Die Miniserie „Clickbait" zeichnet ein spannendes und zugleich erschreckendes Bild davon, wie sich digitales und reales Leben miteinander vermischen können. Zu sehen ist sie bei Netflix.
Die Serie „Clickbait" beginnt harmonisch ‒ sogar fast schon zu harmonisch ‒ mit einem Geburtstagsessen für die Großmutter. Diese ist eine Oma, die einem Werbespot für Best Ager entsprungen sein könnte. Und auch der Rest der Familie sieht aus wie aus dem Werbekatalog. Sie alle sitzen um den Tisch herum und sind fröhlich: Ein perfektes Ehepaar Mitte 40, zwei wohlgeratene Teenager-Söhne und zwei dazugehörige herzliche Omas. Sie lachen, nennen sich Darling und Sweetheart, und Oma freut sich über die selbst gemachten Geschenke der Enkel. Doch es gibt einen Störfaktor, der umso krasser auffällt: die kinderlose Single-Tante Pia (Zoe Kazan). Sie ist die Schwester des gutaussehenden Familienvaters Nick. Die ersten Szenen der Serie führen Pia als Enfant terrible der Familie ein. Sie passt nicht ins perfekte Bild, sie ist impulsiv, betrunken und sucht Streit, wohl mit der ganzen Welt.
Was verbirgt der Familienvater?
An diesem Abend aber mit ihrem Bruder Nick Brewer und seiner sauberkeitsliebenden, schönen Ehefrau Sophie (Betty Gabriel). Nick ist ein schöner Mann, der perfekte Gatte und Familienvater, hier wurde Schauspieler Adrian Grenier besonders passend gecastet. Im Gegensatz zu seiner betrunkenen Schwester steht ihm beim Geburtstagsessen nicht der Sinn nach Diskussionen, deshalb schickt er sie kurzerhand nach Hause. In diesem Zerwürfnis endet der Abend. So weit, so normal. So etwas passiert in den besten Familien. Was allerdings nicht normal ist, zeigt sich am folgenden Tag: Familienvater Nick, der als Physiotherapeut arbeitet, verschwindet auf dem Weg zur Arbeit spurlos. Noch bevor irgendwer sein Verschwinden so richtig bemerkt, taucht im Internet ein Video auf, das ihn in der Hand von Kidnappern zeigt, sein Gesicht ist blutig, er hält ein Schild vor sich, auf dem steht: „I abuse women", also „Ich missbrauche Frauen". Und noch ein Schild: „At 5 million views I die". Wenn das Video fünf Millionen Klicks bekommt, stirbt Nick. Auf diese perfide Vorgehensweise, im Internet möglichst viele Klicks mit schockierenden Überschriften zu generieren, bezieht sich auch der Titel der Serie. „Clickbait" heißt wörtlich übersetzt „Klick-Köder" und ist eine kritische Bezeichnung dafür, dass im Netz mit reißerischen und teils irreführenden Überschriften möglichst viele Klicks erzielt werden sollen. Das Video des gefangenen Nick geht viral und wird tatsächlich millionenfach angeklickt, auch seine Schwester Pia bekommt es auf der Arbeit zu sehen und ist entsetzt. Sofort macht sie sich auf den Weg zu Nicks Frau, die als Lehrerin arbeitet und den Gegenentwurf zu Pias unstetem Leben darstellt. Was in den nächsten Episoden folgt, ist die Entfaltung einer klassischen auf Spannung angelegten Handlung: Wo ist Nick? Was passiert nach fünf Millionen Klicks? Wer ist verantwortlich für die Entführung? Und was steckt hinter den Anschuldigungen gegen Nick, der angeblich Frauen missbraucht?
Einfluss der Medien und des Internets
Wer nach der ersten Folge Nicks Schwester Pia für die Hauptperson hält, irrt. Jede Folge stellt eine andere Figur in den Mittelpunkt. Jede Episode hat einen anderen Titel, der anzeigt, welche Person gerade im Schlaglicht der Handlung steht. Daraus ergeben sich Titel wie der der ersten Folge „Die Schwester" oder später „Der Ermittler", „Die Ehefrau", „Der Reporter", „Der Bruder", „Der Sohn" und letztendlich gibt es auch die Folge „Die Antwort". Die Serie hat allerdings mehr zu bieten als die klassische Auflösung nach dem „Whodunit"-Prinzip. Die Rahmenhandlung bleibt zwar genau dadurch spannend, dass das Rätsel um Nicks Schicksal immer im Vordergrund steht. Im Hintergrund der Handlung zeigt sich, und das ist die eigentliche Stärke der Serie, ein diffiziles Netz aus Lebensentwürfen verschiedener Generationen, aus Verstrickungen, aus Träumen, Wünschen und Verpflichtungen der Hauptcharaktere. All das wird maßgeblich beeinflusst durch die digitalisierte Welt, durch soziale Medien, durch das Internet und seine Anonymität und Unverbindlichkeit.
Schnell scheint klar zu sein, dass die heile Welt rund um Nicks Familie nicht ganz so heil ist, wie sie nach außen scheint. Aber ob das auch der Grund für Nicks Entführung ist? Bis es am Ende zur Auflösung kommt, offenbart sich vieles, nicht alles hat miteinander zu tun und das muss es auch nicht. Vielmehr entspinnt sich ein Sittenbild einer Gesellschaft, der es schwerfällt, die Grenzen zwischen Selbstoptimierung, Erfolgsstreben und Authentizität zu ziehen. Und was dabei alles auf der Strecke bleibt, offenbart sich erst beim Blick hinter die Fassade. Auch die Rolle und die Verantwortung der klassischen Medien sowie der sozialen Medien ist zentraler Teil des Plots. So viel sei gesagt: Die Auflösung sorgt am Ende trotzdem noch für eine Überraschung und auch für die Erkenntnis, dass Menschen Täter und Opfer zugleich sein können.