Ab Herbst will die Bundesregierung die Möglichkeit für eine weitere Booster-Impfung schaffen. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Impfung allen ab 70 Jahren. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) findet, auch Menschen unter 70 sollten sich boostern lassen. Doch welcher Impfstoff ist der richtige?
Die Situation ist derzeit wirklich alles andere als übersichtlich", erklärt Dr. Rolf Hömke, Sprecher für den Bereich Forschung und Medizin vom Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Denn seit vergangenem Jahr arbeiten verschiedene Hersteller an mehreren Impfstoff-Varianten, die vor Sars-CoV-2 und verschiedenen Varianten davon schützen sollen.
In dem Meer aus Herstellern und Impfstoff-Varianten, die sich aktuell alle in verschiedenen Testphasen befinden, kann die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) Licht ins Dunkel bringen. Diese koordiniert alle Verfahren im Zusammenhang mit Arzneimitteln gegen Sars-CoV-2. In den Gremien der EMA arbeitet das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Deutschland aktiv mit, ebenso wie die Gesundheitsbehörden anderer EU-Mitgliedsstaaten. Eine Zulassung von Impfstoffen erfolgt durch die EU-Kommission und zwar nach Empfehlung des EMA-Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP). Sie gilt dann in allen Mitgliedstaaten.
Zala Grudnik, Sprecherin für Medien und Öffentlichkeitsarbeit der EMA, erklärt, dass die Europäische Arzneimittelbehörde im Juni 2022 zwei „Rolling Review"-Verfahren für angepasste Impfstoff-Varianten gestartet hat: eines zu dem Impfstoff „Comirnaty" von Biontech/Pfizer und eines zu „Spikevax" des Herstellers Moderna. Das Rolling-Review-Verfahren ist ein beschleunigtes Zulassungsverfahren, bei dem die EMA mit ihren Expertenteams einzeln eingereichte Datenpakete zu den Testverfahren der Impfstoff-Varianten bewertet, sobald diese verfügbar sind. Dieses Verfahren dauert grundsätzlich so lange, bis der EMA ausreichend Daten vorliegen, um eine abschließende Einschätzung zu dem jeweiligen Impfstoff zu geben. Bei beiden Impfstoffen will sich die EMA explizit auf die Immunantwort gegen die Omikron-Variante konzentrieren.
Werkzeugkasten aus Impfstoff-Varianten
Grundsätzlich ist von zwei vorherrschenden Impfstoff-Varianten die Rede: Einer monovalenten und einer bivalenten Variante. Erstere bedeutet, dass diese direkt auf die Omikron-Variante BA.1 angepasst ist. Zweitere besteht aus einer Omikron-BA.1-Komponente und einer Komponente des ursprünglichen Wuhan-Stamms. Zusätzlich arbeitet beispielsweise Biontech/Pfizer an Impfstoff-Varianten, die an die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 angepasst sind, wobei es sich um die derzeit vorherrschenden Varianten handelt. Auch hierbei geht es um einen bivalenten Impfstoff mit einem zusätzlichen Wuhan-Stamm. Da BA.4 und BA.5 dasselbe Spikeprotein besitzen, kann in dem bivalenten Impfstoff dieselbe Omikron-Komponente genutzt werden.
In einer Pressekonferenz der EMA vom 7. Juli erklärte Marco Cavaleri, Head of Biological Health Threats and Vaccines Strategy, dass die Nutzung bivalenter Impfstoffe auch in Zukunft für eine Grundimmunisierung wichtiger werden könnte, sobald mehr Daten als Grundlage vorlägen. Dazu könnten auch Impfstoffe mit Beta-Varianten oder anderen Varianten des Virus eine Booster-Option werden, sofern sicher ist, dass diese gegen Covid und seine verschiedenen Varianten schützen. Insgesamt erwartet die EMA in der Zukunft einen Werkzeugkasten aus verschiedenen Impfstoff-Varianten zu haben, mit denen dann entsprechend reagiert werden kann. Mittlerweile sind laut VFA über 50 Impfstoffe einer sogenannten „zweiten" Generation in Arbeit, die auf verschiedene Virus-Varianten eingestellt werden.
Biontech und Pfizer haben bereits Ende November 2021 mit der Arbeit an einer mono- und einer bivalenten Variante begonnen. Im Januar starteten die ersten Produktionsschritte und die vergleichende klinische Studie zur Prüfung durch den Hersteller selbst. Dabei kam laut Hersteller heraus, dass beide Impfstoffe eine stärkere Immunantwort auf die Omikron-BA.1-Variante geben als der ursprüngliche Impfstoff. Dazu erzielte der monovalente Impfstoff von Biontech/Pfizer bessere Ergebnisse als der bivalente. Auch bei BA.4 und BA.5 brachten die beiden Impfstoffvarianten eine entsprechende Abwehr, allerdings in geringerem Maße. Dazu hat im Juli 2022 die Phase-II-Studie eines weiteren bivalenten Omikron-BA.2-Impfstoffes begonnen. Die Impfstoff-Varianten, die an BA.4 und BA.5 angepasst wurde, kamen laut Hersteller zu positiven Ergebnissen bei Tierversuchen.
Moderna hat zeitgleich mit Biontech/Pfizer mit der Herstellung angepasster Impfstoff-Varianten begonnen. Im Februar hat das Unternehmen bereits über den Beginn einer klinischen Studie informiert. Laut Angaben des Unternehmens schützt der bivalente Impfstoff besser vor der Omikron-Variante als der bisherige Impfstoff. Auch hier ist der Schutz vor der BA.4- und BA.5-Variante geringer als vor BA.1.
Darüber hinaus arbeitet auch Novavax an einer an Omikron angepassten Variante des eigenen Impfstoffes plus einer bivalenten Variante basierend auf einer Wuhan-Stamm- und einer BA.1-Komponente. „Es ist zu erwarten, dass Boosterimpfungen mit den angepassten Impfstoffen zwar nicht jede Infektion verhindern, aber das Risiko eines schweren Verlaufs noch besser senken können als die älteren Vakzinen", so Rolf Hömke. Für drei Impfstoffe zum Boostern sind Zulassungsunterlagen teilweise oder vollständig eingereicht. Darunter für zwei bivalente mRNA-Impfstoffe gegen Omikron BA.1 und den ursprünglichen Virenstamm von Moderna und Biontech/Pfizer sowie für einen monovalenten mRNA-Impfstoff gegen BA.1 von Biontech/Pfizer.
Nächste Generation von Vakzinen in Arbeit
Neben den genannten und bekannteren Herstellern werkeln zahlreiche weitere Firmen an der Weiterentwicklung ihrer Impfstoffe, darunter in Spanien, Italien, Russland, Japan, China und den USA. Weit fortgeschritten ist ebenfalls das spanische Pharmazieunternehmen „Hipra", dessen Protein-basierter Impfstoff sich bereits im Rolling Review Verfahren der EMA befindet. Derzeit wird geprüft, wie gut der Impfstoff vor Omikron schützt. Frühere Testergebnisse zeigten jedoch laut EMA gute Chancen dafür, dass Hipra sowohl gegen SARS-CoV-2 als auch verschiedene Varianten davon schützt. Hipra ist ebenfalls ein bivalenter Impfstoff und enthält als Antigen ein Fusionsprotein aus Teilen des Spikeproteins der Alpha- und der Beta-Variante.
Der japanische Impfstoff des Herstellers „Shionogi" und der des US-amerikanischen Herstellers „Inovio" befinden sich derzeit in Phase III der klinischen Prüfung und testen die Wirksamkeit gegen Omikron.
In dieser Testphase werden – nachdem der Impfstoff sich in Phase I und II mit weniger Probanden und ausschließlich gesunden Erwachsenen bewährt hat – 20.000 bis 45.000 Personen geimpft. Darunter auch Personen mit hohem Ansteckungsrisiko, Begleiterkrankungen und Minderjährige. Shionogi zieht eine weitere explizit an Omikron angepasste Impfstoff-Variante in Betracht. Der DNA-basierte Impfstoff von Inovio kann laut Hersteller zur Grundimmunisierung und auch als Booster genutzt werden.
Laut Zala Grudnik rechnet die EMA voraussichtlich im September 2022 mit der Autorisierung entsprechender Impfstoff-Varianten gegen Omikron.
Die Bundesregierung hat zu den vorhandenen Impfstoffen gegen den Wuhan-Stamm bereits den monovalenten Impfstoff von Biontech/Pfizer und auch den bivalenten Impfstoff von Moderna bestellt. Sie legte sich jedoch nicht fest, auf welche Untervariante von Omikron diese Impfstoffe abgestimmt werden sollen. Lauterbach erklärte laut ARD, jeder werde sein Vakzin frei wählen können.
Impfempfehlungen gibt es zum derzeitigen Standpunkt noch keine. „Die wird die Stiko aussprechen, wenn sie alle Studienergebnisse zu den Impfstoffen kennt und sie mit Forschungsergebnissen zum Immunstatus von Menschen kombiniert, die entweder schon Coronainfektionen durchgemacht haben oder noch nicht", so Hömke. Doch der Blick in die Zukunft ist vielversprechend. Denn 2023 könnte es laut dem Sprecher der VFA auch Impfstoffe der nächsten Generation geben, die nicht mehr gespritzt, sondern in die Nase gesprayt oder inhaliert werden.