Laut Plan des Wirtschaftsministeriums müssen Energiekunden im Herbst mit einer geplanten Gasumlage von bis zu 1.000 Euro rechnen. Das ruft Kritiker auf den Plan, und gleichzeitig stagniert die deutsche Wirtschaft.
Im Herbst heißt es für alle Gaskunden, dass sie noch tiefer in die Tasche greifen müssen. Die Bundesregierung plant eine Energieumlage, die voraussichtlich ab dem 1. Oktober gilt. Damit soll die Gasindustrie vor großen, wirtschaftlichen Einbußen bewahrt werden. Bislang konnten sie die – zum Teil verachtfachten – Preise für Gas auf den Weltmärkten nicht voll an ihre Kunden weitergeben. Wie stark der Gaspreis für die Verbraucher damit zusätzlich steigt, steht allerdings noch nicht fest. Aus Kreisen des Bundeswirtschaftsministeriums wurde verlautet, dass die genaue Höhe der Umlage bis Mitte oder Ende August bekannt gegeben wird.
Verachtfachter Preis zu Ungunsten der Kunden
Das Vergleichsportal Check 24 meldete neulich erst einen neuen Preisrekord für Gas. Demnach müssen Gaskunden im Juli durchschnittlich 162 Prozent mehr bezahlen als im Juli des vergangenen Jahres. Etwa die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland werden mit Gas beheizt. Erst vor circa zwei Wochen hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von einer Erhöhung der Gaspreise um zwei Cent pro Kilowattstunde gesprochen und damit zusätzliche Belastungen von jährlich 200 oder 300 Euro für eine vierköpfige Familie angedeutet. Jetzt ist Scholz’ Ankündigung überholt. Denn das Bundeswirtschaftsministerium um Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hat vor einer Woche eine neue Rechnung aufgemacht. Mit der neuen Gasumlage von 1,5 bis maximal 5 Cent pro Kilowattstunde sind die Mehrkosten schlimmstenfalls mehr als doppelt so hoch als ursprünglich vom Bundeskanzler angekündigt. Bei einem Haushalt mit einer vierköpfigen Familie mit einem Durchschnittsverbrauch von rund 20.000 Kilowattstunden im Jahr würde die Extra-Umlage von bis zu knapp 1.000 Euro zu Buche schlagen. Das Bundeswirtschaftsministerium will mit dieser höheren Umlagenzahlung verhindern, dass die städtischen Gasversorger durch die hohen Beschaffungskosten die städtischen Gasversorger nicht in eine finanzielle Schieflage geraten könnten.
Kritik an der erhöhten Gasumlage kommt von verschiedenen Seiten. „Das ist Gerechtigkeit in den Farben der Ampelkoalition in Berlin", sagte Peter Ritter, Chef der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, voller Ironie dem „Nordkurier". Während Konzerne Rekordgewinne einfahren würden, müssten Gaskunden doppelt für die Energie-Krise zahlen, kritisiert Ritter. „Wenn Habeck jetzt die Bürger und Unternehmen zu einem gemeinsamen Kraftakt aufrufe, sähe der wohl so aus, dass die einen löhnen müssen und die anderen weiter profitable Milliardengeschäfte machen." Einen ähnlichen Ton schlägt auch Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, an. „Es kann nicht angehen, dass Krisengewinner nunmehr auch noch von jedem Einkaufsrisiko freigestellt werden", sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland". Schneider wies auf hohe Gewinne bei Energiekonzernen wie RWE und Wintershall Dea hin. Er plädierte für eine „Übergewinnsteuer für Unternehmen, die mit Krieg und Krisen außergewöhnlich hohe Erträge erwirtschaftet haben und weiter erwirtschaften." Scharfe Kritik kommt auch seitens der AfD: „Die Preisexplosion, die durch die weiter steigenden Energiekosten auf immer neue Höhen getrieben wird, ist für immer mehr Bürger nicht zu stemmen", sagte Leif-Erik Holm, wirtschaftspolitischer Sprecher der AfD. Die Folgen spürten die Kommunen an erster Stelle. „Und natürlich wachsen bei rasant steigenden Lebenshaltungskosten auch sozialer Unfrieden und Existenzängste." Holm stellte sich hinter die Forderung mehrerer Bürgermeister der Ostseeinsel Rügen. Diese forderten neulich in einem gemeinsamen Positionspapier die Wiederaufnahme der Gasversorgung durch Nord Stream 1 und einer zusätzlichen Versorgung durch Nord Stream 2. „Wenn Russland wirklich Gas liefern wollte, könnte es das tun, auch ohne Nord Stream 2", hielt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft den Nord-Stream 2-Befürwortern entgegen. Nord Stream 1 funktioniere doch auch, so die Energieökonomin in einem Interview mit dem „Norddeutschen Rundfunk". „Es gibt auch die polnische Pipeline, wieso nutzen wir die nicht? Die ukrainische ebenso. Dann könnte man ja fließen lassen, wenn man wollte", führte Kemfert weiter aus.
Deutschland bildet das Schlusslicht in Europa
Die Gas-Krise bremst unterdessen auch die Konjunktur mit aus. So stagnierte im Frühjahr das Bruttoinlandsprodukt gegenüber dem Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Von der Nachrichtenagentur „Reuters" befragte Ökonomen hatten ursprünglich mit einem Plus von 0,1 Prozent gerechnet. Doch jetzt ist Deutschland unter den vier größten Volkswirtschaften der Euro-Zone in puncto Wachstum das Schlusslicht. Denn das Bruttoinlandsprodukt legte zu in Spanien (plus 1,1 Prozent), Italien (plus 1,0) und in Frankreich (plus 0,5 Prozent). In der deutschen Wirtschaft werden die Sorgen vor einer Talfahrt immer größer. „Mit der BIP-Stagnation im zweiten Quartal wird eine Rezession immer wahrscheinlicher", sagte Wolfgang Niedermark, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Den Firmen setzen die Folgen des Ukraine-Kriegs, ein langfristig andauernder Gasmangel und die Auswirkungen der Covid-Pandemie zu. Die Risiken für die deutsche und europäische Konjunktur durch fehlende Energierohstoffe bleiben dem BDI zufolge sehr hoch: „Die Reduzierung russischer Gasexporte besorgt uns." Skeptisch äußerte sich auch Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). „Die Zeichen stehen auf Stagnation", so Wansleben. „Es könnte aber noch schlimmer kommen." Die deutsche Wirtschaft geht nicht von einem baldigen Ende der Energie-Krise aus. „Das, was wir erleben, ist der Beginn einer neuen Realität in der Welt", soll es laut „Reuters" in einem internen Schreiben des DIHK geheißen haben. Die Globalisierung sortiere sich neu. Der Wettbewerb der Standorte laufe nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar unter völlig anderen Vorzeichen ab. „Die Energiepreise explodieren, viele Rohstoffe sind knapp und wegen der nachlaufenden Lieferschwierigkeiten durch Corona haben wir es zusätzlich mit Versorgungsengpässen bei Halb- und Fertigwaren zu tun." Belege dafür seien die erstmals seit 2008 negative deutsche Handelsbilanz sowie der Wertverfall des Euro gegenüber anderen wichtigen Weltwährungen. Der Wohlstand stehe auf dem Spiel. Martin Wansleben und DIHK-Präsident Peter Adrian plädieren in dem Brief dafür, die Hilfen für stromintensive Betriebe auf weitere Branchen auszudehnen. Die EU-Kommission müsse den Rahmen für Staatshilfen bis mindestens Ende 2023 verlängern.