Hertha BSC scheidet in der ersten Pokalrunde aus und hofft nun im Berlin-Derby bei Union auf den neuen Stürmer Wilfried Kanga.
So viel Zeit zum Feiern musste vor Saisonbeginn sein: Vergangenen Sonnabend beging Hertha BSC schließlich seinen 130. Vereinsgeburtstag mit einem Fanfest auf dem Olympiagelände. Über 23.000 Anhänger kamen im Verlauf des Tages, verfolgten etwa das Abschlusstraining der Bundesligamannschaft vor dem Pokalspiel in Braunschweig oder ließen sich Autogramme geben, bis schließlich der unverwüstliche Frank Zander mit einem Live-Auftritt dem blau-weißen Ehrentag ein würdiges Ende schaffte.
Da war das Team bereits mit dem Bus nach Niedersachsen entschwunden, um erfolgreich in die Spielzeit 2022/23 zu starten. Sandro Schwarz hatte sich – wie so mancher seiner Vorgänger – im Vorfeld der Erstrundenpartie des in der Hauptstadt sehr emotionalen Pokalthemas bedient, um für Vorfreude, Aufbruch und auch ein Ziel zu sorgen. „Es ist unser Anspruch, erfolgreich zu starten am Sonntag in Braunschweig – und natürlich auch, ins Finale zu kommen", sprach der sonst nicht zu großen Worten neigende neue Trainer. Sicherlich auch, um die Sinne vor der durchaus kniffligen Aufgabe zu schärfen – hatte Hertha BSC in der Vergangenheit doch des Öfteren bereits frühzeitig gegen unterklassige Gegner die Segel im DFB-Pokal streichen müssen. Doch auch in dieser Saison sollte der Traum vom Einzug ins Pokalfinale bereits in Runde eins enden – die Berliner verloren eine vom Spielverlauf dramatische Partie summa summarum mit 9:10 (4:4 nach Verlängerung und 5:6 im Elfmeterschießen). Hertha hatte dabei eine Stunde alles im Griff, verspielte dann die 2:0-Führung in kurzer Zeit und drehte den schnellen Rückstand in der Verlängerung sogar wieder.
Guter Start, schlechtes Ende
Das alles nutzte nichts. Die eindeutige Spielkontrolle der ersten Halbzeit konnte der Bundesligist nicht wieder zurückerlangen – und zog in der Lotterie des Elfmeterschießens letztlich den Kürzeren. Auf der anderen Seite aber hatte Schwarz, was den Stand der Vorbereitung betrifft, den Ball eher flach gehalten: „Wir wissen, dass das weiter ein Prozess ist, in der Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollen – der ist auch nächste Woche nicht abgeschlossen, nur weil der Pokal losgeht", analysierte der 43-Jährige nach Ende des Trainingslagers in England.
Dort waren die drei Härtetests gegen Derby County (0:1), Nottingham Forest (1:3) und West Bromwich Albion (1:2) alle verloren worden, was die Selbstvergewisserung nach der chaotischen Spielzeit mit Rettung über die Relegationsspiele nicht unbedingt positiv beeinflusst haben dürfte. Herthas Gegner zum Liga-auftakt am Sonnabend, der 1. FC Union, gewann hingegen fünf seiner sieben Vorbereitungsspiele – auch die Generalprobe vor dem Pflichtspielstart eben gegen Nottingham (1:0). Da verwunderte im Vorfeld des großen Hauptstadtduells, dass dessen Ansetzung aufseiten von Hertha BSC zur Premiere 2022/23 unisono gefeiert wurde – während Union-Präsident Dirk Zingler die Partie lieber später in der Saison gespielt hätte. „Das ist zu Beginn gleich ein Highlight" ließen sich Kay Bernstein und Fredi Bobic praktisch wortgleich zitieren.
Für den erst im Juni neu gewählten Präsidenten ist es das erste Derby im Amt, während der Geschäftsführer Sport in seinem ersten Amtsjahr gleich drei Niederlagen gegen Union zu verzeichnen hatte. Auch für Trainer Schwarz ist es bei seiner Premiere (Bundesliga mit Hertha) eine Premiere (Derby gegen Union) – und müsste von den Verantwortlichen vor allem als Spiel mit besonderer Sprengkraft zum Auftakt gesehen werden. Eine schwache Performance im Prestigeduell könnte dem Neuanfang bei Hertha BSC jedenfalls sofort ungleich mehr Schaden zufügen, als es gegen jeden anderen Widersacher der Fall wäre.
Neuer Präsident ernüchtert
Schon im Pokalspiel in Braunschweig hatte sich dabei gezeigt, welche Stammformation sich bei Hertha BSC in der Vorbereitung herauskristallisiert hat. Dass Oliver Christensen im Tor die Nummer eins ist, war dabei ebenso wenig überraschend wie der Auftritt von Neuzugang Jonjoe Kenny auf der rechten Abwehrseite. Selbstverständlich die Nominierung von Marvin Plattenhardt auf der linken defensiven Außenbahn – der frühere Nationalspieler war zuvor für Außenstehende eher unerwartet von Schwarz zum neuen Kapitän bestimmt worden. Der 30-Jährige fand in der vergangenen Spielzeit erst im Saisonendspurt bei Felix Magath wieder den Weg in die Stammelf, nun also bekam er auch noch die Binde zugeteilt. Der Wechsel im Kapitänsamt aber schwächte gleichzeitig die Position des bisherigen Abwehrchefs Dedryck Boyata, auch wenn Herthas Coach beteuerte: „Wir wollten eine Veränderung haben: Das war keine Entscheidung gegen Dedryck, sondern für ‚Platte‘, denn er hat einen extrem hohen Stellenwert in der Mannschaft und im Verein." Als gesetzt in der Innenverteidigung galt vor Saisonstart aber eigentlich nur Marc Kempf – nicht zuletzt, weil er der einzige Linksfuß für die Position ist. Als Besetzung für die zweite Stelle der Abwehrzentrale wurden so jedoch neben Boyata auch Linus Gechter sowie Neuzugang Filip Uremović realistische Chancen eingeräumt. In Braunschweig erhielt Routinier Boyata den Vorzug und löste die Aufgabe mit viel Licht, aber auch Schatten. Nach dem Leihgeschäft mit Santiago Ascacíbar (zu US Cremonese/Italien) war auch die Besetzung der Position im defensiven Mittelfeld mit Neuzugang Ivan Sunjic zu erwarten gewesen. Offensiv zentral blieb der Startelfplatz dazu bei Suat Serdar (was einen renommierten Spieler wie Lucas Tousart zunächst zum Reservisten machte), während auf den Außen Myziane Maolida und der schon aussortierte, aber in der Vorbereitung Lerneffekte zeigende Dodi Lukebakio zum Einsatz kamen. In der Sturmzentrale wiederum hatte Davie Selke im ersten Pflichtspiel 2022/23 zunächst die Nase vor Stevan Jovetić und Krzysztof Piatek vorn, der den Verein ohnehin wieder verlassen soll. Beste Chancen auf die Mittelstürmerposition in der Stammelf hat jedoch Wilfried Kanga, der als Neuzugang in Braunschweig noch nicht spielberechtigt war. So könnte es in der Alten Försterei zu einem Wiedersehen kommen: Unions Awonyi-Ersatz Jordan Siebatcheu stürmte schließlich bis zuletzt gemeinsam mit Kanga für die Young Boys Bern und war dort in der internen Torjägerliste bester Schütze – vor Herthas Neuzugang.