Hinter dem Streit um die Insel steckt das Duell zwischen Amerika und China
Als hätte die Welt mit der Eindämmung des Ukraine-Krieges nicht genug zu tun. Russlands Präsident Wladimir Putin hat gerade eine neue Marine-Doktrin ausgerufen, in der die USA und die Nato als „größte Bedrohung" für sein Land abgestempelt werden. Die Risiken einer potenziellen Eskalation in Europa sind noch nicht abzusehen, da baut sich ein weiteres gefährliches Spannungsfeld auf. Zwischen China und Amerika entzündet sich ein Krieg der Worte um Taiwan, der zumindest einen militärischen Zwischenfall zwischen den XXL-Mächten provozieren könnte.
Auslöser war der angekündigte Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan. Peking betrachtet die demokratisch regierte Inselrepublik als „abtrünnige Provinz", die sie mit der Volksrepublik „wiedervereinigen" will – notfalls mit militärischer Gewalt. Man mag darüber streiten, ob es politisch klug ist, dass eine hochrangige amerikanische Politikerin ausgerechnet jetzt nach Taiwan reisen muss. Die internationale Politik ist aufgewühlt wie lange nicht – an neuen Reibungsflächen kann niemand ein Interesse haben. Selbst US-Präsident Joe Biden hat eingeräumt, dass sein Militär ihm signalisiert habe, die Visite sei „keine gute Idee".
Doch der Wirbel um die Pelosi-Visite ist nur ein Punkt an der Oberfläche, unter der ein viel größerer Konflikt steckt. Amerika beäugt seit Jahren misstrauisch den rasanten Aufstieg Chinas. Ökonomen rechnen damit, dass die Volksrepublik bereits bis 2030 die USA bei der Wirtschaftskraft überholt. In politischer Hinsicht versucht Peking, seinen Einfluss weltweit auszubauen – in Afrika, Lateinamerika und Europa. Als Lockvögel dienen oft günstige Kreditangebote.
Und auch mit Blick auf das Militär legt China beträchtlich zu. Seit 2011 hat das Land sein Verteidigungsbudget mehr als verdoppelt. Im vergangenen Jahr lag der Etat bei 293 Milliarden Dollar, das ist Rang zwei hinter den Vereinigten Staaten. Bereits heute verfügt die Volksrepublik über die größte Marine der Welt. Zwar hat das US-Militär mit einem Haushalt von mehr als 800 Milliarden Dollar immer noch einen gewaltigen Vorsprung – aber dieser schmilzt. Die wahre Herausforderung für die Weltmacht Amerika ist nicht Russland, das zwar hochgerüstet ist, aber in der Wirtschaft außer Öl und Gas nicht viel zu bieten hat. Ein autoritär regiertes Peking, das außenpolitisch und militärisch die Muskeln spielen lässt, sorgt in Washington für größere Befürchtungen.
Bereits US-Präsident Barack Obama hat versucht, den Einfluss des künftigen Konkurrenten in Fernost einzudämmen. Unter dem Banner des „Schwenks nach Asien" – „pivot to Asia" – gab er ab 2011 die Devise aus, regionale Sicherheitspartnerschaften zu stärken. Vor allem Staaten wie Südkorea, Japan, die Philippinen oder Vietnam sahen sich durch Pekings militärische Nadelstiche wie die Aufschüttung künstlicher Inseln im Südchinesischen Meer bedroht.
Unter Donald Trump verschärfte sich der amerikanisch-chinesische Konflikt. Der Obama-Nachfolger stürzte sich in einen umfassenden Handelskrieg mit der Volksrepublik, milliardenschwere Schutzzölle inklusive. Trumps Chefstratege Steve Bannon prophezeite bereits 2017: „Es wird Krieg mit China geben."
So martialisch ist die Rhetorik in Washington derzeit nicht. Aber sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern ist die Stimmung mit Blick auf Peking aufgeladen. Für eine Reise Pelosis nach Taiwan gibt es große Unterstützung. Sie passt in das Narrativ von Biden, der das Bündnis der westlichen Demokratien gegen autokratische Regime wie die Volksrepublik zum zentralen Thema seiner Amtszeit machte.
Eine direkte militärische Konfrontation zwischen Amerika und China ist zwar unwahrscheinlich. Aber in einer aufgeheizten Atmosphäre wächst die Gefahr von Fehleinschätzungen oder Missverständnissen, die zu einem militärischen Zwischenfall führen könnten. Man kann nur hoffen, dass alle Akteure einen kühlen Kopf bewahren. Die Welt hat bereits genug mit dem Lieferketten-Chaos durch Corona und der Energiepreis-Explosion im Zuge des Ukraine-Krieges zu kämpfen. Eine bewaffnete Auseinandersetzung in Fernost wäre eine Mega-Katastrophe für die globale Wirtschaft. Und Gift für die deutschen Export-Unternehmen mit dem wichtigen Absatzmarkt Ostasien.