Waldbrände, Blaulicht-Einsätze auch bei Bagatellen und Personalmangel – bei der Feuerwehr brodelt es gewaltig. Und die Nerven liegen blank.
Es ist eine gewöhnliche Nachtschicht in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr am Nikolaus-Groß-Weg in Charlottenburg-Nord. Mitten im Hochsommer, an diesem ersten Donnerstag im August, sind die Aufträge zur Erstrettung überschaubar. Eine ruhige Nacht. Nicht nur viele Berliner sind im Urlaub, sondern auch viele Bedienstete der Berliner Feuerwehr. Um 3.28 Uhr geht eine Alarmmeldung ein: Waldbrand im Grunewald, eines der größten innerstädtischen Naherholungsgebiete Europas, mitten in der Stadt. Ein Löschzug der zuständigen Wache Wannsee ist innerhalb von nicht mal zwei Minuten vor Ort.
Die Kräfte erkunden das Terrain, plötzlich Detonationen. Staub, Sand, Steine und Äste fliegen den Feuerwehrmännern um die Ohren. Der Erstangriff wird umgehend abgebrochen, die Feuerwehrmänner ziehen sich zurück. Das Feuer ist auf dem Sprengplatz der Berliner Polizei ausgebrochen, dort lagern 50 Tonnen Sprengstoffe aller Art. Bis heute ist unklar: Sind zuerst Sprengmittel explodiert und haben den Waldbrand mitten im Stadtgebiet ausgelöst? Oder war es ein Glutnest, das die beschlagnahmten Feuerwerkskörper zur Detonation gebracht hat? Die Explosivkörper beschleunigen das Ausbreiten des Waldbrandes. Knochentrockener Boden, von der Hitze ausgelaugte Bäume sind ein idealer Brandbeschleuniger. Vor allem, wenn brennende Äste und Erde Hunderte Meter weit vom Brandort fortgeschleudert werden. Innerhalb einer Stunde nach der Erstmeldung der Vor-Ort-Kräfte ist klar: Große Lage! Alles was auf den Wachen der Berufsfeuerwehr im alten Westteil Berlins verfügbar ist, wird in den Grunewald geschickt. Doch damit sind die Wachen im Stadtgebiet leer. Per Notfallplan werden die freiwilligen Feuerwehren in Berlin und dem Umland alarmiert. Eine Notfallalarmierung der Freiwilligen in Berlin und Brandenburg dauert seine Zeit, bis die Wachen wiederbesetzt sind.
Einsatzkräfte sind am Anschlag
Fast drei Tage lang brauchte die Berliner Feuerwehr, um den Flächenbrand im Grunewald rund um den polizeilichen Sprengplatz unter Kontrolle zu bekommen. Für den Präsidenten des Deutschen Feuerwehrverbandes Karl-Heinz Banse hat der Brand vor allem eines gezeigt: „wie schnell die Freiwilligen- und Berufsfeuerwehren personell auf Anschlag sind". Dabei gibt Banse der Politik an diesem Umstand keine Schuld. „Die Besetzung der Wehren ist immer ein Abbild der Gesellschaft, auch wir haben Nachwuchssorgen, so wie Wirtschaft und Verwaltung." Das wird gerade in einem trockenen Sommer wie diesem, noch dazu in einer Notlage, überdeutlich. Deutschland wird seit Wochen von Wald- und Vegetationsbränden heimgesucht. In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, vor allem aber in Sachsen und Brandenburg ist die Gefahrenabwehr bis aufs Äußerste gefordert. Dabei funktioniert das Zusammenspiel von Berufs- und freiwilligen Feuerwehren mit dem Technischen Hilfswerk hervorragend. Aber es ist halt eine Frage des Personalbestands. Irgendwann sind die verfügbaren Kräfte aufgezehrt.
Unter den Feuerwehrleuten selbst brodelt es seit einiger Zeit gewaltig. Zumindest in Berlin. Laut eines Berichtes der „Berliner Zeitung" wurde am 11. Juli in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr eine Krisensitzung einberufen. Es soll die erste Veranstaltung dieser Art seit fast 20 Jahren gewesen sein. Grund soll die Notlage der Feuerwehr gewesen sein. Zeitweise stünde kein Rettungswagen mehr zur Verfügung. „Wenn wir so weitermachen wie wir gerade fahren, dann wird es Tote geben", zitiert die Zeitung einen Feuerwehrmann. So müssten Rettungswagen immer wieder mit Blaulicht losrasen, wenn es um Bagatellfälle wie etwa Schlafstörungen oder Verstauchungen geht. Die Einsatzkräfte sind auch in diesen Fällen verpflichtet, anzurücken. Währenddessen können die Feuerwehrleute dann nicht bei echten Notfällen tätig werden wie etwa einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt. Zudem seien derzeitige Versorgungsschwierigkeiten in den Krankenhäusern „ein massives Problem". Vor etwa einem Monat soll es ein „rund neun Wochen altes Baby" gegeben haben, das reanimiert und zu einer Klinik gebracht werden musste. Doch das betreffende Krankenhaus habe kurz vor dem Eintreffen des Einsatzwagens angerufen und gesagt, dass es das Baby nicht behandeln könne. Der Rettungswagen sei dann umgedreht mit dem Kind und der Mutter an Bord. „So was kann nicht sein!", sagte der Feuerwehrmann.
Firefighter als neues Berufsbild
Für zusätzliche Aufregung in Feuerwehrkreisen soll der Zeitung zufolge auch eine interne Wut-Mail gesorgt haben. Ein anonymes Mitglied der Berliner Feuerwehr hatte im Juli eine Nachricht verschickt an alle Kollegen unter dem Titel „Ich mach da nicht mehr mit". Die Rede soll von einem „Klima der Angst", „massiver Einschüchterung" und „zielloser Hysterie" beim Thema Corona und Impfen innerhalb der Behörde gewesen sein. Der Verfasser soll zudem geschrieben haben, dass er sich trotz Bedenken zweimal habe impfen lassen, aber es ein drittes Mal nicht vorhabe. Nach derzeitiger Gesetzeslage gilt für Einsatzkräfte der Feuerwehr die vollständige, einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen Covid-19. Ansonsten drohen ihnen arbeitsrechtliche Konsequenzen.
Um der Notlage bei den Berliner Einsatzkräften beizukommen, hat sich laut dem Berliner Lokalblatt „BZ" zwischenzeitlich die Berliner Innensenatorin Iris Spranger eingeschaltet. Demnach soll eine vierköpfige „Steuerungsgruppe" des Senats einberufen worden sein. Die sogenannten Codes im Computersystem der Leitstelle sollen geändert werden. Auf der Grundlage dieser Codes wird entschieden, ob ein Rettungswagen losgeschickt wird. Der bundesweite Feuerwehrverband kämpft unterdessen für ein neues Berufsbild nach dem amerikanischen Vorbild des Firefighters. „Wir versuchen unseren Job dadurch attraktiv zu machen, indem Interessierte direkt nach der Schule eine Ausbildung bei der Feuerwehr machen können", so Verbandspräsident Banse. Denn „wenn ein Bewerber bereits eine dreijährige, vorzugweise Handwerksausbildung hat, in seinem Beruf obendrein erfolgreich ist, dann hat der keine Lust mehr, noch mal mehrere Jahre bei der Feuerwehr zu lernen. Das schreckt den Nachwuchs ab". Wer bei der Feuerwehr eine Anstellung sucht, muss eine abgeschlossene berufliche Ausbildung vorweisen. Darum soll es zukünftig den Beruf Feuerwehrfrau/-mann geben, der von den Innenministerien und IHKs der Länder voll anerkannt wird. Hintergrund dieser Bestrebung ist auch, dass derzeit im Handwerk wesentlich mehr gezahlt wird als bei der Feuerwehr. Brandbekämpfung ist finanziell Ländersache, die Kassen der Kommunen sind bekanntlich leer und in Zeiten des Fachkräftemangels, gerade im Handwerk, findet der Job bei der Feuerwehr wenig Bewerber, so Karl-Heinz Banse. Noch funktioniert die Feuerwehr, hauptamtlich und freiwillig, aber nicht ohne Hilfe von außen. Der Brand auf dem Sprengplatz Grunewald im Berliner Forst war nach 24 Stunden letztlich unter Kontrolle, wenn auch nicht gelöscht. Trotz der abwesenden Bundeswehr, die eigentlich versprochen hatte, Löschhubschrauber zu schicken. Doch die kamen nicht, da nicht verfügbar oder kaputt. Zwei Hightech-Wasserwerfer der Berliner Polizei, eigentlich für gewaltsame Demonstrationen vorgesehen, aber auch für Löscharbeiten tauglich, halfen erfolgreich aus: Erfolgreiche Synergieeffekte für die Brandbekämpfung.