Bei den Landwirten brodelt es. Weniger Nitrat auf den Feldern, erheblicher weniger Glyphosat-Einsatz oder Kostenexplosion bei Energie und Futtermittel sorgen für Unmut. Nach der Ernte wollen die Bauern der Politik richtig einheizen.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) sitzt sprichwörtlich zwischen Baum und Borke. Bei einem erneuten Bauernprotest vor seinem Ministerium äußert der überzeugte Vegetarier überraschend Verständnis für die Proteste der Tierhalter. Sie beklagen lautstark, dass zwar die Preise in den Geschäften für Fleisch und Milch erheblich gestiegen sind, doch davon bei ihnen durch langfristige Lieferverträge nur sehr wenig ankommt. Ähnliche Klagen musste sich Özdemir auch schon von den Ackerbauern anhören. Glaubt man den Bauern, gibt es offenbar nicht nur in der Mineralölwirtschaft „Übergewinne", sondern auch bei den Lebensmittelhändlern. Beweisen lässt sich dies wahrlich nicht. Doch bei den Betreibern von Agrarwirtschaft und Viehhaltung hält sich der Verdacht energisch. Dies ist nur eines der vielen Themen dieses Sommers, die in der landwirtschaftlichen Produktion für viel Unmut sorgen – neben Nitrat-Einschränkungen, dem Streit um Glyphosat-Einsatz. Daher hat der Deutsche Bauernverband der Politik einen „heißen Herbst" angekündigt, nach dem Vorbild seiner niederländischen Berufskollegen. Dort ging über Wochen nur noch wenig auf den Autobahnen, da diese mit Tausenden von Treckern blockiert waren.
Proteste in der Hauptstadt geplant
Die Proteste richteten sich vor allem gegen eine Verordnung der EU-Kommission, wonach die Landwirte bei unserem Nachbarn ihre Nitrat-Emissionen um bis zu 95 Prozent reduzieren sollen. Die Befürchtung der niederländischen Bauern: 30 Prozent müssten so ihre Betriebe aufgeben. Darum ging nun Cem Özdemir Ende Juli in die Offensive und verwies darauf, dass es in Deutschland um moderatere Einschränkungen beim Düngen gehe. „Es ist ja nicht so, dass es ein Düngeverbot geben wird. Die Bauern können ja weiter düngen, aber so, dass wir insgesamt von der zu hohen Nitratbelastung runterkommen." Doch der Streit ums Düngen ist damit nicht aus dem Weg geräumt, viele Bauern trauen dem Grünen nicht, der, bevor er Bundeslandwirtschaftsminister wurde, immer wieder eine radikale Abkehr vom Düngen mit Nitraten gefordert hatte.
Selbst Bio-Landwirte räumen unterdessen ein, dass es ganz ohne Düngen nicht geht. Denn auch der Bio-Anbau steht unter Druck, längst dominieren Großunternehmen den Handel, mit Abgabevorgaben für ihre Lieferanten.
Und es gibt noch mehr Probleme: Abgesehen vom Düngen und der Debatte um die erneute Zulassung des beliebten Unkrautvernichters Glyphosat haben die Ackerbauern in diesem Sommer wiederholt mit der bundesweiten Dürre zu kämpfen. Bauernpräsident Joachim Rukwied schlug bereits in der letzten Juliwoche Alarm, dass es bei Getreide und Mais erhebliche Ernteausfälle geben könnte. „Wir müssen europaweit mit geringeren Ernten rechnen, als wir noch vor drei oder vier Wochen prognostiziert haben." Dabei wollte Rukwied die Zahl von über 30 Prozent allein in Deutschland nicht bestätigen und begründet dies damit, dass mit viel Glück der August vielleicht mehr Regen mit sich bringt – und nimmt gleich die Bundespolitik in Haftung. „Es muss für die betroffenen Betriebe finanzielle Hilfen geben, egal wie die Ernte ausfällt", so Rukwied. Vize-Generalsekretär Udo Hemmerling konkretisiert die Forderung des Bauernverbandes in Anbetracht der häufigeren Dürren in Deutschland für Landwirte nach Ernteversicherungen. „Wir müssen weg von Krisenhilfen, hin zu einem System von Ernteversicherungen", so Hemmerling. „Da wünschen wir uns einen staatlichen Zuschuss zu den Prämien. Wenn es diesen Zuschuss gebe, bräuchten die Landwirte keine Nothilfen mehr."
Doch Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir ist klar: Macht er im Agrarsektor eine Zusage, stehen sofort die Viehhalter auf der Matte. Sie leiden nicht nur unter der Dürre, sondern auch unter den extrem gestiegenen Kosten für Futtermittel. Auch hier droht einigen Betrieben im kommenden Winter das Aus, wenn keine finanziellen Hilfen aus Berlin kommen, so der Bauernverband. Dass nun ausgerechnet die Tierfutterpreise explodiert sind, hat mit dem Ukrainekrieg, hohen Gaspreisen und der Weizenkrise auf dem Weltmarkt zu tun. Allerdings nicht direkt. Um die ausgebliebenen Weizenlieferungen der Güteklasse A zu kompensieren, hat die Lebensmittelindustrie den Weizenmarkt der Güteklassen B und C leergekauft. Damit schossen nicht nur die Brotpreise, sondern auch die Futtermittelpreise durch die Decke. Doch die Tiere brauchen im Winter etwas zu fressen, eine schlechte Ernte könnte den Druck auf die Viehhalter noch weiter verstärken. Denn neben Festfutter müssten sie dann auch noch Heu und Stroh teuer zukaufen.
Ernte mangels Regen in Gefahr
Da hilft es auch nicht, dass im kommenden Jahr nun doch nicht vier Prozent der Ackerfläche brachliegen müssen, sondern laut EU bebaut werden dürfen. Der vorgeschriebene Fruchtwechsel wird gelockert. Für die Ackerbauern eine wichtige Entscheidung, sie können jetzt die Aussaat für das kommende Jahr planen.
Doch in diesem Jahr bleiben die vor allem finanziellen Probleme bestehen und damit die Forderungen nach Hilfen des Bundes. Im Augenblick sind Özdemir jedoch die Hände gebunden, denn sein Kabinettskollege Christian Lindner (FDP) hat bislang die Forderungen nach einem dritten Entlastungspaket in diesem Jahr wegen der hohen Energie- und Lebensmittelkosten abgelehnt. Geht es nach dem Willen des Bundesfinanzministers, soll dies auch für die Forderungen der Bauern aus der Acker- und Viehwirtschaft gelten. Wie lange Lindner seine Haushaltsordnung im Sinne der Schuldenbremse durchhält ist allerdings fraglich. Die Bauern sind jedenfalls entschlossen, nach niederländischem Vorbild die Straßen des Berliner Regierungsviertels spätestens nach der Ernte Ende September zuzuparken und ihre Forderungen so prominent vorzutragen. Zwei milliardenschwere Entlastungspakete für die Arbeitnehmer, ein 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, dazu die Rettung des Gaslieferanten Uniper durch staatliche Beteiligung: kein Wunder, dass die Rufe nach Finanzhilfen auch bei den Landwirten lauter werden, auch vor dem Hintergrund der ohnehin schon schwierigen Versorgungslage mit Getreide weltweit. Doch ob Cem Özdemir damit seinen Finanzministerkollegen Geld aus den Rippen leiern kann, hängt unter anderem auch von der Heftigkeit der Bauernproteste in den kommenden Wochen ab. Ein erster Vorgeschmack: In Nordrhein-Westfalen solidarisierten sich bereits Landwirte mit den Kollegen aus den Niederlanden.