eruptionen auf die Dachterrasse, Aussichtspunkte außerhalb einer deklarierten Gefahrenzone wurden eingerichtet. Touren zu verschiedenen Dörfern und Aussichtspunkten können gebucht werden. Die Trecks zum Berg starten in den umliegenden Städten Kabanjahe und Pematang Siantar. Seit der neuen Reihe an Ausbrüchen sind allein am Mount Sinabung immer wieder Menschen ums Leben gekommen. Zehntausende Anwohner mussten evakuiert werden. Auch der Vulkantourismus fordert seinen Tribut. So starb zum Beispiel 2017 ein deutscher Tourist am Mount Sibayak, einem 30 Kilometer vom Mount Sinabung entfernten, ebenfalls aktiven Vulkan.
Die Schlangeninsel, Brasilien
Als „Todesinsel" wird Ilha da Queimada Grande gern tituliert – als entstamme sie einem billigem Mystery-Thriller. Auf dem Felsrücken, der da gut 30 Kilometer vor der brasilianischen Küste aus dem warmen Atlantik ragt, wimmelt es nur so von giftigen Schlangen. Und zwar von so vielen, dass man sie Mitte der 80er-Jahre gleich ganz für Besucher sperrte. Seitdem darf man nur noch mit Sondergenehmigung an Land – sei das bizarre Eiland auch noch so verlockend für manchen Skipper. Der Leuchtturm wurde auf automatischen Betrieb umgestellt, nachdem der letzte Wärter durch einen Schlangenbiss zu Tode kam – so will es die Legende. Etwa 2.000 Exemplare der endemischen Insel-Lanzenotter leben nach Angaben der brasilianischen Behörden auf der 43 Hektar großen, teils von dichtem Wald bedeckten Insel. Einst sollen es sogar 15.000 der Reptilien gewesen sein. Aber noch immer würde man rechnerisch alle 300 Meter einer der Lanzenottern begegnen. Das Gift der gefürchteten Natter ist um ein Vielfaches toxischer als das der verwandten Lanzenotter auf dem Festland. Der Grund: Weil auf der Todesinsel kaum Säugetiere leben, lernte die Schlange in Bäumen nach Vögeln zu jagen – ihr Gift wurde stärker, um die flugfähige Beute schnell binnen Sekunden töten zu können.