Er ist kein gebürtiger Saarländer. Aber er hat die Geschicke des Landes über Jahrzehnte maßgeblich mitgestaltet – in höchsten Ämtern in der Politik, im Sport und ehrenamtlich in der Kultur. Reinhard Klimmt über Stationen seines bewegten Lebens.
Herr Klimmt, wie blicken Sie auf die aktuellen Entwicklungen der letzten Monate?
Ich bin schon ein wenig verstört und habe Schwierigkeiten damit, wie sich in der Bundespolitik und in meiner Partei die außen- und sicherheitspolitischen Linien, wie sie einmal Willi Brandt entwickelt hat, radikal geradezu in ihr Gegenteil verändern. Das muss ich erst einmal verdauen. Ich war in meiner gesamten politischen Arbeit – das fing an als Redakteur bei der Studentenzeitung und bei den Jungsozialisten in verschiedensten Funktionen – immer bemüht, die Spaltung Europas zu überwinden und den Kontinent zu einen, so wie es August Bebel bereits 1871 im Reichstag gefordert hatte. An erster Stelle stand und steht die Aussöhnung und Zusammenarbeit mit Frankreich. Das ist dann ja auch recht gut gelungen, muss aber immer gehütet und weiterentwickelt werden. In den Zeiten des Kalten Krieges war aber auch die Überwindung des Eisernen Vorhangs ohne kriegerische Mittel ein wesentliches Element. Unsere Idee war es, ein neues Europa durch die Überwindung beider Systeme zu schaffen, indem sich beide veränderten. „Nathalie" von Gilbert Bécaud war unser Lied. Wir hatten schon früh intensive Kontakte zu Jugendverbänden in Ungarn, in Polen und in der DDR. In Polen war das vor allem der „Klub der katholischen Intelligenz", in der DDR aus dem Bereich der evangelischen Kirche, aber auch mit den offiziellen Jugendverbänden. Wir suchten nach einer gemeinsamen Perspektive: ein friedliches Miteinander, Freiheit und Freizügigkeit sowie Schutz der bedrohten Umwelt.
Ökologie hat damals schon eine Rolle gespielt?
Die ökologische Perspektive war schon sehr früh Thema. Die im Zeichen der „Tonnenideologie" betriebene quantitative Wachstumspolitik in den kommunistischen Ländern legitimierte dort eine ungebremste Zerstörung von Umwelt und Natur und auch bei uns wurden die Warnungen des Club of Rome vor einem ungezügelten Wachstum ignoriert. Damals hatten wir die Klimafrage noch nicht vor Augen, sondern die Verschwendung von Ressourcen und die Zerstörung der Natur.
Die Politik von Willi Brandt war für Sie Richtschnur?
Ja. Wandel durch Annäherung – es ging nicht nur um Handel. Wir haben in der Landespolitik mit den ersten deutsch-deutschen Städtepartnerschaften (Saarlouis-Eisenhüttenstadt war die erste deutsch-deutsche Städtepartnerschaft, Anm. d. Red.) die Ostpolitik von Willi Brandt für die Menschen erfahrbar gemacht. So haben wir auch die Partnerschaft mit Georgien gesehen. Dahinter stand die politische Strategie, die deutsche Spaltung mit der gemeinsamen Zukunft in einem europäischen Haus zu überwinden. Diese Vorstellungen schienen sich dann ja mit Gorbatschow zu verwirklichen. Der „Wind of Change" nährte die Hoffnung, dass es in nicht zu ferner Zukunft im Osten wie im Westen keine trennenden Grenzen mehr gäbe.
Wie würden Sie das Verhältnis zu Russland in der Entwicklung beschreiben?
Nach 1990 gab es große Offenheit in den politischen Debatten in Russland. In den Nullerjahren war ich im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in Russland unterwegs und hielt Vorträge zu den Themen Föderalismus, Dezentralisierung, Subsidiarität, Bürgerbeteiligung und so weiter. Wir griffen die Vision Gorbatschows auf: ein Europa, das den Ural überspringt und von Wladiwostok bis Lissabon reicht. Russland nicht Gegner und Feind, sondern Partner, mit dem man eine gemeinsame Zukunft plant. Und das ist jetzt in das völlige Gegenteil umgeschlagen. Heute wird Russland als Feind identifiziert und wir bauen eine Sicherheitsarchitektur auf, die keine Gemeinsamkeiten mehr kennt, sondern die Gegnerschaft auch in der Zukunft festschreibt, oder wie Außenministerin Baerbock meint: für immer. Damit muss ich jetzt erst einmal klarkommen und kann es immer noch nicht für vernünftig halten.
Jetzt sagt aber mit Blick auf Russland als Partner selbst der Bundespräsident, der Ihrer Partei angehört, dass es in Einschätzungen der Vergangenheit Fehler gegeben hat.
Es ist etwas falsch gelaufen, sonst hätten wir diesen schrecklichen Krieg nicht. Deutschland ist im Rahmen der Nato am Krieg beteiligt. Was aber ist das Ziel? Bundeskanzler Scholz sagt: Putin darf nicht gewinnen und die Ukraine nicht verlieren. Soweit so gut, so vage. Aber das Risiko einer atomaren Auseinandersetzung bleibt. Deshalb blicke ich mit Besorgnis auf die weitere Entwicklung und hoffe, dass es bald einen Verhandlungstisch gibt, an dem man Lösungen sucht – und nicht die Entscheidungen auf dem Schlachtfeld forciert.
Mit den Folgen dieser aktuellen Entwicklungen muss sich jetzt im Saarland eine SPD-Alleinregierung auseinandersetzen. Nach fast 23 Jahren der Wechsel – und das gleich mit absoluter Mehrheit im Landtag. Hätten Sie das vor dem 27. März dieses Jahres erwartet?
An Weihnachten sicher nicht. Die Umstände waren dann glücklich. Es gilt aber auch: Die Sozialdemokraten sind an der Saar mit den handelnden Personen gut aufgestellt, mit einer sehr überzeugenden Anke Rehlinger voran. Wir sind auf der kommunalen Ebene gut vertreten, bei den Landräten, bei den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen. Wir haben eine lebendige Partei, die in der Besetzung der Fraktion im Landtag gezeigt hat, dass sie auch zur Verjüngung fähig ist. Und das sind junge Leute, die nicht nur drin sind, weil sie jung sind, sondern weil sie was draufhaben, also mit einer guten Zukunftsperspektive. Ich war ja immerhin sieben Jahre Landesvorsitzender, 20 Jahre Vorsitzender in Saarbrücken, fünf Jahre Juso-Vorsitzender, bin also mit der Partei sehr verbunden und insofern – glücklich wäre vielleicht zu viel gesagt – sehr froh.
Für die SPD war es ein sehr langer Weg, bis sie jetzt wieder so dasteht, nach einer Wahl, die besonders für Sie selbst eher unglücklich verlaufen war. Aus der zeitlichen Distanz betrachtet: Warum ist das damals so gelaufen?
Wir haben damals aus einer gewissen Überheblichkeit das falsche Datum für die Wahl gewählt. Ich wollte eigentlich im November wählen. Es gab Umfragen, kurz vor Oskars Rücktritt, da lagen wir bei 52 Prozent, und der Abstand zwischen Peter Müller (damals als CDU-Landeschef Oppositionsführer und Spitzenkandidat, Anm. d. Red.) und mir war auch sehr groß. Eine Mehrheit in der Partei hat daher gesagt: Lass es uns schnell hinter uns bringen. Nachdem wir den Wahltermin dann irreversibel festgelegt hatten, kam Oskars Rücktritt, und damit wurde der September zum denkbar schlechtesten Termin. Bei der gleichzeitigen Wahl in Brandenburg hat der damalige SPD-Ministerpräsident Manfred Stolpe 15 Prozentpunkte verloren. Bei mir fehlten ein paar Tausend Stimmen. Das lag an der niedrigen Wahlbeteiligung. Viele unserer Wählerinnen und Wähler sind zu Hause geblieben, weil sie von Oskars Rücktritt und der Bonner Politik enttäuscht waren. Bei einer „normalen" Wahlbeteiligung hätte es mit Sicherheit noch gereicht. Aber das gehört dazu, dass man in der Demokratie auch Niederlagen einstecken muss. Mir hat es nicht geschmeckt, aber ich habe es akzeptiert.
Würden Sie also umgekehrt sagen, dass diesmal der Wahltermin ideal war, und es jetzt, ein paar Monate später, schwieriger für die SPD wäre?
Ja, das stimmt. Aber Glück hat nur der Tüchtige. Anke Rehlinger hatte ein Umfeld, das sehr viel besser war als bei der Wahl vor fünf Jahren. Die Linke hatte sich zerschreddert, die Grünen hatten sich auch weitgehend zerlegt, und wir hatten durch den Wahlsieg auf der Bundesebene ein Momentum, das sich auf uns übertragen hat. Und Anke Rehlinger hatte aufgrund ihrer Performance einen persönlichen Vorsprung vor dem Amtsinhaber.
Das politische Leben von Reinhard Klimmt war eng mit Oskar Lafontaine verbunden – im Guten wie im Schlechten. Wie ist Ihr Verhältnis heute?
Wir waren kürzlich noch zum Mittagessen verabredet und haben drei Stunden geredet – und nicht nur von alten Zeiten. Momentan liegen wir politisch wieder ziemlich auf einer Linie, und ich muss sagen, dass ich Sahra Wagenknecht für eine der wichtigen Persönlichkeiten in der deutschen Politik halte.
Ihre Amtszeit als Ministerpräsident war, zum Beispiel im Vergleich zu Oskar Lafontaine, eher kurz. Was waren aus Ihrer eigenen Sicht die wichtigsten Akzente?
Dazu muss ich ein wenig ausholen. Die Zusammenarbeit zwischen Oskar und mir begann 1966 bei den Jusos, anschließend in der Stadt Saarbrücken. Ich wurde Parteivorsitzender, als er Oberbürgermeister war. Er hat 1985 die Landtagswahl gewonnen, ich hatte da schon zehn Jahre Oppositionsarbeit hinter mir und wurde Fraktionsvorsitzender. Wir haben die politische Entwicklung im Doppelpack mit verteilten Rollen gestaltet. Für mich war Fraktionsvorsitzender der wichtigste Job, zuständig für alle Politikbereiche, zwar abhängig von meiner Fraktion, aber nicht von jemandem über mir. Oskar musste also immer mit mir reden. Es war ein Zusammenspiel, das funktioniert hat: Er war immer der nach vorn drängende Typ, und ich habe abgesichert. Er agierte mit katholischer Unbekümmertheit, ich – Protestant – eher bedächtiger. Wir waren aber nicht allein. Bei vielen Dingen hatte er die Lorbeeren bekommen, aber daran haben immer viele mitgewirkt, etwa beim Stahl, wo die IG Metall mit Albrecht Herold eine hervorragende Rolle gespielt hat. Oder: Bei der Entwicklung des Forschungssektors an der Uni war Diether Breitenbach der Antreiber (damals Wissenschaftsminister, Anm. d. Red.). Das Geheimnis des Erfolgs war auch, dass wir selbstbewusst genug waren, gute Leute neben uns zu haben. So ist viel gelungen, etwa die Bewältigung der Stahlkrise oder die erste Teilentschuldung. Die zweite Teilentschuldung ist dann von mir im Bundesrat durchgesetzt worden, natürlich mit der Unterstützung von Oskar als Finanzminister.
Sie halten also viel von Team-Arbeit.
Natürlich, ich bin Mannschaftsspieler. Es gibt aber auch Entscheidungen, die ich mir zurechne. Die Deutsch-Französische Hochschule habe ich gegen Kurt Beck (damals Ministerpräsident Rheinland-Pfalz, SPD, Anm. d. Red.) erkämpft, der sie auch haben wollte. Das Zeitungsmuseum in Wadgassen, die bis heute andauernde Finanzierung des Weltkulturerbes Alte Völklinger Hütte. Die Ausstellung „Prometheus". Auch die gemeindenahe Psychiatrie im Zusammenspiel mit Armin Lang. Oder auch die Entwicklung und Konzeption der Saarbahn mit Hajo Hoffmann und Norbert Walter. Da war Oskar am Anfang nicht so begeistert, später hat er sie finanziert. Oder die Hochschule der Bildenden Künste (HBK) als einer der wichtigen kulturellen Impulse, für die auch Kurt Bohr Vaterschaft reklamieren kann. Schmunzeln kann ich jeden Abend, wenn ich Saarbrücken auf der Wetterkarte des ZDF sehe. Das haben der Intendant Dieter Stolte, der persönliche Bindungen an Saarbrücken hat, und ich ausgeknobelt.
Umbrüche und Strukturwandel haben das Saarland schon zu Ihrer aktiven Zeit geprägt. Was kann die jetzige Regierung in den aktuellen Umbrüchen daraus lernen?
Ich glaube, dass wir mit der Ministerpräsidentin, dem Wirtschaftsminister Barke und jetzt auch dem Finanzminister von Weizsäcker ein Trio haben, das Weichen stellen kann, aber auch muss, um den Transformationsprozess, der unvermeidlich ist, zu gestalten. Wir haben nicht nur die brutale Vorgehensweise bei Ford gesehen, sondern auch die Entscheidung von V&B hinnehmen müssen, mit der Fliesenproduktion in die Türkei zu gehen. Wir brauchen weiter Industrie: Stahl, Elektromobilität, Maschinenbau. Ansiedlungen wie die von SVolt zeigen, dass das funktionieren kann. Forschungseinrichtungen wie das Cispa und zukünftige Ausgründungen aus unseren Hochschulen sollten helfen, dem Land im digitalen Zeitalter eine ökonomische Grundlage zu geben. Was man immer im Auge behalten muss, ist die Zusammenarbeit mit Lothringen und Luxemburg vor allem.
Dieses letzte Stichwort erinnert an Ihr Buch: „Auf dieser Grenze lebe ich". Ein Bekenntnis und Leitmotiv für Ihr politisches Handeln – und Vermächtnis?
Ja, das war eines meiner politischen Hauptziele: die Grenzen, die unsere Region zerschneiden und die Entwicklung behindern, zu überwinden. Deshalb bin ich immer noch Vizepräsident der Saar-Lor-Lux-Internationale, einer Gruppe von sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien der Großregion und habe mit Werner Ried ein Buch über die Schienenperspektiven der Großregion verfasst.
2003 hat eine Kommission unter Leitung von Jacques Santer ein „Zukunftsbild 2020" vorgelegt. Wenig ist davon umgesetzt worden. Die dort definierten Ziele sind nicht erreicht, aber immer noch aktuell. Als Jean-Claude Juncker noch in Luxemburg und Philippe Leroy in der Moselle verantwortlich waren, haben wir uns regelmäßig getroffen. Einige Absprachen, aber vor allem die Einrichtung eines Sekretariats für die Großregion, sind die Früchte dieses Engagements. Ich war immer der Meinung, dass die Großregion eine Mitte braucht. Leider entfaltet das Sekretariat aufgrund der Konstruktion mit wechselnder Präsidentschaft in der Großregion keine große Wirkung. Wichtig wäre, dass ein Generalsekretär oder eine Generalsekretärin die Geschäfte – vergleichbar der Kommission in Brüssel – führt und Entscheidungen vorbereitet; dann kann der Präsidentschaftshut gerne immer weiterwandern.
Was wären die Themen für einen solchen Generalsekretär beziehungsweise Generalsekretärin?
Der Verkehr ist einer der zentralen Punkte, wo wir große Schwächen haben. Das fängt mit dem Flugverkehr an, wo wir bisher keine regionale Lösung gefunden haben. Ungenügend sind die regionalen Schienenverbindungen. Im Fernverkehr stimmt nur die Ost-Westachse, wobei die Ost-Moselle und wir aufpassen müssen, nicht abgehängt zu werden. Eine Reise ins Ruhrgebiet ist ein umständliches Abenteuer. Die vielen grenzüberschreitenden Pendler brauchen Unterstützung.
Der Tourismus ist ein immer noch wachsender Markt. Da könnte man sich sehr wohl strategisch miteinander abstimmen. In den regionalen Universitäten steckt viel Potenzial, das bei besserer Koordination viel mehr Wirkung entfalten könnte. Es geht also um die gemeinsame Entwicklung. Und dafür bräuchte man einen Ort, wo das gemeinsam strukturiert wird. Das könnte dann von mir aus in Luxemburg, in Thionville oder in Merzig sein, wichtig ist, dass es diese Struktur gibt.
Nach der Zeit als Ministerpräsident kam der Wechsel in die Bundesregierung als Bundesverkehrsminister.
Ich war leider nur verhältnismäßig kurze Zeit Verkehrs- und Bauminister, aber ich habe die Zeit intensiv genutzt. Als Bauminister habe ich die Stiftung Baukultur auf den Weg gebracht. Ich hätte auch gerne noch eine Ausschreibung für das Schloss gehabt, aber das ist leider von meinen Nachfolgern dann anders entschieden worden. Was den Bereich Verkehr betrifft: Ich habe sehr schnell gelernt, dass unsere Forderung nach einer Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene aufgrund der Gegebenheiten nur bedingt erfüllt werden kann. Die Schienenwege gründen aus dem 19. Jahrhundert, und man kann nicht in jede Straße Anschlüsse legen. Wir brauchen also weiter Lkws. Deshalb war der „kombinierte Verkehr" für mich einer der wichtigen Ansätze. Das Hauptproblem bleibt die unzureichende Finanzierung von Erhalt und Neubau der Verkehrsinfrastruktur. Mir war es gelungen, aus den Erlösen der UMTS-Versteigerung vier Milliarden Euro zusätzlich für den Verkehrshaushalt zu mobilisieren und konnte das allerdings nur auf drei Jahre festschreiben. Nach meinem Ausscheiden hat das Finanzministerium diese Finanzierung wieder zurückgenommen. Darunter leiden ja nicht nur wir selbst, sondern auch andere Regionen in Europa. Die Schweizer sind mit ihrer Transversale durch die Alpen fertig, wir kommen mit dem Zufluss überhaupt nicht zurecht. Das ist ein Desaster.
Verkehrsminister werden oft daran gemessen, was sie für ihr Land Gutes tun. Wofür reichte die kurze Zeit?
Ich habe anordnen können, die B 269, die Verbindung St. Avold-Saarlouis, als internationale Verbindung einzustufen und habe damit eine Sonderfinanzierung erreicht. Die Beschleunigung der Verbindung nach Luxemburg (A 8) mit Ausbau des Abstiegs zur Mosel oder die Verbindung zwischen Sembach und Kaiserslautern, die für uns auch sehr wichtig ist, habe ich eingeleitet. Der Moselschleusenausbau ist mit dem „Antistauprogramm" vorangekommen. Besonders wichtig war mir der Ausbau der ICE-TGV-Strecke nach Paris und das Vorantreiben der Saarbahn. Mit Unterstützung der Franzosen und der Österreicher konnte ich die Aufhebung des Feiertagsfahrverbots für Lkw verhindern.
Nach der aktiven politischen Zeit war Zeit für eine andere Leidenschaft. Autor, Verleger, Buchhändler, Herausgeber,
Sammler. Woher diese Leidenschaft für Bücher?
Das hat schon als Kind angefangen. Ich bin auf dem Land in einem Lehrerhaushalt groß geworden und war Dauerkunde in der Dorfbibliothek. Ich war schon sehr früh auf dem Trip, dass ich keine anderen Geschenke akzeptiert habe als Bücher. Später habe ich dann mein Taschengeld und die Honorare, die ich mit Nachhilfe und Musik verdient habe, in Taschenbücher umgesetzt. Mein gesamtes Weltbild hat sich mehr aus den Büchern gebildet als aus den Anleitungen meiner Eltern oder Lehrer. Ich kann nicht ohne Bücher leben und wollte immer schon, wenn ich aus dem aktiven Berufsleben ausscheide, als Buchhändler und Antiquar unterwegs sein. Das habe ich dann auch realisieren können. Mein Wunsch, nach New York, San Francisco oder Tokio auf die Messen zu gehen, hat allerdings nicht funktioniert.
Warum nicht?
Nicht, weil ich es nicht könnte, sondern ich habe zu viel anderes zu tun. Ich bin noch beratendes Mitglied im SPD-Landesvorstand, bin Landesvorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes, bin Beiratsvorsitzender vom Saarländischen Museumsverband und in der Stiftung Demokratie Saarland Vorsitzender des Stiftungsrats. Zeit brauchen auch die Studienstiftung Saar, der Kulturverein Burbach und natürlich der 1. FC Saarbrücken.
Und es reicht trotzdem noch für neue Projekte?
Ja, ich erweitere gerade einen Aufsatz über den saarländischen Landtag, den ich für „Die politische Architektur deutscher Parlamente" geschrieben habe. Das Saarland-Wappen setzt sich aus den Emblemen der großen Herrschaften zusammen, die vor Napoleon hier das Sagen hatten: Saarbrücken, Zweibrücken, Lothringen und das Erzbistum Trier. Das hat mich zur Frage gebracht: Wie war das mit demokratischen Strukturen hier im Laufe der Jahrhunderte? Wie haben sich Menschenrechte und Demokratie in unserer Region entwickelt?
Also zurück zum Historiker Klimmt?
Ja. In gewisser Weise ist es das.
Wenn man in der Geschichte der Region zurückgeht bis in die keltischen Zeiten, ist das mit der Frage nach demokratischen Strukturen aber vielleicht etwas schwierig?
Es geht um die Frage: Wie haben die Menschen vergangener Zeiten ihre Dinge geregelt? Auch die Kelten versammelten sich, zum Beispiel im Ringwall von Otzenhausen. In der griechisch-römischen Tradition galt der Grundsatz: Was alle betrifft, muss von allen gebilligt werden. Hört sich gut an. Die Frage ist nur: Wer ist „alle"? Bis ins 20. Jahrhundert waren es nur die Männer. 1919 wurde bei uns das Frauenwahlrecht eingeführt, in Liechtenstein erst 1984! Bei den Männern waren „alle" nur diejenigen, die Besitz hatten. Das Dreiklassenwahlrecht in Preußen galt bis 1918, also auch in Saarbrücken. Spannend ist zudem die Frage, wer was zu sagen hatte – und wer nichts zu sagen hatte. Das will ich ein wenig aufdröseln.
Die Sammelleidenschaft betrifft nicht nur Bücher – Ihr Haus quillt praktisch über –, sondern auch afrikanische Kunst, die Sie auch ausgestellt haben. Woher kommt diese Leidenschaft?
Man ist entweder Jäger oder Sammler. Ich habe schon als Kind gerne gesammelt, zum Beispiel Versteinerungen, Briefmarken, was heute ganz aus der Mode gekommen ist, später dann Bücher, ich sammle übrigens auch Pilze.
Warum dann auch noch afrikanische Kunst?
Weil mir die Ästhetik gefällt. Das ist nahe am Expressionismus und an der klassischen Moderne. Ich habe eine Maske, die ist Kubismus in Reinkultur, die hätte Picasso nicht besser machen können. Mich interessiert dabei aber auch die Kultur. Wir haben von den afrikanischen Kulturen so viel übernommen und können immer noch davon lernen. Da geben sich dann persönliche Vorlieben und politische Zielsetzungen die Hand. Auch das verbindet mich mit Willy Brandt, der die Nord-Süd-Kommission gegründet hat. Wir sind auch Teil der Einen Welt.