Harald Kreutzer und sein Verein Weltveränderer setzen sich für die globale Nachhaltigkeit ein und machen auf die weltweiten ökonomischen Verflechtungen und Abhängigkeiten aufmerksam. Und natürlich geht der Saarländer selbst mit gutem Beispiel voran.
Im Büro des Saarbrücker Vereins Weltveränderer steht noch ein altes Kabeltelefon mit Tasten. „Das ist Programm bei uns, wir nutzen Sachen ziemlich lange", sagt Harald Kreutzer. Der Projektkoordinator verrät aber auch, dass zusätzlich zwei Schnurlostelefone im Einsatz sind. Weil der Ohrlautsprecher des Tastentelefons knarzt. „Vielleicht sollte man es mal in unser Repair-Café bringen", überlegt Kreutzer. Neben dem Fernsprech-Oldie fällt eine ungewöhnliche Weltkarte ins Auge. Beim genaueren Hinsehen erkennt man, dass die Kontinente auf dem Kopf stehen. Und auch die Proportionen sind ungewöhnlich. „Europa erscheint ziemlich mickrig, Afrika hingegen ziemlich groß", erläutert der 44-Jährige. So seien auch die wahren Größenverhältnisse. Viele Karten würden die Ländergrößen nicht maßstabsgetreu wiedergeben.
Harald Kreutzer und seine Mitstreiter setzen sich für die globale Nachhaltigkeit ein. Beim Verbrauch von Rohstoffen nehmen sie Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen. Sie versuchen, nicht mehr zu verbrauchen, als nachwachsen kann. Bei ihrem Kampf gegen Ressourcen- und Energieverschwendung machen sie auf die weltweiten ökonomischen Verflechtungen und Abhängigkeiten aufmerksam. Wer hätte vor ein paar Monaten gedacht, dass der Krieg in der Ukraine in Deutschland dazu führt, dass Sonnenblumenöl knapp wird? Auf der anderen Seite landen viele Produkte unnötig auf dem Müll. „Uns geht es mächtig auf den Keks, dass hier so viele gute und funktionierende Sachen weggeworfen werden", schreibt der Verein auf seiner Homepage. Oft würden die Dinge des Alltags in weit entfernten Weltregionen produziert. „Und das ist nicht immer so gut für Mensch und Umwelt auf diesem Planeten. Irgendwoher müssen die billigen Preise ja schließlich kommen, oder?"
Schüler tauschen sich mit anderen aus fernen Ländern aus
Die Zusammenhänge lassen sich oft direkt vor der eigenen Haustür veranschaulichen. Mobilität, Textilproduktion und Ernährung sind deshalb auch Themen der Stadtteilführung durch Malstatt, die der Verein organisiert. Die Bildungsarbeit ist ein Arbeitsschwerpunkt. Und die kann gar nicht früh genug beginnen. Ein Projekt bietet saarländischen Schülern die Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen aus fernen Ländern darüber auszutauschen, wie sie zur Schule kommen und wie es ihnen dabei geht. So hat eine Kinder-Gruppe aus Saarbrücken herausgefunden, dass 86 Prozent ihrer Kollegen in Tororo, einer Stadt in Uganda, in die Schule laufen. Und das nicht über gut ausgebaute Bürgersteige, sondern über Trampelpfade. Zum Vergleich: In der Saarbrücker Gruppe gehen nur 41 Prozent zu Fuß zum Unterricht. Der Verein Weltveränderer vermittelt nicht nur Wissen, sondern auch alte Rechner. „Ein 2. Leben für euren Computer", heißt eine aktuelle Initiative. Gebrauchte Geräte, die zu Hause im Keller verstauben, werden wieder in Schuss gebracht und neuen Nutzern kostenlos zur Verfügung gestellt – zum Beispiel Studierenden aus der Ukraine.
Harald Kreutzer ist in Madagaskar geboren. Auf der Insel vor der afrikanischen Südostküste verbrachte er die ersten drei Jahre seines Lebens. Sein Vater stammt von dort, seine Mutter ist Deutsche. An einen späteren Besuch in Madagaskar erinnert sich Kreutzer noch gut: „Die extreme Armut war schockierend." Vielleicht ist dieses prägende Erlebnis ein Grund, warum er sich heute so stark für Nachhaltigkeit einsetzt.
Kreutzer ist in Niedersachsen aufgewachsen. Als er sich nach dem Abitur bei der Zentralen Vergabestelle um einen Jura-Studienplatz bewarb, standen große Städte wie Hamburg ganz oben auf der eingereichten Wunschliste. Zugewiesen wurde ihm dann aber der Ort, den er an sechster und letzter Stelle eingetragen hatte – Saarbrücken. Die Enttäuschung war jedoch rasch verflogen, im Saarland fühlte er sich schnell wohl. Er engagierte sich auch außerhalb des Hörsaals, unter anderem als Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Universität des Saarlandes.
Harald Kreutzer interessiert sich für Menschen und ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Gemeinsam mit sechs Mitstreitern gründete er 2017 den Verein Weltveränderer. Die aktuell knapp 25 Mitglieder möchten, dass die Menschen Nachhaltigkeit als etwas Positives erleben, mit dem sie sich identifizieren können. Und nicht als ein Verzicht, der den Lebensstandard bedroht. „Alle, die sich für globale Nachhaltigkeitsthemen interessieren, sind herzlich willkommen", sagt der Saarbrücker. Er wird vom Verein bezahlt. Allerdings nur dann, wenn die Förderanträge, die er schreibt, genehmigt werden. Die Weltveränderer finanzieren sich hauptsächlich über öffentliche Zuschüsse. Zurzeit wartet Kreutzer auf eine Projektzusage. Unterstützt wird er bei seiner Arbeit von Marie Michelle Zimmer. Sie macht ein Freiwilliges Ökologisches Jahr. Die Verwaltungskraft Melanie Rölz und Praktikantin Michelle Gebhardt komplettieren das Team.
„Wir wollen niemanden belehren"
Im Oktober 2021 konnte sich der Verein räumlich vergrößern, direkt im Gebäude gegenüber des alten Büros in der Leipziger Straße hat er das Erdgeschoss angemietet. Die Zimmer bauen die Weltveränderer nun schrittweise zum „Haus der globalen Nachhaltigkeit" aus. Zurzeit wird noch kräftig gehämmert, gesägt und gestrichen. Kürzlich hatte das Team zu einem veganen Frühstück in die Begegnungsstätte eingeladen. Mit großem Erfolg. „Die Leute haben uns die Bude eingerannt", erinnert sich Harald Kreutzer. Neben einem Veranstaltungsraum gibt es auch Schreibtische, die man Gleichgesinnten zum Arbeiten zur Verfügung stellt. „Sozusagen ein Coworking-Space für Nachhaltigkeitsinitiativen", erläutert der Projektkoordinator. Gewinne will der Verein mit dem Angebot nicht machen. Er setzt auf das Konzept der Solidar-Miete: Über das Vermieten der Schreibtischplätze oder des Veranstaltungsraums an Organisationen, die es sich leisten können, kommt Geld in die Kasse. Diese Einnahmen werden dazu verwendet, Initiativen ohne Budget die Nutzung der Räumlichkeiten zu ermöglichen.
Dass Harald Kreutzer nachhaltig lebt, zeigt sich auch an seiner Kleidung. „Ich habe sie viel und lange getragen", verrät er mit Blick auf seine zerschlissene Jeans. Demnächst will er sie ausmustern. Beim Outfit setzt er auf Produkte, die fair gehandelt werden. Alternativ empfiehlt Kreutzer Secondhand-Ware. Auch bei der Mobilität versucht er, Ressourcen zu schonen. Er fährt mit dem Fahrrad oder nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel. Nur ganz selten – etwa wenn es beim Umzug schnell gehen muss – leiht er sich ein Auto. Das Neun-Euro-Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr findet der Umweltschützer klasse. Er hofft, dass es viele Leute dazu animiert, Busse und Bahnen auszuprobieren. Die Weltveränderer wollen nicht nur die Umwelt schonen und verhindern, dass Menschen ausgebeutet werden. Das Tierwohl liegt ihnen ebenfalls am Herzen. Deshalb ist Kreutzer vor drei Jahren auf vegane Ernährung umgestiegen. „Das funktioniert gut", betont er. Wobei er gern einräumt, dass er nicht perfekt ist: „Eigentlich habe ich eine viel zu große Wohnung."
Die Vereinsmitglieder sind keine Moralapostel, die mit streng erhobenem Zeigefinger auftreten. „Wir haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen und wollen niemanden belehren", betont Harald Kreutzer. Ziel ist es, zu sensibilisieren und zu informieren. Damit sich jeder selbst ein Bild machen kann. Deshalb hat sich der Verein auch nicht in der Saarbrücker City oder im Nauwieser Viertel niedergelassen. Also in einer Gegend, in der vermutlich viele umweltbewusste und gut informierte Bürger wohnen. Stattdessen hat man sich ganz bewusst für Malstatt entschieden – einem Stadtteil, in dem zahlreiche Menschen mit Migrationshintergrund und geringem Einkommen leben. Neben dem einzelnen soll natürlich auch die Politik dazu beitragen, die Welt zu verbessern. Weltveränderer fordert, dass die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger die globale Nachhaltigkeit in der neuen Landesregierung zur Chefinnensache macht. „Als Teil der kritischen Zivilgesellschaft werden wir diese Entwicklung gern begleiten und zur gegebenen Zeit auch den Finger in die Wunde legen", erklärt Harald Kreutzer.