Das Stadtderby gleich zum Saisonstart gefällt nicht allen. Doch die Union-Fans sind heiß auf das Duell, in das ihr Team als Favorit geht. Die gute Vorbereitung nährt die Hoffnungen.
Die Union-Fans sind schon seit dem 17. Juni im Derby-Fieber. An jenem Tag veröffentlichte die Deutsche Fußball Liga den Bundesliga-Spielplan – und der Start in die neue Saison 2022/23 kann aus Berliner Sicht nicht spektakulärer sein. Vor allem die Rot-Weißen aus Köpenick fiebern dem Kräftemessen gegen Stadtrivale Hertha BSC entgegen, schließlich findet die Partie am Samstag (6. August, 15.30 Uhr) im heimischen Stadion An der Alten Försterei statt. Außerdem geben die drei Siege in den drei Derbys der Vorsaison viel Rückenwind. „Stadtmeister, Stadtmeister, Berlins Nummer eins", schallte es bereits bei Unions Testspiel gegen Nottingham Forest (1:0) von den Tribünen. Die Anhänger stichelten zudem mit dem Spottgesang „Siehst du Hertha, so wird das gemacht". Die Blau-Weißen hatten zuvor ihr Testspiel gegen den englischen Premiere-League-Aufsteiger mit 1:3 verloren.
Die Fans fiebern also dem Hammerstart entgegen – doch bei den Club-Verantwortlichen mischt sich in die Vorfreude auch Ärger. Union-Präsident Dirk Zingler zum Beispiel hat die DFL-Verantwortlichen dafür kritisiert, das Highlight-Spiel gleich an den Beginn gesetzt zu haben. „Ich hätte es mir später gewünscht", sagte Zingler und begründete auch warum: „Normalerweise bereitet man sich auf den ersten Spieltag vor, und dann freut man sich im Laufe der Spielzeit auch auf das Derby. Und jetzt ist es im Grunde genommen ein Vorgang." Für den Vereinsboss ist ein Derby zum ersten Spieltag so etwas wie für Kinder ein Geburtstag an Weihnachten. „Derbys haben immer einen Alleinstellungscharakter", so Zingler, „jetzt hat man es auf den ersten Spieltag gelegt." Das sei auch „schlecht für die Liga", argumentierte der 57-Jährige.
Zingler kritisiert die Ansetzung
Doch je näher das Spiel rückt, desto größer dürfte auch Zinglers Vorfreude auf das heiße Duell gegen den Stadtrivalen geworden sein. Klar ist: Union geht als Favorit ins Spiel – nicht nur wegen des Derby-Triples aus der Vorsaison. Union hat Hertha sportlich abgehängt. Zweimal in Folge erreichten die Eisernen den Europapokal, während die ambitionierte „Alte Dame" aus Westend trotz der vielen Millionen von Investor Lars Windhorst um den Klassenerhalt zittern musste. Die Eindrücke aus der Vorbereitung und die Aktivitäten auf dem Transfermarkt in diesem Sommer lassen auch nicht den Schluss zu, dass sich daran grundlegend etwas ändern könnte. Im Gegenteil.
Man habe „eine gute Vorbereitung" absolviert, sich „sportlich verstärkt", außerdem sei der Club „intakt", meinte Zingler: „Ich freue mich auf die Saison, weil ich glaube, dass sie erfolgreich sein wird." Auch Trainer Urs Fischer war angetan von der Einstellung und der Bereitschaft seiner Spieler in den vergangenen Wochen, vor allem das Trainingslager in Neukirchen am Großvenediger wertete der Schweizer als großen Erfolg: „Das, was wir auf dem Plan hatten, konnten wir zu hundert Prozent umsetzen." Und spätestens nach der gelungenen Generalprobe gegen Nottingham war sich Fischer sicher: Die vierte Saison in der Bundesliga kann kommen!
„Die Mannschaft war griffig und unermüdlich", schwärmte der Coach: „Sie ist gut angelaufen. Wir hatten viele Balleroberungen." Und das ist genau die Spielweise, die Fischer sehen will, die Union zu einem der unangenehmsten Gegner der Liga gemacht hat. Doch Fischer wäre nicht Fischer, hätte er in der Vorbereitung nicht auch etwas zum Verbessern gefunden. In der Spielfortsetzung sei man noch „ein bisschen unpräzise" gewesen, auch an den Automatismen müsse man noch etwas arbeiten. Das ist aber kein Wunder, schließlich gab es in der Mannschaft mal wieder einen größeren Umbruch.
Zehn Spieler haben den Club verlassen, darunter die absoluten Leistungsträger Grischa Prömel und Taiwo Awoniyi. Für Letzteren kassierte Union immerhin die Rekord-Ablösesumme von 20 Millionen Euro von Nottingham, der Nigerianer durfte sich im Testspiel auch gebührend verabschieden. Es gab Blumen, warme Worte und viel Applaus von den 15.467 Zuschauern für den Torjäger, der sich artig bedankte: „Für mich war es etwas Großartiges, wieder an der Alten Försterei zu sein. Es war gut, noch mal zurückzukommen und zu allen auf Wiedersehen zu sagen." Auf dem Rasen wurde er aber von seinem Nachfolger in den Schatten gestellt. Während Awoniyi mit dem Nottingham-System noch sichtlich fremdelte, erzielte Jordan Siebatcheu den 1:0-Siegtreffer.
Morten Thorsby benötigt noch Zeit
Der 26-Jährige verwertete eine flache Hereingabe von Sheraldo Becker aus kurzer Distanz – ein typisches Tor für den Franko-Amerikaner. So hatte Siebatcheu viele seiner Treffer in der Schweizer Liga für Young Boys Bern erzielt, ehe Union ihn für stolze sechs Millionen Euro nach Berlin lockte. Bei Union war der Start etwas holprig, den Trainingsrückstand scheint Siebatcheu aber aufgeholt zu haben. Seine Torpremiere dürfte ihm weiteren Auftrieb gegeben haben. „Das braucht ein Stürmer", meinte auch Fischer, der bei seinem Schlüsselspieler im Sturm eine steile Lernkurve erkennt: „Er setzt Prinzipien sehr gut um." Allerdings fehle in gewissen Situationen „noch ein bisschen die Bindung" zu seinen Mitspielern. Aber das sei normal, so Fischer: „Dafür reichen fünf Wochen nicht aus."
Noch mehr Zeit wird Morten Thorsby benötigen, der Mittelfeld-Allrounder wurde erst Mitte Juli verpflichtet. Doch intern gibt es kaum Zweifel daran, dass der Norweger sich schnell im Team akklimatisieren und eine Verstärkung sein wird. „Morten ist ein Spieler, der über viel Mentalität und Willen verfügt und uns mit diesen Fähigkeiten im Team helfen kann", sagte Geschäftsführer Oliver Ruhnert. Doch Thorsby bringt auch viel spielerische Qualität mit. Als Jugendlicher war er als Riesentalent gehandelt worden, schon im Alter von 17 Jahren gab er sein Debüt in der höchsten Liga Norwegens. Bei Sampdoria Genua war Thorsby über Jahre eine Stütze, trotzdem konnte Union ihn nach Berlin locken. Ein Grund: die Chance auf Europacupspiele.
„Mit dem Wechsel zu Union bietet sich mir die große Möglichkeit, das erste Mal in meiner Karriere im Europapokal zu spielen", begründete Thorsby den Wechsel. Außerdem hätten ihn viele Gespräche mit Landsmann Julian Ryerson, der seit 2018 bei den Eisernen unter Vertrag steht, überzeugt. „Julian hat mir nur Gutes über die Fans und das Stadion erzählt", verriet der Neuzugang: „Ich freue mich sehr auf das nächste Kapitel in meiner Laufbahn und werde Union mit allem unterstützen, was ich habe." Und das ist eine Menge. Experten beschreiben Thorsby als lauffreudig, kopfballstark, taktisch clever und aggressiv verteidigend. Ein sogenannter Box-to-Box-Spieler, der zwischen den Strafräumen einen großen Aktionsradius hat. So ein Spielertyp hat nach dem ablösefreien Abgang von Prömel im Kader gefehlt.
„Alle haben mir gesagt, dass die Bundesliga perfekt zu meinem Spielstil passt", erzählte Thorsby. Zumindest passt dieser Spielstil perfekt zu einem Derby. Auch wegen Thorsby, Siebatcheu und der anderen Neuzugänge gehen die Unioner mit großer Vorfreude ins Derby. Die Fangesänge im Testspiel gegen Nottingham hat auch die Mannschaft vernommen. „Das können die Fans gern machen", sagte Kapitän Christopher Trimmel.